Weit mehr als bloßes Sesselrücken
Die Sitzordnung im Büro erzählt viel über die Kultur. Darum empfiehlt sich bedachtes Vorgehen, wenn die Mitarbeitenden neu gruppiert und gesetzt werden sollen.
Schon in der Schule war es nicht egal, wo der eigene Platz war: in der ersten oder letzten Reihe, beim Fenster oder bei der Tür. In Büros ist es nicht anders. „Die Sitzordnung“, sagt Barbara Amon-Zsaitsits, „ist ein emotionales Thema. Es geht um persönliche Befindlichkeiten.“Denn der Sitzplatz ist Wohlfühl-, Sicherheitsund Rückzugsort: um dort – und darum geht es letztlich – produktiv sein zu können.
Dazu tragen die ergonomische Büro- und IT-Ausstattung bei, sagt die Gesundheits-, Arbeits- und Organisationspsychologin, die für IBG arbeitet sowie als Klinische Psychologin und Systemische Coachin tätig ist. Ebenso Temperatur, Luftzug, Licht und Akustik: „Wer damit Probleme hat, beschäftigt sich eher mit den Störfaktoren als mit der Arbeit.“Auch die Sitznachbarn spielen eine Rolle: Menschen wollen neben Menschen sitzen, mit denen sie sich verstehen. „Man muss ja nicht beste Freunde sein“, sagt Amon-Zsaitsits, „aber es ist jedenfalls angenehmer und effizienter, wenn eine gewisse Leichtigkeit den Raum erfüllt.“
Daher sei es sinnvoll, Mitarbeitende mit ähnlichen Befindlichkeiten zusammenzuspannen und sie die Plätze selbst wählen zu lassen – sofern man nicht zugunsten von Desksharing mit freier Platzwahl auf eine fixe Sitzordnung verzichte.
Bevor es so weit ist, gilt es, einiges zu bedenken. Schließlich gibt es immer einen Anlass für derartige Veränderungen: Teamzusammensetzung oder -größe ändern sich, Prozesse müssen adaptiert werden. Wer das Büro umbaue, arbeite am Gefüge und damit an der Kultur. „Es geht immer um ein Zukunftsbild“, sagt Andreas Gnesda, der mit seinem Teamgnesda Arbeitswelten gestaltet. „Das Büro ist ein Werkzeug – aber es ist auch gebaute Kultur und Ausdruck von Organisation, Haltung und Werten.“
Gnesda rät Führungskräften, „Freiräume und Leitplanken zu definieren“. Spätestens dann sollten die Mitarbeitenden eingebunden werden, besonders, wenn im Team partizipative Kultur gelebt wird. Abhängig von der Zahl der Mitarbeitenden reden entweder funktionell Verantwortliche und Vertreter der Mitarbeitenden mit – oder alle. Zu klären ist: Was brauchen Mitarbeitende, um gut arbeiten, Führungskräfte, um Personal entwickeln, und das Unternehmen, um Attraktivität vermitteln zu können?
Gleichzeitig sei Vorsicht geboten, sagt Gnesda. Zum einen, weil Mitarbeitende vom Istzustand ausgehen, Wünsche anmelden, aber selten überlegen, was verzichtbar ist. Ein Beispiel: Mitarbeitende, die sechs Laufmeter Schrank zur Verfügung hatten, wünschten sich acht Laufmeter – heute kommen sie gut ohne Schränke aus. Zum anderen, weil über die Mitbestimmung rasch der Fokus verloren gehe. Über einander widersprechende Wünsche „kommt oft der kleinste denkbare Kompromiss heraus – und alle sind unglücklich“.
Zuhören, nachfragen, erklären
Weil eine neue Sitzordnung immer auch ein (kleiner) Change-Prozess ist, ein Einschnitt, den manche entwurzelnd erleben, sind Führungskräfte gefordert. Das bedeute, sagt Amon-Zsaitsits, die Mitarbeitenden ernst zu nehmen, zuzuhören, nachzufragen und Ängste nicht wegzuwischen – was nicht heißt, dass alle Wünsche erfüllt werden können. Führungskräfte sind auch angehalten, zu kommunizieren: Warum und wozu passiert die Veränderung? Welche Chancen eröffnen sich? Etwa wenn künftig Jüngere neben Älteren sitzen und so besserer Wissenstransfer möglich ist. Und sie sollen auch sagen: Wie geht es mir damit? Wie ist meine Haltung? Und allenfalls eigene Bedenken nicht verschweigen.
Und für die Zeit nach dem Sesselrücken empfiehlt Amon-Zsaitsits, schon früh gemeinsam einen Code of Conduct zu erarbeiten, der das Zusammenleben ordnet. Etwa: Dürfen Bilder und Pflanzen aufgestellt werden, wie geht man mit (privaten) Telefonaten um, ist Kopfhörertragen ein Zeichen, ungestört sein zu wollen, und wie werden Temperatur und Beschattung geregelt? Denn: Am Arbeitsplatz geht es um jede Menge Befindlichkeiten.