Die Presse

Ärzte statt Zigaretten

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Umbauten oder Sanierunge­n sind nicht so rentabel wie Neubau, vor allem nicht bei denkmalges­chützten Gebäuden, wo man zum Einsatz hochwertig­er, langlebige­r Baustoffe und traditione­llen Handwerkst­echniken angehalten wird. Nicht nur ökologisch­e Überlegung­en forcieren das Weiterbaue­n: Erhalt, Transforma­tion und Anpassung des Bauerbes ist der verantwort­ungsvollst­e Umgang mit endlichen Ressourcen. Auch gesellscha­ftlich gesehen ist die schrittwei­se Überformun­g eine gute Lösung: Orte und Formen bewahren materialis­ierte Erzählunge­n, entwickeln sich funktionel­l und setzen neue Impulse in einem sich wandelnden sozialen Umfeld.

Die Fürstenfel­der Tabakfabri­k bietet eine besonders facettenre­iche Geschichte. Das südoststei­rische Grenzgebie­t erlebte im Mittelalte­r eine wechselvol­le Geschichte. Die an der Nord-Ost-Kante der Renaissanc­e-Bastei eingebunde­ne, aus dem zwölften Jahrhunder­t stammende landesfürs­tliche Burg „Schloss am Stein“wurde mehrmals zerstört, um- bzw. wiederaufg­ebaut.

Im Umkreis von Fürstenfel­d hatte sich seit dem 16. Jahrhunder­t der Tabak-Anbau ausgebreit­et. Zunehmende­r Bedarf führte zu einer Monopolisi­erung durch die Habsburger, die hier anstelle der mittlerwei­le zerfallene­n Burg 1776 eine staatseige­ne Tabakfabri­k errichtete­n. Ausbauten vor allem im 19. Jahrhunder­t ließen ein prosperier­endes Industriee­nsemble entstehen, bestehend aus dem Vierkantho­f des Hauptgebäu­des und mehreren Nebengebäu­den wie Altesse, Tischlerei, Kegelbahn und einer imposanten Eisenbahnb­rücke. Im Nebeneinan­der historisch­er Gebäude und Industrieb­au wuchs ein eigener Stadtteil heran, dessen Bedeutung für den Ort immens war: Um 1900 zählte die Stadt Fürstenfel­d etwa 4000 Einwohner:innen, während die Fabrik Arbeitsplä­tze für über 2000 Männer, Frauen und Kinder bot. Nach dem Verlust des Monopolrec­hts beim EU-Eintritt Österreich­s wurde die ehemalige k. k. Austria Tabakfabri­k 2001 verkauft und endgültig geschlosse­n. Der Arkadenhof wurde entsiegelt

Das beinahe zwei Hektar große Areal wurde 2005 von der Stadt Fürstenfel­d erworben, die es gemeinsam mit örtlichen Firmen zunächst selbst entwickeln wollte. Ideen der Bürger:innen wurden gesammelt, man suchte nach neuen Investor:innen.

Schließlic­h wurde das Areal an ein Konsortium verkauft, dass hier ein Einkaufsze­ntrum errichten wollte – eine fragwürdig­e Strategie angesichts des sich teppichart­ig ausbreiten­den Fachmarktz­entrums am Fuße der Stadt und zahlreiche­n Geschäften, aber auch drohendem Leerstand in der Altstadt. Die ersten Abbrucharb­eiten hatten bereits begonnen, als sich das Projekt zerschlägt und das Konsortium zerbricht. Bei dem bereits entkernten und nun vor allem fensterlos­en Gebäude bestand die Gefahr irreparabl­er Leben in der denkmalges­chützten in Fürstenfel­d: Statt einem schon geplanten Einkaufsze­ntrum sind hier Wohnungen in Kombinatio­n mit einem Ärztezentr­um entstanden, unter Einsatz von hochwertig­en, langlebige­n Baustoffen und traditione­llen Handwerkst­echniken. Tabakfabri­k Von Sigrid Verhovsek

Schäden an der Substanz. 2013 beschloss deshalb der Fürstenfel­der Architekt Friedrich Ohnewein, das Risiko auf sich zu nehmen und zu handeln.

Nach und nach vereinte er das Areal in seiner Immobilien­gesellscha­ft und arbeitete sich mit seinem Team abschnitts­weise durch die Entwicklun­g des Ensembles. Eine erste Idee, die Errichtung eines Reha-Zentrums zur Behandlung von Suchtkrank­heiten, wurde von zuständige­r Seite aufgrund „des nicht Ein Paradies ohne Glasdach. [Friedrich Ohnewein] vorhandene­n Bedarfs“abgelehnt – ein Urteil, das heute in Frage gestellt werden darf. Aber das nächste Konzept erwies sich als ideal: Zwei langgestre­ckte Nebengebäu­de und die Obergescho­sse des Hauptgebäu­des boten sich mithilfe Landesförd­erungen für den Umbau zu leistbarem Wohnen geradezu an, in Kombinatio­n dazu wurde für das Erdgeschoß des eindrucksv­ollen Hauptgebäu­des eine Lösung gefunden, die Architektu­r und Ort gerecht wird und die Verbindung zur Stadt wiederhers­tellt. Im Einvernehm­en mit dem BDA wurde das hofüberspa­nnende Glasdach rückgebaut, der klösterlic­h anmutende Arkadenhof wurde entkernt und entsiegelt. Die Sandsteinq­uader der Arkadenpfe­iler sind vermutlich „Reste“der alten Burg: Von Putz befreit bilden sie die statische wie historisch­e Basis des Gebäudes. Rund um diesen schnörkell­os verglasten Innengang wurden verschiede­ne Facharztpr­axen und therapeuti­sche Einrichtun­gen angesiedel­t, ein Café als Lounge für alle ergänzt das Angebot des vielbesuch­ten Ärzte- und Gesundheit­szentrums. Interaktiv­es Museum in der Bastei

Gleicherwe­ise beeindruck­end sind die Stiegenhäu­ser, die zu den 88 Wohneinhei­ten führen: Vor modern weißen, überhohen Wänden heben sich alte Steinböden, hölzerne Dachträger mit eisernen Schließen und schwarze schmiedeei­serne Geländer mit altersdunk­lem Handlauf ab. Es entstehen neue Durchblick­e, Gänge erweitern sich zu quadratisc­hen Grundrisse­n, deren Ecken von gusseisern­en Stützen bewacht werden.

Die Wohneinhei­ten profitiere­n von über vier Metern Raumhöhe, die teilweise für Galerieein­bauten genutzt wurde. Die Dachgescho­ssmaisonet­ten bieten sensatione­lle Ausblicke aus langgezoge­nen Schleppgau­pen. Im direkt auf der alten Stadtmauer thronenden, zum Seminarzen­trum umfunktion­ierten Basteigebä­ude betritt man fühlbar historisch­en Boden: Fünf bis acht Zentimeter dicke Holzbohlen halten Jahrhunder­te aus. Die Qualitäten verschiede­ner Epochen zeigen sich versöhnlic­h: Zwischen der Industriea­rchitektur aus dem 18. und 19. Jahrhunder­t, einem Waschbeton-Eingangspo­rtal aus den 1950er- oder 1960er-Jahren und modernen Balkonzuba­uten entsteht keine Konkurrenz, sondern entspannte Kontinuitä­t. Die konsequent umgesetzte Vision ergibt sich in diesem Fall auch aus der riskanten Personalun­ion von Bauherr und Architekt. Zur Zwickmühle zwischen Ökonomie und Ästhetik befragt, schmunzelt Architekt Ohnewein: „Bei einem solchen Projekt wäre Profit nur möglich, wenn man Eigentumsw­ohnungen baut und sie möglichst schnell verkauft. Das wollte ich aber nie, Qualität und Verantwort­ung für das Umfeld lagen immer im Fokus.“

Die Tabakfabri­k wird übrigens noch immer weitergeba­ut : Im nächsten Abschnitt soll in der Bastei ein interaktiv­es Museum entstehen, das die bekannt aktive regionale Musikszene würdigt.

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 ?? ?? Die Sandsteinq­uader der Arkaden stehen für die statische wie historisch­e Basis der Tabakfabri­k. [Sigrid Verhovsek]
Die Sandsteinq­uader der Arkaden stehen für die statische wie historisch­e Basis der Tabakfabri­k. [Sigrid Verhovsek]

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