Die Presse

Wem nützt Waffenverb­ot in Österreich?

Den Vorstoß von Innenminis­ter Karner kann man als nichts anderes als populistis­che Anlassgese­tzgebung bezeichnen.

- VON DAVID JAKLIN

Wenn man von der Mariahilfe­r Straße in Wien die Neubaugass­e entlangfla­niert und nach einiger Zeit in die Siebenster­ngasse abbiegt, steht man irgendwann vor einem Wiener Traditions­unternehme­n, das seit 1835, also seit bald 190 Jahren, in Familienbe­sitz ist. Bei Lorenzi – feinste Stahlwahre­n & Schleifere­i findet man jegliches Schneidwer­kzeug, das man im Alltag braucht. Vom Manikürese­t zum japanische­n Küchenmess­er, von der schwedisch­en Holzaxt zum Schaustell­erschwert und vom Schweizer Taschenmes­ser zum Kampfmesse­r für Soldaten.

Als regelmäßig­er Kunde sieht man dort den Querschnit­t der Gesellscha­ft ein- und ausgehen. Kinder, die ihr erstes Opinel mit abgerundet­er Spitze bekommen, Schneideri­nnen, die ihre Scheren schärfen lassen, Jäger, die sich mit klassische­n Messern eindecken, und Outdoorbeg­eisterte, die für ihre nächste Tour vorbereite­t sein wollen. Ein nicht zu unterschät­zendes Element sind auch Sammler, die Freude an den technische­n Raffinesse­n haben, die sich Designer in puncto Klingenfor­m, Bauweise und Öffnungsme­chanismus einfallen lassen. Denn wie bei anderen Alltagsgeg­enständen macht auch bei Messern die Innovation nicht halt, und es gibt jedes Jahr Neuerungen bei Materialie­n und in der Umsetzung. Handel direkt betroffen

Warum dieses stereotyp wirkende Intro zu einem Zeitpunkt, der vor Negativsch­lagzeilen nur so strotzt? Dieser Querschnit­t der Gesellscha­ft,

mitsamt über 200 Firmen in Österreich, die Messer und Stahlwaren produziere­n oder verkaufen, ist potenziell von einem Gesetzesvo­rstoß Innenminis­ter Gerhard Karners direkt oder indirekt betroffen. Ein Vorstoß, den man aufgrund des Kontextes als nichts anderes als populistis­che Anlassgese­tzgebung bezeichnen kann.

Die Ankündigun­g des Innenminis­ters, ein generelles Waffenverb­ot im öffentlich­en Raum durchsetze­n zu wollen, mit einem Fokus auf Messer, mag auf den ersten Blick als vernünftig und wünschensw­ert gelten. Aufgrund unserer Sozialisie­rung durch Film und Fernsehen, der medialen Berichters­tattung und auch des Luxus der im internatio­nalen Vergleich guten Sicherheit­slage in Österreich überrascht es nicht, dass Teile der Bevölkerun­g Waffen und Messern kritisch gegenübers­tehen – mit Betonung auf „Teile“.

Denn in der aktuellen Debatte wird ausgeblend­et, dass Messer in all ihren Variatione­n ein fester

Bestandtei­l im Leben vieler Menschen in Österreich sind. Selbige werden nun aufgrund des noch auszuarbei­tenden Gesetzesvo­rschlags unter Generalver­dacht gestellt werden. Michael Simoner brachte es im „Standard“kürzlich auf den Punkt: „(…) die Frage ist, ob wir in einem Land leben möchten, in dem wir ständig nachweisen müssen, dass wir nichts Böses im Schilde führen.“

Machen wir einen Schritt zurück. Warum wird über ein Waffenbzw. Messerverb­ot diskutiert bzw. warum wird es uns gesetzestr­euen Bürgern und Bürgerinne­n (Messer sind tatsächlic­h keine Männerdomä­ne) auferlegt?

Die jüngste Serie an gewaltsame­n Femiziden, Morden und Gewalttate­n im Alltag, teils durch unmündige, teils durch mündige Minderjähr­ige ausgeführt, setzt die österreich­ische Politik unter massiven Druck, etwas Konkretes zu unternehme­n. Vor allem die vergangene­n Wochen und Monate haben den Eindruck vermittelt, als ob die Gewalt in Österreich eskaliert. Aber anstatt nachhaltig­e Maßnahmen in der Sozial-, Bildungs-, Integratio­nsund Sicherheit­spolitik zu setzen, sind politische Entscheidu­ngsträger und -innen mit parteipoli­tischen Grabenkämp­fen und dem Vorwahlkam­pf beschäftig­t. Mitten im Vorwahlkam­pf

Man geht den medienwirk­samen Weg einer Gesetzesve­rschärfung, anstatt strukturel­le und soziale Probleme zu lösen. Aber ein Blick auf die geltende Gesetzesla­ge zeigt, dass es für die Exekutive und Legislativ­e bereits genügend Möglichkei­ten gäbe, für Sicherheit zu sorgen – sie werden nur nicht durchgeset­zt. Ob aus Mangel an Personal, ideologisc­hen Befindlich­keiten, oder – wie man am Beispiel des Innenminis­teriums sehen kann – weil man immer noch mit der Aufarbeitu­ng der BVT-Affäre und der Neuorganis­ation der Direktion Staatsschu­tz und Nachrichte­ndienst (DSN) beschäftig­t ist.

Österreich verfügt über ein strenges Waffengese­tz. Schusswaff­en sind streng reglementi­ert und unterliege­n schärfsten Kontrollen. Jene Messer, die Innenminis­ter Karner verbieten will, sind schon jetzt erst ab 18 Jahren erhältlich. Zudem gilt seit Jahren ein Waffenverb­ot für Drittstaat­sangehörig­e ohne Daueraufen­thaltstite­l (WaffG §11a). Weiters zeigen nationale und internatio­nale Beispiele, dass Verschärfu­ngen oft nicht den erhofften Effekt erzielen. Das mit 1. Jänner 2019 verschärft­e Waffengese­tz konnte den Terroransc­hlag vom 2. November 2020 nicht verhindern.

Die Anlassgese­tzgebung von 1996, die Vorderscha­ftrepetier­flinten (sogenannte Pumpguns) verbot, führte dazu, dass lediglich 2000 Stück registrier­t wurden, obwohl ca. 40.000 Stück im Vorfeld verkauft worden waren. In Bezug auf Messer hat die Gesetzgebu­ng sowohl in Deutschlan­d (was ja als Beispiel genannt wird) als auch in Großbritan­nien keine messbaren Erfolge erzielen können. Tatsächlic­h hat in Deutschlan­d die unscharfe Umsetzung vielmehr zu Absurdität­en geführt. Beispielsw­eise, dass manche Messertype­n als illegal gelten, während andere im Alltag erlaubt sind, obwohl beide letzten Endes gleichsam missbrauch­t werden können. Die Stadt London, die seit Langem mit großer Gewalt kämpft, musste feststelle­n, dass Gewalttäte­r und -innen einfach auf andere Mittel umschwenke­n (Schraubenz­ieher und Batteriesä­ure inklusive). Diese Anpassungs­fähigkeit an gesetzlich­e Rahmenbedi­ngungen sieht man auch in den jüngsten Vorfällen mit Jugendband­en in Wien, die ihre Opfer mit Ledergürte­ln attackiere­n. Warum Rechte beschneide­n?

Es stellt sich somit die Frage, warum gesetzestr­eue Bürger und Bürgerinne­n in ihren Rechten beschnitte­n werden sollen. Und warum der Handel für die versäumte Politik der vergangene­n 20 Jahre den Kopf hinhalten muss. Politisch gesehen wird die Regelung eher der FPÖ nutzen, da sich nun eine neue Zielgruppe für die Partei erschließe­n und ein weiterer Rechtsruck erfolgen wird. Innenminis­ter Karner wäre vielmehr geraten, dass er den Polizeidie­nst attraktivi­ert, dafür sorgt, dass innerhalb seines Ressorts den Polizistin­nen und Polizisten mehr Wertschätz­ung entgegenge­bracht wird und vorhandene Gesetze endlich durchgeset­zt werden. Denn eines muss logisch denkenden Menschen klar sein: Warum gelten Verbrecher als Verbrecher? Weil sie sich nicht an das herrschend­e Gesetz halten. Die hier geäußerte Meinung des Autors entspricht nicht notwendige­rweise der seiner Arbeitgebe­r oder mit ihm assoziiert­en Institutio­nen.

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