Wo das Gebet mit „Mahlzeit“endet
an kann sagen, die beiden haben es „geschafft“. Die Autorin, die als Juristin arbeitet, unter dem Namen Toxische Pommes sowohl Instagram als auch Tiktok aufmischt und jetzt mit ihrem Debütroman in aller Munde ist. Und auch ihre Ich-Erzählerin, die in „Ein schönes Ausländerkind“Karriere macht. Weil darum geht es ja, oder? Es irgendwie zu schaffen. Die Integration. Den Aufstieg. Obwohl man woanders geboren wurde und Österreichisch nicht die Muttersprache ist und nicht die Vatersprache. Der Druck kommt von überall her. Von der Umgebung, etwa von Renate, bei der die Familie des Mädchens einquartiert ist, Kost und Logis gegen Kinderbetreuung, Haushaltsführung und Sich-Herumkommandieren-Lassen. Vom Lehrer, der dem Mädchen für seine Hausübungen immer vier Stempel gibt, höchstes Lob (und dann empfiehlt, sie in die Hauptschule zu schicken). Und auch vom Vater, der sie anspornt, davor warnt, dass sie, sollten ihre Bemühungen nachlassen, jederzeit von anderen überflügelt werden könnte. Sie soll sich nur an die Geschichte von der Schildkröte und dem Hasen erinnern!
„Ich hatte meinen Teil des Integrationsversprechens eingehalten. Ich hatte den Ausländer in mir erfolgreich wegintegriert. Ich war weiß, christlich und aß gerne Schweinefleisch. Ich hatte immer nur gelernt und gearbeitet, war nie krank gewesen, hatte ein Semester unter Mindestzeit studiert, einen Doktortitel und Schlafprobleme seit ich fünfzehn war.“Sie war ein schönes Ausländerkind. Jetzt ist sie dazu noch eine kluge Ausländererwachsene. Nur wird sie irgendwann – das steht im Prolog, also verraten wir hier nicht zu viel – ihren Computer im Ministerium lediglich dazu verwenden, um im Internet nach Designertaschen zu stöbern (InstaFollower kennen den Schmäh schon). Sie tut das so ausgiebig, dass der Chef ihr auf die Schliche kommt. Irgendwann reicht es dann auch mit der Anpassung.
Das ist die eine Geschichte, von der dieser in Teilen autofiktionale Roman erzählt, und zwar schlüssig und oft komisch, freilich mit ein paar Längen, vor allem wenn Toxische Pommes über den Aufenthalt bei der schrecklichen Renate schreibt – obwohl die Verwunderung darüber, dass in diesem Land das Tischgebet mit einem „Mahlzeit“endet, schon sehr lustig ist.
Die andere Geschichte erzählt von ihrem Vater. Und hier wird das Buch dicht, verstörend und zart. Dieser Vater ist seit der Flucht der Familie vor den Jugoslawienkriegen ein „unfreiwilliger Feminist“, der den Haushalt schupft, während seine Frau arbeitet. Er ist Papa. Durch und durch. Liebender, fordernder, nervender Papa, der sofort loszieht, als er hört, dass in einem Spielwarengeschäft Feuer ausgebrochen ist, und günstig die vom Rauch streng riechenden Barbies aufkauft. Er weiß,
Mwie gerne seine Tochter damit spielt. Später wird er ihr lästig sein. Später wird er, wenn sie Hausaufgaben macht, seinen Sessel an ihren Schreibtisch rücken, um ihr über die Schulter zu schauen, aber nicht, weil er sie kontrollieren möchte oder ihr helfen könnte, sondern um selbst zu lernen. Denn daran scheitert er. An der deutschen Sprache. Und seine Tochter sieht ihn scheitern.
Nur im Sommer, wenn die Familie die frühere Heimat besucht, blüht er auf: „Hier war er nicht nur ein schlecht integrierter Vater, der sich zu Hause vor der Welt versteckte, sondern er war Schulkamerad, Freund, Bruder und Sohn.“
Der Vater, aber auch das ganze Buch, ist am lebendigsten dann, wenn die Grenze von Österreich überschritten wird. Großartig die Beschreibung der Fahrten mit dem klapprigen Renault 4, in dem hinten noch keine Gurte eingebaut sind. Und weil es keine Klimaanlage gibt, verdeckt man die Seitenfenster mit bunten Geschirrtüchern. Dann die Raststätten, wo man die faltige weiche Kaisersemmeln
und viel zu harte Eier auf dem Autodach ausbreitet – zum Glück haben sie Geschirrtücher dabei – und so verzehrt. An der Grenze muss das Kind sich schlafend stellen, damit die Grenzbeamten sie nicht aufhalten, der Vater versucht es mit Scherzen, und die Mutter spielt die vernünftige Beifahrerin, die einlenkt, wenn die Witze zu weit gehen. Das sind köstliche Szenen.
Und dann ist die Familie zu Besuch bei der Großmutter, Baba Hajdana, die schon fast ihr ganzes Leben ausschließlich Schwarz trägt. „Lediglich zum Schlafen zieht sie die bunten Pyjamas mit lustigen Aufschriften oder niedlichen Tiermustern von C&A an, die ihr meine Mutter jeden Sommer aus Wiener Neustadt mitbringt.“Der erste Sohn ist als Fünfjähriger an Leukämie gestorben. Der zweite ist „im falschen Land an Corona erkrankt“. Ihren Mann haben die selbstgedrehten Zigaretten ins Grab gebracht, „die er jeden Tag reihenweise inhaliert hat, um sich nach der dritten Schicht in der Stahlfabrik von den giftigen Metalldämpfen zu erholen“.
Wir reden oft von Schicksal. Aber manchmal ist Schicksal nur ein anderes Wort für Armut und staatliches Versagen.
Es gibt ästhetisch avanciertere Romane, die das Aufwachsen in einer Heimat beschreiben, die nicht auch die Heimat der Eltern ist: Saša Stanišić fand in „Herkunft“ungewöhnliche und trotzdem naheliegende Bilder, wenn er davon erzählte, wie seine Eltern am Vorabend des Bürgerkriegs in Višegrad tanzten. Dinçer Güçyeters „Unser Deutschlandmärchen“, für das der Autor vergangenes Jahr den Preis der Leipziger Buchmesse erhielt, ist eine tief poetische, mit allen Stilen spielende Annäherung an seine Mutter. Bei Toxische Pommes finden sich immer wieder Sätze, die gestelzt sind bzw. schlecht lektoriert: „Die leise Absurdität meiner Idee hatte ich zwar bereits in dem Moment vermutet, sobald ich sie laut ausgesprochen hatte. Doch als meine Mutter meine Annahme auch noch bestätigte, brach ich in Tränen aus. Im Übrigen sollten sich Fehler wie „Gestankoch“statt „Gestank noch“oder „immer,vergeblich“statt „immer vergeblich“in keinem Buch finden.
Doch dafür kann die Autorin nichts. „Ein schönes Ausländerkind“ist jedenfalls ein Buch mit viel Witz und einem schmerzenden Tochterherz. Und es ist schön, dass es Mutter und Vater gewidmet ist: „Za mamu i tatu“. Wir können hoffen, dass im wirklichen Leben die Geschichte des „schönen Ausländerkindes“gut ausgegangen ist.
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