„Das ist traurig für Österreich“
Die rotweiß-rote Abfahrtskrise prägt diesen Winter und wird auch in SaalbachHinterglemm deutlicher denn je. Auf Spurensuche mit Vincent Kriechmayr.
Nur drei haben es bis hierher geschafft: Vincent Kriechmayr, Stefan Babinsky und Otmar Striedinger. Auf dieses Trio ist Österreichs Abfahrtsteam beim Weltcupfinale am Zwölferkogel zusammengeschrumpft, das heißt: Nur drei ÖSV-Läufer befinden sich in den startberechtigten Top 25 der Gesamtwertung. Ein rasante Talfahrt in der Königsdisziplin also, die auch Kriechmayr, dank zweier WM-Titel und 18 Weltcupsiegen der unumschränkte Teamleader, auf den Plan ruft. Was sind die Gründe für die Abfahrtskrise, die seine Mannschaft knapp ein Jahr vor der Heim-WM hier in SaalbachHinterglemm erfasst hat? Und welche Rezepte braucht es?
Dass die Königsdisziplin zur rot-weiß-roten Baustelle geworden ist (Rang vier in der Nationenwertung), irritiert. Nirgendwo sonst hätte die Skination einen größeren Wettbewerbsvorteil, in keiner anderen Disziplin spielen Trainingsmöglichkeiten und finanzielle Mittel eine größere Rolle. Auch der fehlende Nachwuchs für die Abfahrt ist hausgemacht, schließlich ist der Talentepool hierzulande immer noch beachtlich.
Doch all diese Startvorteile verpuffen schnell. In der Vorbereitung ist auch der ÖSV den Schneeverhältnissen ausgeliefert, schnelle Schwünge konnten kaum gezogen werden. Und auf den Skinachwuchs wirkt der Abfahrtssport mit all seinen Gefahren immer abschreckender. Außerdem wurde man von einer Entwicklung überrascht, die die Abfahrtsstars dieses Winters, Marco Odermatt und Cyprien Sarrazin, vorgeben: Sie kommen aus dem Riesentorlauf und beschleunigen in den Kurven wie kaum Abfahrer vor ihnen, sie werden auch im abschließenden Rennen am Sonntag (11.15 Uhr, live ORF eins, Eurosport) die Kristallkugel untereinander ausfahren.
„Schade um Julian Schütter“
„Das ist schnell gegangen“, sagt Kriechmayr. „Vor zwei Jahren waren wir noch sechs Läufer in den Top 15, jetzt sind wir nicht mehr viele.“Tiefpunkt auch für ihn: Das ÖSV-Rumpfteam von nur vier Mann, das beim Klassiker in Wengen am Start stand. „Das ist wirklich sehr traurig für Österreich, das muss man ganz ehrlich sagen. Natürlich hatten wir immer auch Verletzte. Aber ich hätte mir gewünscht, dass von unten herauf mehr nachdrücken.“
Für nächsten Winter möchte der ÖSV zumindest seinen besten Europacup-Abfahrern eine fixe Weltcupsaison ermöglichen.
Doch bis diese in der Elite wirklich konkurrenzfähig sind, ist es ein weiter Weg. Umso schmerzlicher, dass man unlängst auch noch Julian Schütter, 26, verloren hat, bei dem der Klimaaktivismus vielversprechende Ergebnisse überdeckte. „Schade um Julian“, sagt auch Kriechmayr. „Der hat sofort richtig Gas gegeben und war im Training brutal stark. So soll es sein. Schade, dass er die Karriere beendet hat, das ist natürlich zu respektieren.“Zu Hoffnungsträgern könnten noch Raphael Haaser, 26, und Lukas Feurstein, 22, (Kriechmayr: „Habe selten einen so guten Skifahrer gesehen“) werden, ein Duo, das ebenfalls mit Riesentorlauf-Können ausgestattet wäre. „Wenn die Skitechnik passt – der Speed kommt dann schon“, sagt Kriechmayr.
Die ÖSV-Abfahrtsgruppen werden jedenfalls auch in der WM-Saison dieselben bleiben, Cheftrainer Sepp Brunner steht entgegen mancher Medienberichte nicht vor der Ablöse, auch die Gruppentrainer Werner Franz und Christian Perner (Europacup) sind weiter an Bord. „Es ist immer gut, wenn im Training eine Dynamik herrscht“, erklärt Kriechmayr. Auch deshalb fehle eine Figur wie Matthias Mayer ganz besonders. „Kein Trainer kann mir sagen, was ich mir von einem Matthias Mayer abschauen kann. Da sehe ich, wie er die Linien fährt, sehe die Skitechnik und wie er mit gewissen Situationen oder Sprüngen umgeht. So wird man besser.“
Was zur Kriechmayrs eigener Rolle als Teamleader führt. „Ich bin vielleicht der einzige große Name.“Am Ende dieser Abfahrtssaison fällt seine gewohnt gnadenlose Selbstkritik noch deutlicher aus. „Eine bescheidene Saison. Eine Kugel ist das Ziel, das ist nicht gelungen. Ich muss mich noch mehr hineinknien. Neues Jahr, neue Chance.“