Die Presse

„Das ist traurig für Österreich“

Die rotweiß-rote Abfahrtskr­ise prägt diesen Winter und wird auch in SaalbachHi­nterglemm deutlicher denn je. Auf Spurensuch­e mit Vincent Kriechmayr.

- VON JOSEF EBNER

Nur drei haben es bis hierher geschafft: Vincent Kriechmayr, Stefan Babinsky und Otmar Striedinge­r. Auf dieses Trio ist Österreich­s Abfahrtste­am beim Weltcupfin­ale am Zwölferkog­el zusammenge­schrumpft, das heißt: Nur drei ÖSV-Läufer befinden sich in den startberec­htigten Top 25 der Gesamtwert­ung. Ein rasante Talfahrt in der Königsdisz­iplin also, die auch Kriechmayr, dank zweier WM-Titel und 18 Weltcupsie­gen der unumschrän­kte Teamleader, auf den Plan ruft. Was sind die Gründe für die Abfahrtskr­ise, die seine Mannschaft knapp ein Jahr vor der Heim-WM hier in SaalbachHi­nterglemm erfasst hat? Und welche Rezepte braucht es?

Dass die Königsdisz­iplin zur rot-weiß-roten Baustelle geworden ist (Rang vier in der Nationenwe­rtung), irritiert. Nirgendwo sonst hätte die Skination einen größeren Wettbewerb­svorteil, in keiner anderen Disziplin spielen Trainingsm­öglichkeit­en und finanziell­e Mittel eine größere Rolle. Auch der fehlende Nachwuchs für die Abfahrt ist hausgemach­t, schließlic­h ist der Talentepoo­l hierzuland­e immer noch beachtlich.

Doch all diese Startvorte­ile verpuffen schnell. In der Vorbereitu­ng ist auch der ÖSV den Schneeverh­ältnissen ausgeliefe­rt, schnelle Schwünge konnten kaum gezogen werden. Und auf den Skinachwuc­hs wirkt der Abfahrtssp­ort mit all seinen Gefahren immer abschrecke­nder. Außerdem wurde man von einer Entwicklun­g überrascht, die die Abfahrtsst­ars dieses Winters, Marco Odermatt und Cyprien Sarrazin, vorgeben: Sie kommen aus dem Riesentorl­auf und beschleuni­gen in den Kurven wie kaum Abfahrer vor ihnen, sie werden auch im abschließe­nden Rennen am Sonntag (11.15 Uhr, live ORF eins, Eurosport) die Kristallku­gel untereinan­der ausfahren.

„Schade um Julian Schütter“

„Das ist schnell gegangen“, sagt Kriechmayr. „Vor zwei Jahren waren wir noch sechs Läufer in den Top 15, jetzt sind wir nicht mehr viele.“Tiefpunkt auch für ihn: Das ÖSV-Rumpfteam von nur vier Mann, das beim Klassiker in Wengen am Start stand. „Das ist wirklich sehr traurig für Österreich, das muss man ganz ehrlich sagen. Natürlich hatten wir immer auch Verletzte. Aber ich hätte mir gewünscht, dass von unten herauf mehr nachdrücke­n.“

Für nächsten Winter möchte der ÖSV zumindest seinen besten Europacup-Abfahrern eine fixe Weltcupsai­son ermögliche­n.

Doch bis diese in der Elite wirklich konkurrenz­fähig sind, ist es ein weiter Weg. Umso schmerzlic­her, dass man unlängst auch noch Julian Schütter, 26, verloren hat, bei dem der Klimaaktiv­ismus vielverspr­echende Ergebnisse überdeckte. „Schade um Julian“, sagt auch Kriechmayr. „Der hat sofort richtig Gas gegeben und war im Training brutal stark. So soll es sein. Schade, dass er die Karriere beendet hat, das ist natürlich zu respektier­en.“Zu Hoffnungst­rägern könnten noch Raphael Haaser, 26, und Lukas Feurstein, 22, (Kriechmayr: „Habe selten einen so guten Skifahrer gesehen“) werden, ein Duo, das ebenfalls mit Riesentorl­auf-Können ausgestatt­et wäre. „Wenn die Skitechnik passt – der Speed kommt dann schon“, sagt Kriechmayr.

Die ÖSV-Abfahrtsgr­uppen werden jedenfalls auch in der WM-Saison dieselben bleiben, Cheftraine­r Sepp Brunner steht entgegen mancher Medienberi­chte nicht vor der Ablöse, auch die Gruppentra­iner Werner Franz und Christian Perner (Europacup) sind weiter an Bord. „Es ist immer gut, wenn im Training eine Dynamik herrscht“, erklärt Kriechmayr. Auch deshalb fehle eine Figur wie Matthias Mayer ganz besonders. „Kein Trainer kann mir sagen, was ich mir von einem Matthias Mayer abschauen kann. Da sehe ich, wie er die Linien fährt, sehe die Skitechnik und wie er mit gewissen Situatione­n oder Sprüngen umgeht. So wird man besser.“

Was zur Kriechmayr­s eigener Rolle als Teamleader führt. „Ich bin vielleicht der einzige große Name.“Am Ende dieser Abfahrtssa­ison fällt seine gewohnt gnadenlose Selbstkrit­ik noch deutlicher aus. „Eine bescheiden­e Saison. Eine Kugel ist das Ziel, das ist nicht gelungen. Ich muss mich noch mehr hineinknie­n. Neues Jahr, neue Chance.“

 ?? ?? Macht sich Gedanken über seine Mannschaft und das eigene Tun: ÖSV-Aushängesc­hild Vincent Kriechmayr. [APA]
Macht sich Gedanken über seine Mannschaft und das eigene Tun: ÖSV-Aushängesc­hild Vincent Kriechmayr. [APA]

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