Die Nebenwirkungen des Fortschritts
Wie verändert künstliche Intelligenz wissensbasierte Tätigkeiten? Fallstudien in unterschiedlichen Branchen zeigen viel mehr selektiven Einsatz als die große Revolution.
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Es war einst ein Österreicher, der den Begriff der Wissensarbeit prägen sollte. Der 1909 in Wien geborene, 1937 in die USA emigrierte Peter Drucker sagte in seinem Werk „Die Zukunft bewältigen. Aufgaben und Chancen im Zeitalter der Ungewissheit“1969 die wachsende Bedeutung intellektueller, also nicht auf Körperkraft basierender Tätigkeiten voraus.
„Wissensarbeit meint kognitive, Kreativität erfordernde Aufgaben“, erklärt Stefan Strauß, der in seiner aktuellen Forschung sich wandelnde Arbeitspraktiken in Zeiten der künstlichen Intelligenz (KI) untersucht. Wie schätzen Branchenvertreterinnen und -vertreter die neuen Technologien ein? Bringen sie mehr Effizienz? Was gilt es zu beachten? Fragen wie diese will er im Projekt „Critical AI Literacy“(kurz: „Cail“) – zumindest ein Stück weit – beantworten. „Wir haben als Gesellschaft ein Stadium erreicht, in dem sich Tätigkeiten automatisieren oder teilautomatisieren lassen, die man vorher nicht automatisieren konnte“, sagt er. Eine neue, entscheidende Schwelle für die Wissensarbeit also. „Erst verstehen lernen“
Sie interessiert Strauß, der am Institut für Technikfolgen-Abschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften forscht, auch, weil sie eine Lernphase sei: „Wir wissen noch nicht so genau, wo die Reise hingeht. Es gibt sehr viel Potenzial, über das wird sehr viel geredet. Mich interessieren auch die Probleme – und wie man ihnen begegnen kann.“Er warnt vor zu viel Euphorie: „Zu glauben, KI kann alles automatisieren, ist ein Holzweg.“
Hinter der für eineinhalb Jahre von der Arbeiterkammer Wien finanzierten Analyse steht jedenfalls die Idee, kritische Technikkompetenz in Betrieben zu stärken. „Wir haben es mit einer neuen Art der Automatisierung zu tun, die müssen wir erst verstehen lernen.“Dazu führt Straß u. a. Interviews in Medizin, IT-, Medien- oder Softwareunternehmen. Was die Branchen eint: Überall sei schnell von Revolution
die Rede, doch gehe man ins Detail, erkenne man lediglich eine Automatisierung kleinerer Tätigkeiten, sagt Strauß. Entscheidend sei das Expertenwissen hinter einem
Wir wissen noch nicht so genau, wo die Reise hingeht. Stefan Strauß, Institut für Technikfolgen-Abschätzung, ÖAW
Thema: Ist es etwa bei klassischen Bürotätigkeiten weniger ausgeprägt, glaubten die Unternehmen eher an das Potenzial der Automatisierung. Doch gerade das brachte mitunter Probleme. „Wer will nur schlecht formulierte EMails hinausschicken den ganzen Tag?“, fragt der Forscher. Selbst in der Softwareentwicklung gewinne das Programmieren derzeit durch KI nur sehr eingeschränkt an Effizienz
– ein Befund, der Strauß überraschte. „Die Rechnung geht nicht auf, weil so zwar manches schneller geht, das Resultat aber oft sehr schlecht ist. Basisroutinen funktionieren, aber man ist weit davon entfernt, ein qualitativ hochwertiges Programm zu schreiben“, sagt der Wirtschaftsinformatiker. Und Qualitätskontrolle kostet Zeit. Vieles ist erfunden
Auch im Journalismus beobachtete Strauß Vorsicht: Textunterstützung sei hier schon länger Thema, aber zumindest in Österreich lasse noch niemand KI vollautomatisiert einen Artikel verfassen, der gleich hinausgeht: „Da gibt es viele klar definierte Prozessschritte, um die Qualität zu sichern.“Wo es valide Daten gibt – etwa rund um Wahlen – sei Unterstützung denkbar. Auch in der Forschung habe KI viel Potenzial bei der Aufbereitung von Daten, bei der Recherche oder der Zusammenfassung von Ergebnissen aber nur bedingt. „Man bekommt zwar etwas heraus, aber das ist meist erfunden.“In der Medizin gibt es bereits einige Anwendungen.
Doch selbst hier wirke KI in erster Linie als Assistenz: „Sie berechnet etwa den optimalen Platz, wo man in der MRT-Röhre liegen muss für ein gutes Ergebnis. In der Tumorerkennung gibt es sehr großes Potenzial für Diagnosen, weil KI Muster sehr gut erkennen kann. Bei Prognosen wird es aber deutlich komplexer, da ist noch nichts in Betrieb.“Und letztlich entscheide immer der Mensch.
„Ob sich die Erwartungen erfüllen, hängt stark von der Branche und der Art der Tätigkeit ab“, sagt Strauß. Aktuell gehe es vor allem darum, KI sinnvoll in Unternehmen einzubetten. Und: Es brauche mehr kritische KI-Kompetenz und ein Selbstverständnis, dass KI keine Magie ist, sondern eine Automatisierungsform, die es zu begreifen gilt, um Prozesse gut zu gestalten – für Menschen und Betriebe.
Managementpionier Peter Drucker soll auch auf die Bedeutung der Zeit für den Leistungsprozess hingewiesen haben. Die Hoffnung, dass sich diese irgendwann besser nutzen lassen könnte, wenn die KI neue Freiräume schafft, bleibt. In der Medizin nutzt man künstliche Intelligenz schon. Die Letztentscheidung hat aber stets der Mensch.