Wenn Raser ihre Autos als Waffe einsetzen
Seit 1. März drohen bei Tempoübertretungen härtere Sanktionen. Nun ist es möglich, Fahrzeuge von Rasern zu versteigern. Unter Juristen gibt es eine Kontroverse um die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung.
Um die Sicherheit im Straßenverkehr zu erhöhen, können bzw. müssen Behörden, also Polizei, Magistrate und Bezirkshauptmannschaften, die Fahrzeuge von Rasern (vorläufig) beschlagnahmen. In letzter Konsequenz könnte es zu Versteigerungen der Raserautos kommen. Seit 1. März gelten diese Bestimmungen, seither haben sich schon etliche Hochgeschwindigkeitslenker im engmaschigen Regelungsnetz verfangen.
Der erste, der Bekanntschaft mit der Reform machte, war ein 28Jähriger, der zwei Tage nach Inkrafttreten in Wien am Hernalser Gürtel, wo eine 50-km/h-Beschränkung gilt, mit einem VW Scirocco mit windigen 114 km/h gemessen wurde – also mit einer Tempoüberschreitung von mehr als 60 km/h im Ortsgebiet. Sein Fahrzeug wurde vorläufig beschlagnahmt. Mittlerweile hat er es wieder. Denn: Die Voraussetzung für eine endgültige Beschlagnahme, nämlich ein (zeitlich befristeter) Führerscheinentzug innerhalb der vergangenen vier Jahre wegen bestimmter Delikte, lag nicht vor.
Bilanz des Innenressorts
Die Bilanz, die das Innenministerium (BMI) aktuell zieht, bezieht sich auf den Zeitraum vom 1. bis 15. März: Sechsmal wurde eine vorläufige Beschlagnahme eines Kraftfahrzeugs in die elektronische Dienstdokumentation eingetragen. Tatorte waren Wien, Niederösterreich, Tirol und Vorarlberg. Einen Verfall samt anschließender Versteigerung hat es bisher noch nicht gegeben.
Zur Erklärung: Verfall bedeutet, dass der Staat das Fahrzeug einzieht und es verwertet. Um den Verfall abzusichern, wird der „Bolide“beschlagnahmt. Dies ist auch ohne früheren Führerscheinentzug möglich, wenn im Ortsgebiet die erlaubte Maximalgeschwindigkeit um mehr als 80 km/h und außerhalb des Ortsgebiets um mehr als 90 km/h überschritten wird.
Den Erläuterungen zum Raserpaket ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber „unbelehrbare Schnellfahrer“treffen möchte, also solche, die bereits ein Sündenregister haben. „Weil gelindere Mittel bereits erwiesenermaßen nicht zum Ziel geführt haben und somit ein Eingriff in die Unverletzlichkeit des Eigentums als letzte
Möglichkeit auch als gerechtfertigt zu betrachten ist.“
Und wer bekommt den Erlös aus Versteigerungen? Das Geld muss künftig zu 70 Prozent dem Österreichischen Verkehrssicherheitsfonds zufließen. Und zu 30 Prozent jener Gebietskörperschaft, die den Aufwand des erstinstanzlichen Verwaltungsstrafverfahrens trägt.
Leicht kann es sich eine Behörde in Sachen Beschlagnahme und Verfall nicht machen. „Dreh- und Angelpunkt für diese beiden eskalativ hoch intensiven Maßnahmen ist einerseits das Vorliegen von früheren Delikten und andererseits eine individuell zu treffende Prognose“, teilt das BMI mit.
Ist es überhaupt verfassungskonform, derart stark in das Grundrecht auf Eigentum einzugreifen? Hier verweist der Staat auf den Schutz anderer Verkehrsteilnehmer. In den Erläuterungen steht: „Insbesondere ist bei extremen Geschwindigkeitsübertretungen
das Gefährdungspotenzial so hoch, dass das Fahrzeug wie eine Waffe eingesetzt werden kann und damit daher eine immense Gefahr für Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer verbunden sein kann.“
„Die Presse“bat den Wiener Anwalt Günther Rebisant um eine Einschätzung hinsichtlich der Frage, ob die neuen Regeln verfassungsrechtlich haltbar sind. Rebisant bejaht dies. Es gehe ja eben um den „Verfall von Autos, die durch extreme Geschwindigkeiten wie eine Waffe eingesetzt worden sind“. Für den Verfall müsse dieses Verhalten „auch weiterhin zu erwarten“sein. Dann liege eine „offensichtlich erforderliche und geeignete Sicherungsmaßnahme“vor. „Ein solcher Eingriff in das Eigentumsrecht zum Schutz von Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer ist auch verhältnismäßig.“
Das sehen nicht alle so. Anwalt Christian Schneider (BPV Hügel Rechtsanwälte): „Der Verfall ist eine Nebenstrafe, vergleichbar mit dem Verfall im Strafrecht, wenn zum Beispiel eine Waffe beschlagnahmt und vom Gericht für verfallen erklärt wird.“Aber: „Der
Verfall muss in einem angemessenen Verhältnis zum Unrecht der Tat stehen; dieses wiederum kommt in der Höhe der Strafdrohung zum Ausdruck. Wenn nun die Höchststrafe für jene Geschwindigkeitsübertretungen, für die ein Verfall des Fahrzeugs droht, 7500 Euro beträgt, und das für verfallen erklärte Auto 60.000 Euro wert ist, so ist das nicht verhältnismäßig.“
Wird ein Grundrecht verletzt?
Ist die Novelle verfassungswidrig? Schneider: „Der Verfall von Fahrzeugen bei schweren StVO-Verstößen wie qualifizierten Geschwindigkeitsüberschreitungen erscheint mir verfassungswidrig, weil die Maßnahme angesichts der Möglichkeit, dass der Lenker nach Ablauf der Führerscheinentzugsdauer jederzeit ein anderes Fahrzeug nutzen kann, nicht geeignet ist, die weitere Teilnahme des Lenkers am Straßenverkehr zu verhindern.“
Zum Einwand, wonach es auch sonst möglich ist, Eigentum abzunehmen, erklärt Schneider: „Mit einer typischen Enteignung, etwa mit einer Enteignung eines Grundstücks zugunsten des Baus einer Autobahn, hat der Verfall eines Fahrzeugs laut Straßenverkehrsordnung nichts zu tun.“Schneiders Lösung: „Man könnte es bei geschmalzenen Geldstrafen belassen. Oder einen Tatbestand einführen, der vor einem Strafgericht zu ahnden wäre. Zum Beispiel nach deutschem Vorbild: ,gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr’.“