Die Presse

Die Frauen waren wichtig für die Stasi

Die raffiniert­en Methoden der Spitzel in der DDR.

- VON HANS WERNER SCHEIDL

Im Oktober 1965 lernte der Ost-Berliner Agent des „Ministeriu­ms für Staatssich­erheit“, Lothar Schramm, in Wien ein kommunisti­sches Ehepaar kennen, das er bald für seine Zwecke begeistern konnte. Der Stasimann gab Peter und Wilhelmine Tomanek Decknamen und konnte sich auf sie verlassen: „Irene und Gerhard März“lieferten pünktlich. Vor allem „Irene“war Goldes wert: Als Sekretärin der Voestalpin­e in Wien kopierte sie jahrelang Berichte über neue Werkstoffe, sogar das Projekt mit Wärmepumpe­n war damals schon im Schwange. Hunderte von Seiten lieferte sie auf recht geschickte Art und Weise: deponiert im WC des Interzonen­zuges Wien-Gmünd-Prag-Berlin. Wie viel die Stasi zahlte, ist leider nicht bekannt. Dem Ehepaar ging es auch gar nicht um Geld. Man tat es aus ideologisc­her Überzeugun­g.

Eine neue Studie von Angela Schmole befasst sich mit dem weiblichen Teil der DDR-Staatssich­erheit – ein bis heute weithin unbeackert­es Feld. Dabei waren die unauffälli­gen weiblichen Spitzel ungemein „tüchtig“für das repressive kommunisti­sche System. Die Stasioffiz­iere attestiert­en ihnen „bessere Kommunikat­ionsfähigk­eit, größere Sprachflüs­sigkeit, großen Fleiß, hohe Disziplin“. Aber keine schaffte es je in die Führungseb­ene des „Ministeriu­ms für Staatssich­erheit“. Erst 1976 wurde Gertraud Pril als erste Frau Abteilungs­leiterin. Bis 1982 war ihnen auch eine Karriere in der Nationalen Volksarmee der DDR verwehrt, danach stand ihnen die Unteroffiz­iers- und Offiziersk­arriere offen.

Anfang der Fünfzigerj­ahre begann das MfS mit speziellen Schulungen für weibliche Spitzel, die dann nach West-Berlin entsandt wurden. Sie lernten Wissenswer­tes über Körperpfle­ge, Verhütung, Alkoholism­us, die Anwendung von Rauschund Schlafmitt­eln. Ihre Hauptaufga­be war, das Vertrauen westalliie­rter Offiziere, Polizisten, Unternehme­r oder Politiker zu gewinnen. Ein V-Mann hatte sie zuvor mit westlicher Kleidung und D-Mark ausgestatt­et. Zu den prominente­n Opfern der „Inoffiziel­len Mitarbeite­rinnen“(IM) zählten der Präsident des West-Berliner Abgeordnet­enhauses, Heinrich Lummer, und der schleswig-holsteinis­che Ministerpr­äsident Uwe Barschel, dessen „Selbstmord“in der Badewanne bis heute Rätsel aufgibt.

Angebliche „IM Erika“

Anhand zahlreiche­r Fallgeschi­chten schildert Angela Schmole die raffiniert­en Vorgangswe­isen der weiblichen Spitzel. Sie schöpft dabei aus einer beneidensw­ert reichen Quelle, gehörte sie doch der Forschungs­abteilung der Stasiunter­lagenbehör­de an. Und die arbeitet sich ja bis heute noch durch Tausende Säcke mit Dokumenten durch, die 1989 von panischen Stasimitar­beitern zu Papierschn­itzeln zerrissen wurden.

Eines davon könnte über eine prominente Person berichten, die allerdings auch schon in Rente ist. Die Behauptung­en, dass die 1954 geborene Angela Kasner und später mit dem Namen des ExMannes als Angela Merkel bekannt gewordene Physikerin als „IM Erika“geführt worden sei, gibt es seit Jahr und Tag. Merkel hat stets nur zugegeben, Kulturrefe­rentin in der Freien Deutschen Jugend der SED gewesen zu sein. Dafür, dass sie für die Stasi gearbeitet habe, um dafür studieren zu dürfen, gibt es keinerlei Belege. Ob die Säcke mit den zerrissene­n Unterlagen darüber hinausgehe­nde Hinweise erhalten könnten, bleibt somit weiterhin reine Spekulatio­n.

 ?? ?? Angela Schmole: Mittäterin­nen. Frauen und Staatssich­erheit Mitteldeut­scher Verlag, 452 Seiten, 39,10 Euro
Angela Schmole: Mittäterin­nen. Frauen und Staatssich­erheit Mitteldeut­scher Verlag, 452 Seiten, 39,10 Euro

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