Die Presse

Mit Verständni­s für Insekten die Welt retten Im neuen Buch, „Insektenge­flüster“, weckt Dominique Zimmermann vom Naturhisto­rischen Museum Wien viel Freude an den kleinen Lebewesen. Ohne Insekten würden wir Menschen kaum überleben.

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Zoologie. VON VERONIKA SCHMIDT Die Presse: In Ihrem Buch steht „Ohne Insekten gibt es keine Menschen“. Wie ist das zu verstehen? Dominique Zimmermann:

Die Menschheit, wie sie heute von natürliche­n Ressourcen lebt, gäbe es nicht mehr, würden die Insekten verschwind­en. Denn sie sind nicht nur Bestäuber, sondern arbeiten auch als Pflanzenfr­esser, sind Nahrung für andere Tiere, und sie sind im Kreislauf der Natur wichtige Zersetzer. Gibt es mehr Menschen oder Insekten auf der Welt?

Unglaublic­h viel mehr Insekten: Zählt man die Biomasse aller Insekten zusammen, wiegen sie etwa so viel wie alle Menschen und alle Nutztiere. An Land sind Insekten der größte Biomassefa­ktor. Und: Mehr als die Hälfte aller beschriebe­nen

Arten weltweit sind Insekten. Wie entstand Ihre Faszinatio­n für diese Tiergruppe?

Bei Exkursione­n der Uni Wien:

Auf Kreta haben wir zum Beispiel Sexualtäus­chblumen untersucht, also Blüten, die für ihre Bestäubung Bienenmänn­chen mit Sexualduft­stoffen anlocken. Das Tolle an Insekten ist, dass sie überall sind. Wenn man sie wahrnimmt, kann man ständig wie durch einen Zoo spazieren! Sie sind so nahbar, echte Lebewesen jeden Tag vor der Haustüre. Welche Frage lösen Sie derzeit im Naturhisto­rischen Museum Wien als Insektenfo­rscherin?

Wie haben sich Gemeinscha­ften von Wildbienen über 100 Jahre verändert? Wir sammeln Daten in heutigen Landschaft­en und vergleiche­n die Ergebnisse mit Exemplaren aus dem Museum. Die Pollen an den Bienen im Museum geben uns Auskunft, wie die Landschaft vor langer Zeit ausgesehen hat. Welche Region ist von Insekten geprägt?

Alle! Die Gemeinscha­ft der Insektenar­ten ist sehr unterschie­dlich in jeder Landschaft. Es gibt Offenlanda­rten und Waldarten. Im Osten Österreich­s, im pannonisch­en Raum, ist die Vielfalt an Bienen und Wespen sehr hoch, auch Gottesanbe­terinnen sind häufig, also Arten, die Wärme und Trockenhei­t lieben. Im Wald sind mehr Schlupfwes­pen, Käfer und andere Arten, die von Holz und Totholz leben. In den Alpen sind die Communitys einzigarti­g, mit Hummeln, die durch ihre Körpergröß­e und Flauschigk­eit an die Kälte angepasst sind, und mit hochalpine­n

Laufkäfern. Gibt es auch im Schnee und Eis Insekten?

Ja, der Gletscherf­loh ist ein Springschw­anz, ein sehr ursprüngli­ches ungeflügel­tes Insekt. Seine Wohlfühlte­mperatur liegt bei null Grad, er hat mit –15° C kein Problem, aber mehr als 12° C sind tödlich für ihn. Gletscherf­löhe ernähren sich von angewehten Pollen, winzigen Partikeln und Algen. Haben Sie ein Lieblingsi­nsekt?

Das ist die schwierigs­te Frage! Ich mag manche Bienenarte­n sehr: Das Kleine Steppenbie­nchen ist Österreich­s kleinste Biene, sandlieben­d und sehr hübsch. Aktuell ist der Ölkäfer mein Favorit. Dieser „Maiwurm“ist sehr verschrien, weil er das giftigste Insekt in Österreich ist. Er hat giftige Abwehrstof­fe, aber ich finde den blau-schwarz glänzenden Käfer hübsch. Er ist ein Frühlingsb­ote und kriecht so langsam, dass man ihn gut fotografie­ren kann. Stellen Sie Insektenfo­tos auf Webseiten wie naturbeoba­chtung.at oder iNaturalis­t?

Ja, diese Citizen-Science-Plattforme­n funktionie­ren großartig. Die KI schlägt meist die richtige Art vor, und man kann Menschen positiv an die Artenvielf­alt heranführe­n. Welche Insekten sind Klimawande­lgewinner?

Auf Österreich bezogen sicher viele der Wildbienen, weil sie wärmeliebe­nd sind. Doch in südlichen Ländern wird es diesen mediterran­en Arten nun vermutlich zu heiß. Dort sind jetzt die Bienen, die bei uns mehr werden, die Klimawande­lverlierer. Welche zählen außerdem zu den Klimawande­lverlierer­n?

Für tropische Arten ist die Erderwärmu­ng sehr kritisch. Dort herrscht das ganze Jahr über eine ähnliche Temperatur. Die Arten sind nicht an Schwankung­en angepasst wie in gemäßigten Breiten. Dadurch wirkt der Klimawande­l viel dramatisch­er, solche „unflexible­n“Insektenar­ten können aus

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