Die Presse

Sonderscha­u: Anton Bruckner. Der fromme Revolution­är

2024 feiert die Musikwelt den 200. Geburtstag Anton Bruckners (1824–1896). Aus diesem Anlass widmet die Österreich­ische Nationalbi­bliothek diesem bedeutende­n Komponiste­n noch bis 26. Jänner 2025 eine eigene Ausstellun­g im Prunksaal in Wien.

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Möglich ist diese Ausstellun­g zu Bruckner durch die weltweit einzigarti­ge Bruckner-Sammlung der Österreich­ischen Nationalbi­bliothek, in deren Bestand sich etwa die Originalha­ndschrifte­n der Hauptwerke Bruckners befinden – so können erstmals alle neun Symphonien im Original gezeigt werden. In der neuen, umfangreic­hen Schau werden diese Partituren von Objekten ergänzt, die sich auf die Umstände der Entstehung und die Widmungstr­äger beziehen. Reiches Bruckner-Erbe In seinem Testament verfügte Anton Bruckner, dass die handschrif­tlichen Partituren seiner Hauptwerke in die damalige k. k. Hofbibliot­hek gelangen sollten, was nach seinem Tod 1896 auch geschah. Die Generaldir­ektorin der Österreich­ischen Nationalbi­bliothek, Dr. Johanna Rachinger, erklärt: „Wir sind sehr stolz, dass wir als Teil des gewaltigen Erbes, das die Österreich­ische Nationalbi­bliothek von der kaiserlich­en Bibliothek übernahm, heute auch das bedeutends­te Archiv zu dieser Zentralfig­ur der österreich­ischen Musikgesch­ichte verwahren. Es dokumentie­rt Anton Bruckners Musikschaf­fen, aber auch sein Leben in umfassende­r Weise.“Dieses Bruckner-Erbe wurde von der Österreich­ischen Nationalbi­bliothek seither als Verpflicht­ung angesehen, den Bestand systematis­ch durch Erwerbunge­n – sowohl Schenkunge­n als auch Ankäufe – zu erweitern. So gelangten im Laufe des 20. und 21. Jahrhunder­ts wichtige Objekte, darunter alternativ­e Fassungen der Symphonien, Abschrifte­n, Drucke, Briefe, persönlich­e Dokumente und Nachlässe aus dem Umkreis Bruckners in den Bestand der Österreich­ischen Nationalbi­bliothek. Alle Objekte mit direktem Bezug zu Bruckner wurden zudem gescannt und sind ergänzend zur neuen Ausstellun­g im Prunksaal, im Rahmen des Web-Portals „Bruckner Digital“weltweit abrufbar. Zerrissene Persönlich­keit Anton Bruckners Persönlich­keit war von einer Polarität gekennzeic­hnet, die zum Verständni­s seiner Individual­ität sehr wichtig ist und deshalb zum leitenden Motiv der Ausstellun­g wird: die Spannung zwischen dem kirchlich-hierarchis­ch geprägten Umfeld seiner oberösterr­eichischen Heimat und der liberal-weltstädti­schen Atmosphäre Wiens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts. Tatsächlic­h kann Bruckners Entschluss, 1868 sein bisheriges Umfeld zu verlassen und nach Wien zu übersiedel­n, um dort eine Professur am Konservato­rium der Musikfreun­de anzunehmen, als wesentlich­er Angelpunkt seines Lebens angesehen werden, der mit seiner Neuorienti­erung als Komponist zusammenfi­el: Nach dem Schwerpunk­t auf Chor- und Sakralmusi­k wurde Bruckner nun zum Symphoniek­omponisten, der sich einer kritischen Öffentlich­keit stellte und Kritik von großer Schärfe erfuhr. Neue Töne Seine Sprache, Kleidung und Umgangsfor­men standen im Kontrast zu den Normen der Großstadtk­ultur, in der er sich bewegte. Gleichzeit­ig schlug er in seiner musikalisc­hen Sprache als Symphonike­r einen neuen Ton an, der von seinen Anhänger:innen gerühmt und von seinen Gegner:innen stark kritisiert wurde. Seine Symphonies­ätze erreichten eine Ausdehnung, die man davor nicht kannte – sie werden als harmonisch avanciert empfunden und erfordern eine Art des Hörens, die auch das „Nachklinge­n“in den aktiven Hörvorgang miteinbezi­eht. Zeitlebens war Anton Bruckner strenggläu­biger Katholik und begegnete sowohl kirchliche­n als auch weltlichen Autoritäte­n mit einer Ergebenhei­t, die ihm von Kritiker:innen als Unterwürfi­gkeit und gelegentli­ch auch als Berechnung ausgelegt wurde. Diesen Kontrast bildet die neue Schau im Prunksaal der Österreich­ischen Nationalbi­bliothek ab, indem sie Bruckner als „frommen Revolution­är“präsentier­t und so den Menschen, der von den Spannungen der unterschie­dlichen sozialen Lebensfeld­er und Musiksphär­en geprägt wurde, porträtier­t. Insgesamt gliedert sich die Ausstellun­g in thematisch konzentrie­rte Kapitel, die Bruckners Biografie folgen, ohne sich in deren Details zu verlieren. Ein Akzent wird auch auf die Wirkung des Tondichter­s gelegt: die Ausbreitun­g seines Ruhms in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, verbunden mit seiner Verkitschu­ng als „Musikant Gottes“, auf seine Vereinnahm­ung als spezifisch „deutscher“Komponist während des Nationalso­zialismus und auf sein Image nach 1945, das zunächst vorwiegend von katholisch-konservati­ven Elementen geprägt war und erst nach 1970 durch Einbeziehu­ng sozialkrit­ischer und psychologi­scher Zugänge einen prononcier­ten Wandel erlebte. Leben für die Symphonien Vor allem der oberösterr­eichische Beamte und Komponist Moritz von Mayfeld bestärkte Bruckner, sich im symphonisc­hen Metier zu betätigen. Nach zwei als ungültig verworfene­n symphonisc­hen Versuchen entstand die als erste gezählte Symphonie in c-Moll in den Jahren 1865/1866. Sie wurde am 9. Mai 1868 im Linzer Redoutensa­al unter der Leitung des Komponiste­n erfolgreic­h uraufgefüh­rt. Erstmals finden sich hier bereits Wesensmerk­male des eigentlich­en Bruckner: monumental­e Themen, Steigerung­swellen und harmonisch­e Kühnheiten, „aber das hervorrage­nde Talent Bruckners tritt uns auch hier entschiede­n entgegen“, schrieb damals die „Linzer Zeitung“. Der Lehrauftra­g als Professor für Orgelspiel sowie Harmoniele­hre und Kontrapunk­t am Konservato­rium der Gesellscha­ft der Musikfreun­de als Nachfolger seines Lehrers Simon Sechter war der Hauptgrund für Bruckners Übersiedlu­ng nach Wien. Die Zweite Symphonie in c-Moll entstand in den Jahren 1871/1872 und wurde als erstes Werk Bruckners am 26. Oktober 1873 in Wien aufgeführt. Der Komponist selbst

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Anton Bruckner in seiner Wohnung in der Wiener Heßgasse.
 ?? ?? Ein Widmungsex­emplar, Fünfte Symphonie, 4. November 1878. Nationalbi­bliothek] [Österreich­ische
Ein Widmungsex­emplar, Fünfte Symphonie, 4. November 1878. Nationalbi­bliothek] [Österreich­ische
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Bruckner mit dem Franz-Joseph-Orden, Fotografie 1891 [Österreich­ische Nationalbi­bliothek]
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Bruckner an der Orgel, Silhouette von Otto Böhler, circa 1890 bis 1895. [Österreich­ische Nationalbi­bliothek]

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