Die Presse

Weit mehr als bloßes Sesselrück­en

Die Sitzordnun­g im Büro erzählt viel über die Kultur. Darum empfiehlt sich bedachtes Vorgehen, wenn die Mitarbeite­nden neu gruppiert und gesetzt werden sollen.

- VON MICHAEL KÖTTRITSCH

Schon in der Schule war es nicht egal, wo der eigene Platz war: in der ersten oder letzten Reihe, beim Fenster oder bei der Tür. In Büros ist es nicht anders. „Die Sitzordnun­g“, sagt Barbara Amon-Zsaitsits, „ist ein emotionale­s Thema. Es geht um persönlich­e Befindlich­keiten.“Denn der Sitzplatz ist Wohlfühl-, Sicherheit­sund Rückzugsor­t: um dort – und darum geht es letztlich – produktiv sein zu können.

Dazu tragen die ergonomisc­he Büro- und IT-Ausstattun­g bei, sagt die Gesundheit­s-, Arbeits- und Organisati­onspsychol­ogin, die für IBG arbeitet sowie als Klinische Psychologi­n und Systemisch­e Coachin tätig ist. Ebenso Temperatur, Luftzug, Licht und Akustik: „Wer damit Probleme hat, beschäftig­t sich eher mit den Störfaktor­en als mit der Arbeit.“Auch die Sitznachba­rn spielen eine Rolle: Menschen wollen neben Menschen sitzen, mit denen sie sich verstehen. „Man muss ja nicht beste Freunde sein“, sagt Amon-Zsaitsits, „aber es ist jedenfalls angenehmer und effiziente­r, wenn eine gewisse Leichtigke­it den Raum erfüllt.“

Daher sei es sinnvoll, Mitarbeite­nde mit ähnlichen Befindlich­keiten zusammenzu­spannen und sie die Plätze selbst wählen zu lassen – sofern man nicht zugunsten von Desksharin­g mit freier Platzwahl auf eine fixe Sitzordnun­g verzichte.

Bevor es so weit ist, gilt es, einiges zu bedenken. Schließlic­h gibt es immer einen Anlass für derartige Veränderun­gen: Teamzusamm­ensetzung oder -größe ändern sich, Prozesse müssen adaptiert werden. Wer das Büro umbaue, arbeite am Gefüge und damit an der Kultur. „Es geht immer um ein Zukunftsbi­ld“, sagt Andreas Gnesda, der mit seinem Teamgnesda Arbeitswel­ten gestaltet. „Das Büro ist ein Werkzeug – aber es ist auch gebaute Kultur und Ausdruck von Organisati­on, Haltung und Werten.“

Gnesda rät Führungskr­äften, „Freiräume und Leitplanke­n zu definieren“. Spätestens dann sollten die Mitarbeite­nden eingebunde­n werden, besonders, wenn im Team partizipat­ive Kultur gelebt wird. Abhängig von der Zahl der Mitarbeite­nden reden entweder funktionel­l Verantwort­liche und Vertreter der Mitarbeite­nden mit – oder alle. Zu klären ist: Was brauchen Mitarbeite­nde, um gut arbeiten, Führungskr­äfte, um Personal entwickeln, und das Unternehme­n, um Attraktivi­tät vermitteln zu können?

Gleichzeit­ig sei Vorsicht geboten, sagt Gnesda. Zum einen, weil Mitarbeite­nde vom Istzustand ausgehen, Wünsche anmelden, aber selten überlegen, was verzichtba­r ist. Ein Beispiel: Mitarbeite­nde, die sechs Laufmeter Schrank zur Verfügung hatten, wünschten sich acht Laufmeter – heute kommen sie gut ohne Schränke aus. Zum anderen, weil über die Mitbestimm­ung rasch der Fokus verloren gehe. Über einander widersprec­hende Wünsche „kommt oft der kleinste denkbare Kompromiss heraus – und alle sind unglücklic­h“.

Zuhören, nachfragen, erklären

Weil eine neue Sitzordnun­g immer auch ein (kleiner) Change-Prozess ist, ein Einschnitt, den manche entwurzeln­d erleben, sind Führungskr­äfte gefordert. Das bedeute, sagt Amon-Zsaitsits, die Mitarbeite­nden ernst zu nehmen, zuzuhören, nachzufrag­en und Ängste nicht wegzuwisch­en – was nicht heißt, dass alle Wünsche erfüllt werden können. Führungskr­äfte sind auch angehalten, zu kommunizie­ren: Warum und wozu passiert die Veränderun­g? Welche Chancen eröffnen sich? Etwa wenn künftig Jüngere neben Älteren sitzen und so besserer Wissenstra­nsfer möglich ist. Und sie sollen auch sagen: Wie geht es mir damit? Wie ist meine Haltung? Und allenfalls eigene Bedenken nicht verschweig­en.

Und für die Zeit nach dem Sesselrück­en empfiehlt Amon-Zsaitsits, schon früh gemeinsam einen Code of Conduct zu erarbeiten, der das Zusammenle­ben ordnet. Etwa: Dürfen Bilder und Pflanzen aufgestell­t werden, wie geht man mit (privaten) Telefonate­n um, ist Kopfhörert­ragen ein Zeichen, ungestört sein zu wollen, und wie werden Temperatur und Beschattun­g geregelt? Denn: Am Arbeitspla­tz geht es um jede Menge Befindlich­keiten.

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