Warum sagen wir vieles durch die Blume?
Man stelle sich folgende Situation vor: Freunde sind zum Abendessen auf Besuch, es wird getrunken, es wird gelacht. Und es wird spät. Irgendwann sind die Gastgeber müde. Doch anstatt zu sagen: „Bitte geht nach Hause“, wird herumgedruckst, gegähnt, der Tisch abgeräumt oder ein blumiges „Ich bin schon sehr müde“gemurmelt.
Warum wir in solchen Situationen nicht unverblümt mit der Wahrheit herausrücken, sondern bestimmte Aussagen verschlüsselt überbringen, erklärt die Slawistin Renate Rathmayr wie folgt: „Unangenehme Dinge werden gern verpackt, um das Gegenüber nicht zu verletzten. Außerdem ist es viel einfacher, dem zuzustimmen, was sich eine andere Person wünscht, anstatt abzulehnen.“Auch kann es sich um einen kulturell antrainierten Akt der Höflichkeit handeln – ein Spezialgebiet der WU-Wien-Professorin. Sie weiß: Es gebe viele Möglichkeiten, Nein zu sagen, und in Österreich sei man besonders kreativ. „Da werden Floskeln verwendet, wie ,Ich tue mein Möglichstes‘ oder ,Ich muss das mit meinen Geschäftspartnern besprechen‘ sowie informell das beliebte ,Schau’ ma mal‘. Ebenso beenden wir Gespräche, die uns nicht mehr interessieren, eher durch die Blume, etwa mit ,Ich muss leider los, besprechen wir das ein andermal‘.“ Stark kulturspezifisch
Das ist nicht überall so. „In Österreich redet man gern um den heißen Brei herum, die deutschen Nachbarn sagen es direkt, und in der russischsprachigen Kommunikation ist ein ,Njet‘ noch lang kein ,Njet‘.“Dort kann sich ein direktes in den Raum geworfenes
Nein bei weiterem Insistieren in ein umso blumigeres Ja verwandeln. Indirekte Kommunikation sei eben stark kulturspezifisch. „Prinzipiell kommuniziert man in Russland sehr direkt, beim Essen ist aber nur eine vorgebrachte Leberkrankheit ein akzeptierter Grund, um nicht aufzuessen.“Unterschiede zeigen sich auch bei Entschuldigungen, die im Deutschen indirekt, als Akt der Höflichkeit, verwendet werden: „Wir sagen: ,Ich war krank und konnte das nicht machen, bitte entschuldige.‘ Das macht man in Russland nicht, weil, wenn ich krank bin, mich keine Schuld trifft.“
Um also in einer Fremdsprache durch die Blume sprechen zu können, müsse man diese sehr gut kennen, „sonst kann es schnell schiefgehen“, erklärt Rathmayr. Ein wohl weltweites Phänomen hingegen dürfte der Umgang mit dem Fragen nach dem Weg sein: „Leute werden oft kreuz und quer durch die Stadt geschickt, nur weil niemand zugeben möchte, den Weg nicht zu wissen.“Jeder will eben als möglichst hilfsbereit und kompetent gelten. Indirekte Äußerungen eröffnen außerdem die Möglichkeit eines nachträglichen Rückzugs à la „Ich habe eh nicht Nein gesagt“.
Welche Auswirkungen diese Formen von indirekter Kommunikation auf zwischenmenschliche Beziehungen haben können, zeigen etwa die durch die #MeToo-Bewegung aufgekommenen Vorfälle. „Wenn ein Nein nicht als Nein interpretiert wird, weil man meint oder vorgibt, es sei eh ein Ja, dann wird es schnell schwierig. Und gefährlich.“In harmloseren Situationen könne es nerven und Kommunikation verkomplizieren. „Einfacher ist es, Dinge geradeheraus zu sagen, aber man stößt damit vielleicht jemanden vor den Kopf.“
„Leute werden oft kreuz und quer durch die Stadt geschickt, nur weil niemand zugeben möchte, den Weg nicht zu wissen.“ Renate Rathmayr Slawistin, WU Wien