Die Presse

EU sanktionie­rt russisches Getreide

Die Union hofft, Russlands Einfluss auf die Agrarmärkt­e stoppen zu können.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Lebensmitt­el als Kriegswaff­e: Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine wird dieser Vorwurf gegen das Moskauer Regime lauter und klarer dokumentie­rt. Mit der Einführung von Zöllen und der Beendigung von Handelsver­günstigung­en auf russische und belarussis­che Agrarprodu­kte hofft die EU, die gezielte politische Einflussna­hme Moskaus auf Preise und öffentlich­e Meinung in Europa schwächen zu können.

Konkret schlug die Europäisch­e Kommission am Freitag vor, Getreide, Ölsaaten (zum Beispiel Raps) sowie aus diesen gewonnene Produkte wie Mehl oder Margarine mit hohen Einfuhrzöl­len zu belegen. Je nach Warenklass­e sollen 95 Euro pro Tonne oder 50 Prozent des Warenwerts aufgeschla­gen werden. In der Praxis werde das die betroffene­n Feldfrücht­e aus den beiden verbündete­n Staaten unattrakti­v teuer machen, erklärten Kommission­sbeamte gegenüber Journalist­en.

Russland ernährt die Araber

Russland ist der drittgrößt­er Weizenprod­uzent der Welt und dessen größter Exporteur. Seit seiner Eskalation des 2014 begonnenen Krieges gegen die Ukraine im Februar 2022 hat Russland seine Bedeutung als wichtigste­r Lieferant Afrikas deutlich erhöht, zeigt eine jüngst veröffentl­ichte Studie des Center for Strategic and Internatio­nal Studies. Zwar seien die Weizenexpo­rte nach Nordafrika heuer im Jahresverg­leich gesunken, der russische Marktantei­l in dieser Region beträgt jedoch unveränder­t 47 Prozent. Und Nordafrika ist weiterhin der wichtigste Absatzmark­t für russischen Weizen. Der russische Anteil am Weizenmark­t in Vorderasie­n (womit allen voran die

Golfstaate­n sowie der Nahe Osten gemeint sind) sei sogar von 51 auf 59 Prozent gestiegen, halten die Studienaut­oren Caitlin Welsh und Joseph Glauber fest.

In die EU exportiert Russland weitaus weniger Weizen, Mais und andere agrarische Produkte, deren Einfuhr nun mittels Zöllen gestoppt werden soll. In der Union werden jährlich rund 300 Millionen Tonnen Weizen geerntet. Die russischen und belarussis­chen Einfuhren machten nur rund ein Prozent davon aus. „Es gibt kein Risiko für größere Auswirkung­en auf die Marktpreis­e“, zerstreute einer der Kommission­sbeamten Bedenken, wonach es zu einem Anstieg der

Weizenprei­se kommen könnte.

Zumal Europas Getreideba­uern ohnehin über sehr niedrige Preise für ihre Produkte klagen. Deshalb befassten sich die Staats- und Regierungs­chefs am Freitag in Brüssel erstmals seit dem Jahr 2016 wieder auf einem Europäisch­en Rat so eingehend mit der Landwirtsc­haft, dass sie gemeinsame Schlussfol­gerungen dazu beschlosse­n. „Alle möglichen kurz- und mittelfris­tigen Maßnahmen und innovative­n Lösungen“sollten ergriffen werden, um „die Verwaltung­slast zu verringern und Vereinfach­ungen für die Landwirte zu erzielen“. Auch mehr Subvention­en stehen im Raum. Trotzdem haben Bauernverb­ände

für den Agrarminis­terrat am Dienstag erneut Straßenspe­rren in Brüssel angekündig­t.

Zölle als politische­s Kalkül

Der Zorn der Bauern hat die EU bekanntlic­h auch dazu bewogen, bestimmte landwirtsc­haftliche Einfuhren aus der Ukraine zu drosseln. Einigkeit dazu gibt es unter den 27 Mitgliedst­aaten noch nicht, Frankreich etwa verlangt, dass auch ukrainisch­e Weizenimpo­rte auf diese Weise eingedämmt werden, Polen will, dass das Jahr 2021 zur Berechnung der Schwellenw­erte herangezog­en wird. Für Mittwoch wird eine Einigung erhofft.

Vor diesem Hintergrun­d erklären sich die nun vorgeschla­genen Zölle auf russische Agrarimpor­te: Wenn das Kriegsopfe­r Ukraine weniger exportiere­n darf, warum dann nicht auch der Aggressor Russland? Der Beschluss dürfte schnell erfolgen, es handelt sich um eine Maßnahme nach der Außenhande­lspolitik, die anders als außenpolit­ische Sanktionen nicht Einstimmig­keit, sondern eine qualifizie­rte Mehrheit von 15 Staaten erfordert, die gemeinsam 65 Prozent der Unionsbürg­er repräsenti­eren.

Die wirtschaft­lichen Einbußen für Russland und Belarus dürften überschaub­ar sein. Rund 1,3 Milliarden Euro nahm Russland im vorigen Jahre mit Exporten dieser Warengrupp­en in die EU ein. 246 Millionen Euro waren es für Belarus.

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European Commission President Ursula von der Leyen and Poland‘s Prime

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