„Man hat oft viel Gegenwind“ Umweltmediziner beschäftigen sich mit der Wirkung verschiedenster Faktoren. Dabei greifen sie oft auch heiße Eisen an – und machen sich damit nicht immer nur Freunde.
Fragt man Umweltmediziner Hans-Peter Hutter, ob er seine Berufswahl je bereut hat, kommt wie aus der Pistole geschossen ein kategorisches „Nein“. Der Beruf sei „extrem leiwand“, sagt Hutter. Immerhin ermögliche er es ihm, seine beiden Interessen, nämlich Umwelt und Medizin, unter einen Hut zu bringen. „Um gut leben zu können, müssen wir beides in Balance bringen“, ist der stellvertretende Leiter der Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin am Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien, der sowohl Landschaftsökologie als auch Medizin studiert hat, überzeugt. Denn die Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt – und umgekehrt – sei unbestritten: „Umweltbedingungen beeinflussen unsere Gesundheit enorm“, sagt der Facharzt für klinische Mikrobiologie und Hygiene mit Schwerpunkt Umweltmedizin.
Neben physikalischen Faktoren wie Strahlung, elektromagnetischen Feldern oder Lärm seien dies chemische Faktoren wie Feinstaub, Ozon und Luftschadstoffe sowie biologische Einflüsse von Pollen bis Viren. „Man darf aber auch die psychosozialen und gesellschaftlichen Umwelteinflüsse nicht vergessen“, ergänzt Piero Lercher, Referent für Umweltmedizin in der Österreichischen Ärztekammer.
Gesundheitsrisiken erkennen
Ziel der Umweltmedizin ist es nach Ansicht beider, umweltbedingte Gesundheitsrisiken zu erkennen, erforschen, analysieren und schließlich durch Empfehlungen sowohl für den Einzelnen als auch die Gesellschaft und Politik gegenzusteuern. „Ein wenig anders gesagt geht es darum, herauszufinden, wo die Ursachen herkommen, welche Faktoren sie beeinflussen, welches Risiko sie für die Gesundheit und das Wohlbefinden darstellen, welche Risikogruppen es gibt und wie man das Risiko reduziert“, sagt Hutter.
So gehen Umweltmediziner etwa der Frage nach, ob und wie Infraschall für die Gesundheit von Nachteil ist oder ob Dauerlärm die Konzentrationsfähigkeit und Gedächtnisleistung von Kindern und Jugendlichen negativ beeinflusst. „Ein ganz heißes Thema sind aktuell die gesundheitlichen Risiken, die der Klimawandel mit sich bringt“, sagt Hutter, der wie auch Lercher die Umweltmedizin als „unglaublich vielseitig und spannend“bezeichnet. Umweltmediziner sind aber nicht nur in der Forschung tätig: In der klinischen Praxis behandeln sie Patienten, deren Beschwerden auf Umwelteinflüsse zurückgeführt werden können. „Und sie fungieren beispielsweise in Behördenverfahren als Gutachter“, beschreibt Lercher.
Dass der Beruf trotz der zunehmenden Bedeutung und seiner Vielseitigkeit bisher bei Medizinern eher wenig Anklang findet, ist für beide unverständlich: „Umweltmedizin ist eine absolut moderne Disziplin und enorm wichtig: Was nützen top ausgestattete Krankenhäuser und tolle medizinische Konzepte, wenn beispielsweise die Umgebung verstrahlt ist“, sagt Lercher. Darüber hinaus sei der Job planbar und damit sehr familienfreundlich. Hutter, der Umweltmedizin gar als Mangelberuf bezeichnet, führt noch ein anderes Argument ins Treffen: „Umweltmedizin ist Prävention. Wir tragen mit unserer Arbeit dazu bei, die Lebensqualität zu verbessern und Geld zu sparen.“So ließen sich jährlich Millionen vorzeitige Todesfälle vermeiden, wenn Politik und Gesellschaft Probleme wie Luft- und Wasserverschmutzung sowie den Klimawandel ernst nehmen und entschlossen etwas dagegen unternehmen würden. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO sind allein in Europa fast 20 Prozent aller Sterbefälle Umweltfaktoren zuzurechnen. Es sei daher, so Lercher, wichtig, den Beruf des Umweltmediziners aus der Nische herauszuholen. „Man muss ihn sichtbarer machen“, sagt Lercher. Und Hutter ergänzt: „In Deutschland heißt die entsprechende Facharztausbildung Hygiene und Umweltmedizin, in Österreich hingegen Klinische Mikrobiologie und Hygiene. Die Umweltmedizin ist in der Hygiene verortet.“Das spiegelt sich in der Praxis wider: „Die meisten Fachärzte sind Mikrobiologen und Hygieniker und arbeiten in Laboren“, weiß Hutter. Dass zumindest der Diplomlehrgang Umweltmedizin der Österreichischen Ärztekammer diese im Namen trage, sei daher sehr begrüßenswert.
Dicke Haut von Vorteil
Wichtigste Voraussetzung für Umweltmediziner sei die Fähigkeit, über den Tellerrand hinausschauen zu wollen und zu können, heißt es unisono. Mindestens genauso wichtig sei ein gutes Handwerkszeug. „Man sollte zum Beispiel wissen, wie man epidemiologische Studien macht“, so Hutter. Genauso wichtig wie die Erforschung und die wissenschaftlich fundierte Abschätzung von Umweltrisiken sei die verständliche Vermittlung der Erkenntnisse – und zwar nicht nur in Fachzeitschriften. „Wenn ich etwas für die Gesundheit der Bevölkerung tun will, muss ich mich so ausdrücken, dass die es auch versteht“, sagt Hutter. Die Kunst sei, so zu formulieren, dass die Menschen die Informationen nicht ignorieren, aber dadurch auch nicht verängstigt würden. Gleichzeitig müsse man sich jedoch bewusst sein, dass man sich damit nicht nur Freunde mache. „Man hat oft sehr viel Gegenwind, etwa bei Themen wie Verkehr oder Mobilfunk. Daher sollte man eine dicke Haut haben“, so Hutter und Lercher.