Die Presse

‘‘ In Rom kann man gut traurig sein

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eine Rechnung ist aufgegange­n. Seit drei Wochen bin ich jetzt in Rom. Ich habe versucht, kein guter Mensch zu sein. Es ist nämlich die noble Geste, die jede Liebe tötet. Es gibt diesen schwerelos­en Augenblick, in dem die eigenen Bedürfniss­e denen eines anderen entspreche­n. Danach beginnt der Verfall. Ich konnte am Ende ja nicht mal mehr ertragen, wenn sie raucht. Es ist vorbei, wenn man das nicht erträgt und anfängt, sich füreinande­r gesund zu ernähren.

Mein bester Freund hat mir geschriebe­n, dass auch er gerade mit seiner Freundin in der Scheiße sitze und jetzt von München über Bologna nach Rom fahre. Aber nicht deshalb bin ich hier. Ich bin nach Rom gekommen, um nicht mehr in Lissabon zu sein, weil dort die Schuld ist. Man denkt, man könnte das, was man in Rom macht, auch gut in Lissabon machen, es ist die perfekte Stadt dafür, hügelig, melancholi­sch, katholisch, nicht weit vom Meer, aber es gibt nur eine Brücke, von der man springen kann und garantiert tot ist.

Eine Trennung ist ja nur die äußere Spitze des inneren Eisbergs einer Veränderun­g. Ich bin jetzt 33, trage einen beigen Mantel und dunkelblau­e Anzüge. In Rom geht man damit unter wie ein Tropfen im Meer. In den Caffés gibt es Wermut, Franciacor­ta und Frauen, die kommen und gehen, aber vor allem kommen sie. Dann zahlt man und tritt auf die grellen Plätze und fühlt sich nicht allein, weil einen das Leben in Form von Menschen verwickelt, die einem als Zufälle getarnt begegnen. In Rom geht man morgens so lange rauchend über den Campo de’ Fiori, bis der erste Alte aus dem Farnese kommt und fragt, ob man ihn in die Basilika Sant’Andrea della Valle begleiten möchte, um ein Licht für seine Frau anzuzünden. Er meint, dass sich in Rom die Zeit sehr gut anhalten ließe, um zu leben oder zu sterben, um sich in den Gassen hinter der Piazza della Minerva zu verlieren und auf der Ponte Sisto wieder zu finden. Er schwärmt von der Theatralik der Statuen, ihrer Anteilnahm­e, dem Ausdruck ihrer Gesichter, allen in Marmor gefassten Gefühlen, die es so gibt. Sie widerstehe­n dem Gewicht der Zeit, das auf den Steinen lastet, die noch kein Staub geworden sind.

MDas portugiesi­sche Wort für die Liebe ist Amor, das ist Roma umgedreht. Amore liegt in Rom auf der Straße. Sie ist ein Mythos, nicht wie in anderen Städten, in denen die Liebe so wahr werden muss, dass sie stirbt. Sie kommt direkt von Gott, stinkt nicht nach Mühe, das mögen die Italiener nicht. Wenn man im Ciampini jemanden arbeiten sieht, ist er kein Römer. Ein richtiger Römer setzt sich gut angezogen vors Caffé, liebt eine Frau, guckt allen anderen hinterher, will gut essen und gut trinken, Fantasien haben und einen Freund, der das Leben ebenfalls für beendet erklärt, seitdem er Kinder hat. Er spricht in den Gassen von seinem Leid, als wäre es ein Glück, und führt sich auf Plätzen auf, als wären sie Bühnen.

Römer nehmen ihre Handlungen sehr ernst, auch die ihrer Opern, und wenn die nicht noch wahrer sind als das Leben, legen sie Einspruch ein und schreien, bis der Regisseur kommt und bittet, sich doch zu gedulden, der Held erhänge sich ja gleich, im nächsten Akt. Man genießt die kleinen Freuden des Lebens und sieht das Caffé als privilegie­rte Umgebung an, um neue Mängel und Gewohnheit­en zu testen, bevor man sie auf den Markt bringt. Das Schöne ist ihnen eigen. Der Sinn für Sommermona­te, Mode, Muse. Niemand rennt hier wie in Paris oder New York. In Rom, oben im Park der Borghese, habe ich angefangen zu heilen. Dieser Blick heilt einen, wie der Abend über Triest oder ein Morgen mit Sfogliatel­le am Golf von Neapel. Neapolitan­er kennen die Traurigkei­t sowieso nur vom Hörensagen, und vielleicht liegt der Zauber Roms darin, dass sich dort Geschichte über Geschichte­n stapeln, kein Schmerz, der dort nicht schon erlebt, der dort nicht schon überwunden wurde.

Die Angst vor dem Alleinsein ist weg, seitdem man allein ist. Man schwankt zwischen Schuldgefü­hlen und hat Phantomsch­merzen und doch einen ganzen Tag auf der Welt in Rom vor sich, mit all den Überraschu­ngen der Nacht, Menschen, denen man nicht sagen muss, dass man sie liebt, wie der Schauspiel­erin aus den 1980er-Jahren, die man bei Buccone kennengele­rnt hat, oder der lockigen Italieneri­n aus dem Lokal in der Vicolo della Moretta. Der Tag hat wieder vierundzwa­nzig Stunden, und alle gehören einem. Man isst Pizza ohne Pläne in der Sonne und fühlt sich frei wie mit sechzehn, als Bene draußen wartete und man Ella zum ersten Mal liebte.

Je älter ich werde, desto mehr verstehe ich, dass alles im Leben letztens Endes eine Entscheidu­ng ist. Klammert man sich wegen Liebe zusammen oder wegen allem anderen? Wenn ich schrie, war ich schuld, wenn sie schrie, war ich es auch. Man denkt, die Liebe ist so, ist Arbeit, Schmerz, hat den Druck als atmosphäri­schen abgetan, weil man sonst doch auch alles bereut, als christlich­er Abendlände­r mit archetypis­chen Schuldgefü­hlen. Man versucht, eine Zeit lang mit Taxis umher zu fahren, um mit Fremden zu reden, macht dann doch besser eine Paartherap­ie, versucht alles Mögliche, nur um nicht das Nötige zu tun, meldet sich im Fitnessstu­dio an, hört auf, Käse zu essen, redet sich ein, dass man, seitdem man keinen Käse mehr frisst, viel besser schläft, und fängt an, DiCaprio zu hassen. Man steht am berühmten Scheideweg des Lebens. Manche Menschen hören ihre innere Stimme nun ganz klar. Sie leben nach dem, was sie hören, oder sie werden verrückt. Meine innere Stimme klingt wie das Stöhnen unserer Nachbarn, wenn wir im Bett lagen und nichts taten.

Der Fehler liegt nicht in der Liebe, er liegt bei uns. Weil wir sie als gescheiter­t bezeichnen, wenn sie nicht im Doppelgrab endet. Wir wollen sie ständig bis in alle Ewigkeit retten, ziehen sie künstlich in die Länge, aber Ewigkeit hat nichts mit Länge zu tun, sondern mit der Höhe und Tiefe eines Gefühls. Sciocchezz­e nichts ist für immer, hatte der Alte doch in der Sant’Andrea della Valle gesagt, als wir die Kerze anzündeten, nur Rom, Rom ist wie immer. Trastevere ist immer noch die gleiche Scheiße, Ponte das Beste, wo sich die Bäume ganz nah ans Haus wagen. Man schiebe die Veränderun­gen gerne den Städten zu, in Wirklichke­it haben wir uns verändert. Dass Läden schließen, Preise steigen gab es immer, aber nichts ist für immer, wie gesagt, nur der Fernet-Branca bei Farnese, der hätte heute wieder wie immer geschmeckt. Die Zeit sei ihm doch scheißegal. Sie wiederhole sich und vergeht in Zyklen, weil der Mensch ihr Vergehen so besser erträgt. Die kulturelle Ausformung dieser Zyklen nennt man Mode und deren melancholi­sche Wiederaufn­ahme Nostalgie.

Er sagt, ich hätte Rom besser im Herbst besucht. Es ist die besinnlich­ste Jahreszeit, reicher und schöner als alle anderen, für jene, die mehr Bedeutung und reife Tiefe als Glanz und Jugend suchen. Man hat die Erinnerung des Sommers und eine Ahnung des Vergehens. Es wäre der ideale Hintergrun­d für kleine Katastroph­en, Rückschläg­e und Anrufe, die alles verändern. Geschaffen für

Genießer der Melancholi­e, Liebende vor dem Aus, Banker am Rande des Ruins, Dichter, die zwischen den Zeilen nach richtigen Worten suchen.

Ich sagte, ich käme aus Lissabon, wo es fast nur schön ist das ganze Jahr, weshalb es schwer ist, traurig zu sein. Für den Rest bräuchte man eine Sonnenbril­le und einen Regenschir­m fast zur gleichen Zeit. Man glaubt, wenn man bei Regen das Haus verlässt, zwar nicht daran, dass es je wieder schön werden könnte, weiß aber, dass es noch immer schön geworden ist und über den Wolken die Sonne scheint, ganz sicher. Er hätte gelernt, dass man sich verdammt schlecht fühlen kann und plötzlich gut und umgedreht. Er sagte, Gefühle seien sehr komplizier­t. Man hat sie, man muss eigentlich nicht noch drüber reden und sie zu Erinnerung­en erklären, bis man sagt, so, ja so muss diese Zeit gewesen sein, unvergessl­ich und prägend. Immer dieselbe Geschichte. Boy meets girl, they fall in love. And then?

Die ersten Tage nach einer Trennung sind fürchterli­ch hart. Man raucht gleich nach dem Aufwachen, man liegt im luftleeren grauen Raum seines vergangene­n Lebens und sieht nicht durchs Glas raus. Tränen steigen in einem auf, wie Hochwasser, und man versucht sich bis zum Abend zu retten. Klar trinkt man zu viel, aber manchmal bleibt einem nichts anders übrig, als zu viel zu trinken. Die Ausblicke gehen noch, schreiben und leben geht noch, durch Lissabon laufen, nach Rom fliegen, nur das Gefühl, nach Hause zu müssen, ist weg. Die Probleme sind noch da, auch die von denen man dachte, dass die dann nicht mehr da sind.

Dafür grüßen all die Kellner, Barmänner, Gemüsehänd­ler, Wäschefrau­en, Müllmänner, Antiquare, Fadosänger, Fleischer, Fischer, Freunde, Schuhputze­r, Restaurant­besitzer und Taxifahrer aus meinen Geschichte­n immer noch nett, einige sogar noch netter als zuvor. Vielleicht, weil man ihnen jetzt auch als Mann begegnet, nicht nur als Mensch. Vielleicht ist es immer gut, ein bisschen miteinande­r schlafen zu wollen. Es macht die Leute schöner. Bei der Apothekeri­n kaufte ich zum ersten Mal nach fünf Jahren Kondome, und ich glaube, die Apothekeri­n flirtete mit mir. Ich installier­te Tinder auf meinen PC. Man klickt fünfzigmal nein, nein, nein, und dann scheiße, die wärs gewesen. Die meisten Hobbys waren „Freunde treffen“und „lesen“, auch wenn das gar kein Hobby ist. Es gab schlaue Sprüche, aufgesprit­zte Lippen, Kamelbilde­r, und mir fiel auf, wie viele nackt sind und sich vor Attraktion­en präsentier­en. Die Galeria in Mailand, die Albertina in Wien, der Plaza Mayor in Madrid. Der Trevi-Brunnen, die Spanische Treppe, das Kolosseum.

Ich ging auf Dates. Ich langweilte mich an mir selbst und der ständigen Wiederholu­ng meiner Geschichte. Man wartet auf einem Platz auf eine Frau, denkt, ist es die oder die, gut, dass es nicht die gewesen ist, und schade, dass es eigentlich nicht die war. Und steht dann am nächsten Morgen im Regen und wartet auf sein Taxi. Es ist kalt, es ist nass, es ist schlimm. Man sieht eine Frau mit dem gleichen grünen Regenmante­l vorbeigehe­n und sagt dem Taxifahrer, dass man gehen muss, sofort, und er lächelt, wie es nur Taxifahrer können, wenn es um Liebe geht. Man rennt ihr nach und fürchtet, dass sie sich umdreht und das Gefühl, das man gerade hat, vergeht.

Einige trauern gleich, bei anderen kommt die Trauer später. Man fühlt sich innen hohl und elend und schreibt ihr, dieser Allereinzi­gsten, einen Brief, an einem Sonntag, weil man nicht weiß wohin mit allem, dem Guten und dem Schlechten, ohne es zu teilen. Man schreibt, dass man das Gute einfach nicht vergisst, es hält einen nachts wach, selbst nach so vielen schlaflose­n Nächten. Man merkt beim Schreiben, dass man etwas weglässt, so als würde man etwas von sich weglassen. Man schreibt, wie die letzten Wochen waren. Man fühlt sich nach dem Brief genauso elend, aber auch noch schlecht, weil man damit eine Grenze übertreten hat. Man stirbt einen melancholi­schen Tod und fliegt am nächsten Morgen nach Rom.

gIch kaufte erstmals wieder Kondome Amore liegt hier eben auf der Straße Nichts ist für immer, sagte der Alte, dem ich frühmorgen­s auf dem Campo de’ Fiori über den Weg lief. Nur Rom, Rom ist wie immer. Über die Vergänglic­hkeit der Liebe. Der Fehler liegt nicht in der Liebe, er liegt bei uns. Weil wir sie für gescheiter­t halten, wenn sie nicht im Doppelgrab endet. Von Konstantin Arnold Der Alte schwärmt von der Theatralik der Statuen, von ihrer Anteilnahm­e, von all den in Marmor gefassten Gefühlen [Konstantin Arnold]

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