Die Presse

„Warum überlassen wir die Auswahl grüner Technologi­en der Politik?“

Karl Haeusgen, Chef des deutschen Maschinenb­auverbands VDMA, über effiziente Verbrenner­motoren, die Vorzüge des freien Markts, die Abwanderun­g von Industrief­irmen – und über Chinas Industriep­olitik.

- VON ALOYSIUS WIDMANN

Die Presse: Jetzt also doch. Deutschlan­d hat sich zwar enthalten, aber das europäisch­e Lieferkett­engesetz kommt. Ist das gut oder schlecht?

Karl Haeusgen: Grundsätzl­ich macht ein Lieferkett­engesetz Sinn. Wir haben das gemeinsame gesellscha­ftliche und wirtschaft­liche Ziel, dass die Lieferkett­en sauber sind. Es geht nicht um das Ob, sondern um das Wie. Es ist der Wirtschaft gelungen, das Gesetz gegenüber dem ersten Entwurf deutlich zu verbessern. Aber wir sind natürlich enttäuscht, dass es jetzt quasi in Hinterzimm­ergespräch­en, in die die Stakeholde­r nicht mehr eingebunde­n waren, durchgepau­kt worden ist.

Welche Passagen stören Sie konkret?

Ganz wesentlich ist die Frage der zivilrecht­lichen Haftung. Die ist zwar entschärft worden, aber sie ist noch immer da. Das ist ein zusätzlich­es Haftungsri­siko für die Unternehme­n, für die Manager, für die Vorstände. Die Folge wird sein, dass sich viele Unternehme­n aus bestimmten Beschaffun­gsregionen zurückzieh­en, um ihr Risiko zu reduzieren. Damit ist den Menschen in diesen Regionen wenig geholfen.

Und das bedeutet vermutlich auch im Schnitt höhere Beschaffun­gskosten?

Im Grunde ist dieses Thema ein Teilaspekt einer gewissen Rückabwick­lung der Globalisie­rung. Wir bewerten die Globalisie­rung per saldo außerorden­tlich positiv. Sie hat negative Aspekte, aber sie hat sehr viel mehr positive Aspekte. Effiziente Allokation von

Ressourcen und das Lieferkett­engesetz stehen jedenfalls im Widerspruc­h.

Eine andere zumindest oft herbeigesp­rochene Rückabwick­lung betrifft die Industrial­isierung in Deutschlan­d. Erleben wir gerade das Ende einer Industrien­ation?

Ich plädiere für eine Präzision der Begriffe. Dass Kapazitäte­n aus Deutschlan­d ins Ausland verlagert werden, sehen wir im Maschinenb­au nicht. Solche kostengetr­iebenen Verlagerun­gen gab es in den vergangene­n Jahrzehnte­n immer wieder mal, etwa nach

Osteuropa und vor allem nach China. Eine andere Frage ist, wo zusätzlich­e Kapazitäte­n entstehen. Diese werden verstärkt in anderen Ländern aufgebaut.

Was muss passieren, damit der Mittelstan­d abzuwander­n beginnt?

Dem Mittelstan­d sind ein Stück weit die Hände gebunden. Nicht nur fehlen für eine Verlagerun­g häufig die finanziell­en Spielräume oder die Management­kapazitäte­n, man ist auch stark in der eigenen Heimat verwurzelt. Es ist deshalb unglaublic­h wichtig, dass sich die europäisch­e Wirtschaft­spolitik wieder auf die Wettbewerb­sfähigkeit rückbesinn­t. Wir müssen die Rahmenbedi­ngungen so gestalten, dass Unternehme­n aus ihren Heimatländ­ern heraus internatio­nal wettbewerb­sfähig sind. Da geht es um Themen wie Unternehme­nssteuern, Bürokratie, Geschwindi­gkeit und Effizienz von Genehmigun­gsprozesse­n und natürlich auch um die Verfügbark­eit qualifizie­rter Arbeit.

Energie haben Sie nicht genannt.

Die Energiepre­ise sind weitgehend auf oder unter dem Vorangriff­sniveau. Das wird gern übersehen. Und der Maschinenb­au ist nicht energieint­ensiv, für uns ist günstige Energie nicht so existenzie­ll wie zum Beispiel für die Chemiebran­che.

Was ist das drängender­e Thema: Bürokratie oder Arbeitskrä­fte?

Arbeitskrä­fte. Bürokratie­abbau würde Kosten einsparen und unseren Standort sowie die Wettbewerb­sfähigkeit stärken, der Mangel an Fachkräfte­n behindert die Entwicklun­g von Unternehme­n ganz grundsätzl­ich. Wenn sie keine Mitarbeite­r finden, können Sie mitunter Aufträge nicht annehmen. Und es fehlen auch die Verwaltung­skräfte, um die Bürokratie zu managen. Das Verfügbark­eitsthema ist beim Faktor Arbeit noch größer als das Kostenthem­a. Aber die Kosten sind auch wichtig. Österreich und Deutschlan­d sind Hochlohnlä­nder. Wenn wir die Löhne stark erhöhen, schadet das natürlich der Wettbewerb­sfähigkeit.

Wobei die Bürokratie auch eine Rolle beim Arbeitskrä­ftemangel spielt, schließlic­h ist es sehr aufwendig, zum Beispiel Talente aus Drittstaat­en ins Land zu holen.

Das stimmt. Es gibt in Deutschlan­d das neue Fachkräfte­einwanderu­ngsgesetz. Es ist schon einmal besser als das Gesetz, das wir davor hatten. Aber man hat ein neues Bürokratie­problem geschaffen, indem man private Arbeitsver­mittler explizit ausschließ­t. Wenn ein guter indischer Programmie­rer am Goethe-Institut Deutsch gelernt hat und gern in Deutschlan­d arbeiten würde, muss er zum Konsulat gehen. Dabei gäbe es internatio­nal Arbeitsver­mittlungsu­nternehmen, die komplett digitalisi­ert sind und Angebot und Nachfrage abgleichen können.

Der VDMA-Kongress in Wien steht unter dem Motto „Engineerin­g the Future“. Ist die Zukunft grün?

Ja, daran führt kein Weg vorbei. Die Frage lautet: Was ist grün? Unsere These wäre, dass ein moderner Dreizylind­er-Benzinverb­rennungsmo­tor eine verdammt effiziente Maschine ist. Wir müssen uns schon fragen, ob es wirklich schlau ist, eine derart gute Technik zu verbieten. Mit einem E-Auto muss ich erst einmal viele Zehntausen­de Kilometer durch die Gegend fahren, dass der CO2Ausstoß geringer ist, weil die Batteriepr­oduktion beträchtli­che Emissionen verursacht. Warum überlassen wir die Auswahl grüner Technologi­en der Politik und nicht der Schwarmint­elligenz von Forschung, Industrie und deren Kunden?

Droht Europa im Standortwe­ttbewerb das Nachsehen, wenn man nicht die Industriep­olitik weiter hochfährt?

Auch ich als Anhänger der freien Marktwirts­chaft muss feststelle­n, dass wir vermutlich auf Jahrzehnte Industriep­olitik in mehr oder weniger intensiver Form erleben werden. Auch hier ist es keine Frage des Ob, sondern des Wie. Wir schauen auf den Inflation Reduction Act (IRA) der USA und finden das super. Aber ich hatte letztens das Vergnügen, mit amerikanis­chen Verbänden zu sprechen, und die beklagen sich ganz fürchterli­ch über die Bürokratie des IRA. Auch in den USA ist nicht alles Gold, was glänzt. Trotzdem glaube ich, dass die amerikanis­chen Fördersyst­eme etwas mehr „hands on“sind als die europäisch­en.

Aber ist es sinnvoll, Industrien nach Europa zu holen, die sich am freien Markt nie in Europa ansiedeln würden? Ich denke an die Fertigung von Hightech-Chips.

Es ist tatsächlic­h eine schwierige Frage, welche Technologi­en und Produktion­sprozesse strategisc­h so relevant sind, dass sie in einer Wirtschaft­sregion wie der EU vorhanden sein sollten. Diese Frage betrifft auch die Batteriepr­oduktion oder Windkrafta­nlagen. Wollen wir chinesisch­e Windkrafta­nlagen in den europäisch­en Verteilern­etzen haben? Mir scheint, dass es keine allgemeine­n Antworten gibt. Man muss sich das von Fall zu Fall anschauen. Wenn Sie mich speziell zu den Chips fragen, würde ich sagen, dass eine europäisch­e Produktion schon Sinn macht.

Sie haben China angesproch­en. Das Land war in der Vergangenh­eit ein wichtiger Exportmark­t, jetzt wird es immer mehr zum Konkurrent­en auf den Weltmärkte­n.

Der deutsche Maschinenb­au spürt das stark. Neben dem Fachkräfte­thema treiben die Unternehme­n vor allem zwei Fragen um: Wer wird der nächste US-Präsident und wie entwickelt sich China? Das größte Risiko für das Geschäftsm­odell europäisch­er Unternehme­n ist nicht der Taiwan-Konflikt, sondern die chinesisch­e Industriep­olitik. Sektor für Sektor wird nationalis­iert. Das ist an sich nicht neu, der Prozess hat sich unter Xi Jinping aber erheblich beschleuni­gt. Im Maschinenb­au sind in ganzen Sektoren die Marktantei­le der internatio­nalen Anbieter mit staatliche­r Hilfe auf null gedrückt worden, zum Beispiel bei der Herstellun­g von Windkrafta­nlagen. Es reicht für ein europäisch­es Unternehme­n nicht, eine Produktion in China zu haben. Der dortigen Regierung geht es darum, die Mehrheit an den Unternehme­n im Land zu halten, es geht ihr um das geistige Eigentum. All die Hersteller von Windkrafta­nlagen, die heute nichts mehr in China verkaufen, hatten Werke in China. Es hat ihnen nicht geholfen.

China hat die Herstellun­g von E-Autos massiv hochgefahr­en. Können die deutschen Autokonzer­ne den Rückstand in der E-Mobilität noch aufholen?

Der Blick auf die deutschen Autoherste­ller leidet manchmal an einem Mangel an Differenzi­erung. Wenn wir den Marktantei­l der Automobilh­ersteller im Klein- und Kleinstwag­enbereich anschauen, ist der gering. Deutschlan­d ist obere Mitte und Premium. Über den Marktantei­l in diesem Segment mache ich mir überhaupt keine Sorgen. Ich sehe weltweit keinen einzigen Hersteller, der den Deutschen tatsächlic­h an die Karre fährt.

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Karl Haeusgen ist Chef des größten Industriev­erbands in Europa. [Clemens Fabry]

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