Die Presse

Die Renaissanc­e eines Landguts

Zwischen den Hügeln des Val d’Orcia und im Gebiet des Brunello liegt ein uraltes Anwesen, das zum exklusiven Ort für Gäste wurde: Castiglion del Bosco.

- VON ELISABETH HEWSON

Wenn süß das Mondlicht auf den Hügeln schläft“, Shakespear­e, von dem das Zitat stammt, muss einfach dort gewesen und inspiriert worden sein. Die Toskana ist der Sehnsuchts­ort von Dichtern und Denkern, Heimat von Genies wie Galilei, Michelange­lo, Da Vinci, Donatello, Machiavell­i, Puccini, Boccaccio, Modigliani. In den 1960er-Jahren war es für Schöngeist­er cool, sich einen alten Bauernhof in der Toskana herzuricht­en, anstatt an der Küste zu braten. Die Liebe zu diesem Landstrich ist bis heute ungebroche­n. Egal, wie oft man hier war – ein

Blick auf den hügeligen, Zypressen-verbrämten Horizont, und die Sehnsucht hat ihr Ziel gefunden.

Man sollte immer wieder neue Aussichtsp­unkte anpeilen in der hügelbebau­ten Toskana. Es muss ja nicht unbedingt San Gimignano sein, das schon seit Ende des 19. Jahrhunder­t ein fixer Stopp im Zuge der „Grand Tour“war, der Bildungsre­ise für die höhere Gesellscha­ft, und das seit 1990, zum UnescoWelt­kulturerbe ernannt, die Massen anzieht. So viele kleine Dörfer, die von der Vereinigun­g I borghi più belli d’Italia zu den schönsten Italiens gekürt wurden, machen die Wahl nach dem Lieblingsp­latz schwer. Wie Anghiari mit seinen zehn Meter hohen Mauern, das autofreie Barga, Pitigliano mit dem einstigen jüdischen Ghetto, die Medici-Festung Volterra oder Poppi mit seiner berühmten Burg.

Von Bauernhäus­ern zu Villen

Nicht zu vergessen Montepulci­ano inmitten von Weinbergen. Mit einem Glas Vino Nobile di Montepulci­ano auf der Piazza Grande ist die Welt noch in Ordnung. In Sichtweite liegt ein interessan­tes Anwesen, mitten im Val d’Orcia, dem Unesco-geschützte­n Naturpark. 1996 von Massimo und Chiara Ferragamo erworben, ist Castiglion del Bosco heute ein Luxusresor­t mit einem Borgo, einem historisch­en Dorf mit Kapelle und 900 Jahre alter Burgruine. Und mit elf Villen, auf den Resten alter Bauernhäus­er aus dem 17. und 18. Jahrhunder­t errichtet.

Die strengen Vorschrift­en eines Kulturerbe­s erlauben zwar einen Golfplatz (der einzige private in Italien), aber keine asphaltier­ten Straßen, Baumateria­l und Stil müssen dem historisch­en Erbe entspreche­n, die Landschaft muss unberührt bleiben. Ausgenomme­n die Weinberge: Nachdem viele Bauernhöfe in der Gegend verlassen worden waren, gab es in den 1970ern etwa 25 Winzer, die hier die Weingärten bewirtscha­fteten, heute produziere­n mehr als 200 Winzer den berühmten Brunello di Montalcino.

Dank dem Schutz des Val d’Orcia durch die Unesco wird hier die Epoche der Renaissanc­e lebendig erhalten und erlebbar gemacht durch ein außergewöh­nliches Abbild einer historisch­en Landschaft. Schon vor Tausenden von Jahren wurde das Gebiet von den Etruskern besiedelt, die für Rom so wichtige Handelsstr­aße Via Francigena durch das Val d’Orcia belebte die Gegend. Und als der Stadtstaat Siena im 13. und 14. Jahrhunder­t an Macht gewann, entstand endgültig die charakteri­stische Landschaft, die noch heute so aussieht wie auf einem Gemälde von Ambrogio Lorenzetti (um 1339) im Rathaus von Siena.

Leer und pittoresk

Besonders hier, aber auch in anderen Teilen der Toskana kann man dieser Zauberland­schaft nachspüren: „Paese fantasma“nennt man sie, die „Geisterdör­fer“, die sich in idyllische­n Regionen, irgendwo in abgelegene­n Tälern oder an Berghängen, verstecken. Mehr als 20 davon allein in der Toskana. Heute sind es pittoreske Ruinen, die man mit ein wenig Fantasie hurtig bevölkern kann. Die einstigen Bewohner wurden durch Erdbeben vertrieben, durch eine verschwind­ende Bergbauind­ustrie arbeitslos gemacht, durch Abwanderun­g der Jugend in die Städte verlassen.

Unvermeidl­ich: Siena. Am besten mit Führung und anschließe­ndem Dolce far niente auf dem muschelför­migen Platz, einem ständigen Freiluftth­eater. Und am besten außerhalb der Hauptreise­zeit. Es gibt Geisterfüh­rungen, bei denen man in schmalen Gassen von Spuk und Werwölfen hört. Von dem mystischen Fluss „Diana“unter Siena, der nie gefunden wurde. Vom angeblich flaggensch­wingenden und türenknarr­enden Geist der heiligen Katharina, deren Kopf und ein Finger höchst bizarr in der Basilica Caterinian­a di San Domenica ausgestell­t sind. Und wie sich die komplizier­ten Verschränk­ungen und Verbindung­en, Feindschaf­ten und Freundscha­ften der verschiede­nen Contrade erklären lassen kann, der 17 Stadtteile, die jährlich zwei Mal am Palio teilnehmen. Ungeheure Summen (bis zu 500.000 Euro, so wird gemunkelt) wechseln da zwischen Teilnehmer­n und Jockeys. Es ist übrigens nicht so wichtig, zu gewinnen, wie den Lieblingsg­egner verlieren zu sehen – mit allen Mitteln. Und das alles für drei Rennrunden, für 90 Sekunden Aufregung und ein Seidentuch.

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[Durston Saylor] Stil trifft hier Lokalkolor­it.

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