Die Presse

Beth Ditto präsentier­te in Berlin mit „Real Power“ein neues Gossip-Album. Mit der „Presse“sprach sie über Macht, Punk-Feminismus und ihre Vorbilder.

- VON SAMIR H. KÖCK

Ihr Körper dampfte sichtbar schon, als sie zum unerbittli­chen Rhythmus der Basstromme­l mit einem Textblatt wedelte. Konnte sie ihren aktuellen Hit tatsächlic­h noch nicht auswendig? Oder war der Textausset­zer in „Real Power“gar den Likörchen geschuldet, an denen sie sich labte? Körperlich schien sie fit zu sein, denn am Ende ihres ersten Gossip-Gigs seit vielen Jahren tanzte die auch schon 43-jährige Beth Ditto noch federnd über die Bretter des Lido, einer Tschumsn im finsterste­n Eck von Kreuzberg. Es war ein Pflichtter­min für ihre Berliner Fans, die nicht im Sommer in die Wuhlheide zum Riesenfest­ival fahren wollen.

Sie wurden nicht enttäuscht. Herrlich, wie schmutzig die Gitarrenri­ffs klangen, wie giftig die Keyboard-Einschübe. Es tat gut, zu hören, dass diese Veteranen im Kampf für Bodypositi­vity, Diversity und queeren Glamour nichts von ihrem rüden Charme verloren hatten. Die Sache wirkte: Man sah ältere Jugend tanzen, zum Teil mit beiden Händen überm Kopf. Ist es diese Wirkung aufs Publikum, was Beth Ditto mit „Real Power“meint? „Es hat mir immer schon viel Freude bereitet, die Menschen zu zwingen, zu meiner Musik herumzuhüp­fen“, sagt sie mit überaus lautem Lachen im Gespräch mit der „Presse“.

In der Tradition des Punk-Feminismus

Als kraftvolle Sängerin übt sie tatsächlic­h Macht aus. Aber das meint sie nicht im Titelsong ihres griffigen Albums. Sie stellt sich vielmehr in eine große Pop- und Soul-Tradition: Jimi Hendrix träumte von der „Power of Love“, Curtis Mayfield flehte um „Power to the People“, über „Rainbow Power“sang Timmy Thomas. Schon damals, Anfang der Siebzierja­hre, stand der Regenbogen für sexuelle Vielfalt. Für deren Akzeptanz setzt sich Ditto mit Gossip seit den Nullerjahr­en ein. Hat man als Musikerin die Macht, die Welt zum Besseren zu verändern? „Man muss es stets neu versuchen“, sagt sie, „,Real Power‘“ist für mich, wenn ein Mensch handlungsf­ähig ist. Und das ist er, wenn er Mitgefühl hat und bereit ist, von anderen zu lernen.“

Klingt nicht gerade nach Punk. Aber wenn sie auf der Bühne tobt und kreischt, ohne Rücksicht auf jede Dezenz, dann spürt man, dass sie immer noch das ist, was man

Anfang der 1990er-Jahre ein „Riot Grrrl“nannte. Zu dieser Tradition des Punk-Feminismus steht sie. War das nicht nur ein Undergroun­d-Phänomen? „Fortschrit­te gibt es immer zuerst im Undergroun­d“, sagt Ditto, „aber was dort einmal etabliert ist, klettert langsam in den Mainstream.“

Wie auch die Idee der Bodypositi­vity. „Fat-Shaming ist selten geworden“, konstatier­t Ditto. „Das verdankt sich eindeutig den Aktivitäte­n des Punk-Feminismus.“Im leicht rabiaten Video von „Real Power“zeigt sie viel Haut. Fühlte sie sich je gezwungen, ihre Musik mit den Mitteln der Erotik zu promoten? Auf diese Frage weiten sich ihre abenteuerl­ich geschminkt­en Augen: „Niemals! Mich kann man zu nichts zwingen. Nicht einmal dazu, meine Kleider anzubehalt­en. Die Punk-Kleidung war immer sehr heiß, und irgendwann musste ich sie mir vom Leib reißen. Ich habe nie darüber nachgedach­t.“

Vorbilder: Ihre Mutter und Melanie

Gab es für sie Vorbilder? Auf diese Frage nennt sie zuerst brav ihre Mutter, die ihr das Singen nach Noten beigebrach­t hat. „Sie hat mich gelehrt, gut zuzuhören. Das war das Fundament für alles, was ich später erreicht habe.“Doch ihr zweites Vorbild überrascht: die kürzlich verstorben­e Woodstock-Sängerin Melanie Safka, definitiv eher in der Hippieals in der Punk-Tradition. „Sie war ein Vorbild für mich, weil sie früh schon sehr laut gesungen hat. Das haben Frauen früher nicht getan. Und sie war auch nicht gertenschl­ank und hat mit ,Animal Crackers‘ einen tollen Song über genussvoll­es Essen gemacht.“

Sinnlichke­it in allen Formen ist Generalthe­ma des neuen Albums. Mit „Turn the Card Slow“glückte ein Lied, das formvollen­det das Robuste und das Sensible, Krawall und Glätte legiert. „Schönheit ist etwas sehr Relatives“, sagt Ditto; Widersprüc­he machen sie nicht nervös. „I like peace and quiet, but silence is killing me“, flötete sie zum Schluss des Konzerts in „Peace And Quiet“. Und weil das so ist, hat sie noch ihren alten Kracher „Heavy Cross“gespielt. Dienstleis­tung und Leidenscha­ft, auch das passt manchmal zusammen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria