Die sinnlose Sehnsucht nach der Mitte und ihre Misserfolge
Wo ist Andreas Khol, wenn man ihn braucht? Warum er seiner Partei erklären soll, dass bestimmte Slogans der ÖVP noch nie etwas gebracht haben.
Journalismus ist Wiederholung.“Wie sehr, das hat der legendäre Chefredakteur Otto Schulmeister nicht ahnen können, als er diesen Satz durch die Redaktionsräume brüllte. Aus gegebenem Anlass, der neuen Kampagne der ÖVP „Wir. Die Mitte“nämlich, enthüllt ein Blick zurück, dass ein ähnlicher Titel für diese Kolumne – „Die unerfüllte Liebe zur Mitte“– schon verwendet worden ist. Vor knapp 15 Jahren.
Jetzt habe ich nicht nur Schulmeister im Ohr, sondern auch so manchen „Presse“-Leser: Nicht schon wieder ÖVP! Doch, schon wieder.
Das muss sein, denn das Ergebnis für die (noch) größere Regierungspartei bei der Nationalratswahl im September kann für das Land und seine weitere Entwicklung entscheidend sein. Das ist auch etwas überraschend: der Ausgang der Stichwahl um das Bürgermeisteramt in Salzburg morgen, Sonntag. Ein Sieg des Kommunisten Kay-Michael Dankl müsste im Interesse der ÖVP und ihrer Wähler sein, denn eine Niederlage des SPÖ-Kandidaten Bernhard Auinger würde SPÖ-Spitzenkandidaten Andreas Babler noch mehr interner Kritik aussetzen, die Sozialdemokraten weiter schwächen, eher eine FPÖ-ÖVP-Mehrheit im Parlament ermöglichen.
So weit der jetzt so populäre Kontext und warum es gilt, sich wieder mit der ÖVP, ihrem Wahlslogan und somit ihrer Geschichtsvergessenheit und ihrem Hang zur Fehlerwiederholung statt -vermeidung zu beschäftigen.
Mit der ominösen Mitte hat dies insofern ganz konkret zu tun, als die ÖVP schon zwei Mal mit Mitte-Slogans singulär erfolglos war. Sie hatte die Nationalratswahl 1994 mit der „Kraft der Mitte“bestritten, 4,4 Prozentpunkte verloren, was zusammen mit den stärkeren Verlusten der SPÖ die damalige Regierung die Zweidrittelmehrheit kostete. 2010 war dann überhaupt das Jahr der Mitte für die ÖVP. Die Bundespartei stellte ihr Fest zum 65. Geburtstag unter das Motto „Mitte ist, wer vorn ist“; die neue Obfrau der Wiener ÖVP, Christine Marek, sprach von der „starken Kraft der Mitte, die wieder Visionen, Werte und Bewegung nach Wien bringen wird“. Dort kam sie jedoch nie an, die Kraft. Christine Marek auch nicht wirklich, nach kürzester Zeit war sie wieder weg. Acht Jahre später sprach der damalige Bundeskanzler, Sebastian Kurz (ÖVP), vor der EU-Wahl 2019 beim Kongress der Europäischen Volkspartei (EVP) ebenfalls von der „starken Kraft der Mitte“. Auch damals war die Beschwörung der Mitte erfolglos. Die EVP musste deutliche Verluste hinnehmen.
Und jetzt also zum vierten Mal. Ihre Sehnsucht nach der Mitte hat die ÖVP über die Katastrophenmarke von 20 Prozent in den Umfragen gedrückt. Als Erfolgsrezept kann das nicht durchgehen.
‘‘ Kann es sein, dass der Mangel an Facharbeitern auch in der Politik voll durchschlägt?
Es ist schon faszinierend. In der Politik wird offenbar nicht nur eine einmal erfolgreiche Linie ständig fortgeschrieben, auch wenn geänderte Situationen eine Neuorientierung erfordern, sondern es gilt auch das Gegenteil: Auch Misserfolge werden ständig wiederholt. Heute ist so wenig klar wie vor 15 Jahren, welche Wählermassen die ÖVP in der Mitte zu finden hofft. Wo ist Andreas Khol, wenn man ihn braucht? Er könnte doch den offenbar zu jungen Werbeteams erklären, wie man bei Wahlen mit Mitte-Slogans scheitern kann. Er hat es erlebt.
Aber nicht nur in der ÖVP sind diese Wiederholungstäter unterwegs. Was sie in der SPÖ mit der Demontage Pamela Rendi-Wagners und der Nörgelei an Andreas Babler, getarnt als Sorge um die Sozialdemokratie, angerichtet haben, wird sich in nächster Zeit zeigen; noch deutlicher als zuletzt, sollte am Sonntag ein Kommunist in das Schloss Mirabell in Salzburg einziehen. Warum in aller Welt sind die Apparate der beiden Parteien so fantasielos? Kann es sein, dass der Mangel an Facharbeitern auch bei ihnen voll durchschlägt – aus Mangel an Attraktivität des Arbeitsplatzes? Wenn dem so ist, dann hat Österreich ein veritables Demokratieproblem. Übrigens: Auch der Satz ist eine Wiederholung.