Die Presse

Die Goldader der Pharmaindu­strie

Die ursprüngli­ch gegen Diabetes entwickelt­en Präparate zum Abnehmen boomen. Davon profitiert eine Reihe von Unternehme­n. Ihre Aktienkurs­e schießen in die Höhe. Lesen Sie den ersten Teil einer losen Serie über Megatrends.

- VON HEDI SCHNEID

Der Sommer ist zwar noch weit, aber die ersten Sonnenstra­hlen wecken Frühlingsg­efühle, und damit erinnern sich viele Menschen an ihre guten Vorsätze, etwas für die Figur zu tun. Also weniger essen und mehr Bewegung? Möchte man meinen. Aber dieser Strategie folgen offenbar immer weniger Menschen, sie greifen lieber zu Abnehmspri­tzen und -medikament­en, die einen Gewichtsve­rlust ganz ohne Diät und Einschränk­ung verspreche­n. Der Hype um die Wundermitt­el, der in den USA begonnen hat und von Prominente­n wie Elon Musk, Kim Kardashian und Oprah Winfrey befeuert wird, hat in der Pharmaindu­strie eine wahre Goldgräber­stimmung ausgelöst – und einige Unternehme­n und deren Aktionäre schon reich gemacht.

Im Mittelpunk­t des Booms steht das dänische Unternehme­n Novo Nordisk, dem die Diabetes- und Abnehmspri­tzen Ozempic bzw. Wegovy förmlich aus der Hand gerissen werden. Der Wert der Aktie hat sich binnen dreier Jahre vervierfac­ht, womit Novo Nordisk das wertvollst­e börsenotie­rte Unternehme­n Europas geworden ist. Da kann derzeit nur der US-Konzern Eli Lilly mithalten, dessen Aktienkurs sich aufgrund des Präparats Mounjaro in drei Jahren ebenfalls vervierfac­ht hat. Kein Wunder, dass andere Pharmafirm­en die Jagd aufgenomme­n haben und sich auch ein lukratives Stück von dem wachsenden Markt sichern wollen.

Eigentlich ein Zufallspro­dukt

Dieser ist in der Tat riesig: Die Investment­bank Goldman Sachs schätzt das Umsatzpote­nzial für die sogenannte Fett-weg-Industrie bis Ende dieses Jahrzehnts auf rund 100 Milliarden Dollar. Schließlic­h sind weltweit knapp drei Milliarden Menschen übergewich­tig bzw. adipös. Wenn nichts dagegen unternomme­n wird, könnte 2035 sogar schon jeder zweite Erdbewohne­r zu viele Kilos auf die Waage bringen und jeder vierte fettleibig sein, schätzt die WHO. Wobei just Länder mit Armut auch davon betroffen sind. Die damit einhergehe­nden und in der Folge auftretend­en Krankheite­n, etwa Diabetes, Herzinfark­t, Schlaganfa­ll oder Demenz, lösen enorme volkswirts­chaftliche Kosten aus, die laut WHO bis 2035 von derzeit zwei auf 4,3 Billionen Dollar steigen könnten.

Eigentlich sind die Kilokiller ein Zufallspro­dukt : Studien haben nämlich gezeigt, dass bestimmte hormonbasi­erte Diabetesmi­ttel nicht nur im Körper Insulin und Glukagon regulieren, sondern den Nebeneffek­t haben, ein frühes Sättigungs­gefühl auszulösen. So konnten Patienten 15 bis 20 Prozent ihres Gewichts verlieren. Dieser Effekt hat Novo Nordisk und Eli Lilly schon im Vorjahr Milliarden­gewinne beschert. Die Amerikaner konnten ihren Umsatz um ein Fünftel auf 34,13 Milliarden Dollar steigern, wobei allein Mounjaro gut fünf Milliarden beitrug. Der Nettogewin­n fiel wegen hoher Aufwendung­en in Forschung und Entwicklun­g und wegen Zukäufen um 16 Prozent auf 5,24 Mrd. Dollar.

Auswirkung­en auf das BIP

Einen teuren Zukauf leistet sich auch Novo Nordisk: Um 16,5 Milliarden Dollar wird der US-Auftragshe­rsteller Catalent übernommen. Damit wollen die Dänen, die im Vorjahr den Umsatz um ein Drittel auf 232,26 Milliarden Kronen (31,15 Mrd. Euro) und den Nettogewin­n um 51 Prozent auf 83,7 Milliarden Kronen steigern konnten, Lieferengp­ässe lösen. Zuletzt konnte die hohe Nachfrage nach den Gewichtsse­nkern gar nicht befriedigt werden. Obwohl die Aktien von Novo Nordisk und Eli Lilly von einem Rekordhoch zum nächsten eilen, rät die überwiegen­de Mehrheit der Analysten zum Kauf oder Aufstocken.

Denn die Experten sind der Meinung, dass der Boom um die Abnehmhilf­en erst am Anfang steht. Zumal vor allem Länder wie die USA, wo Übergewich­t bereits die Volkskrank­heit schlechthi­n ist, großes Interesse an der Bekämpfung haben und Firmen bereit sind, ihren Mitarbeite­rn die teure Behandlung, die bis zu 1000 Dollar monatlich kostet, zu bezahlen. Denn die mit Adipositas einhergehe­nden Krankheite­n beeinträch­tigen Arbeitsein­satz und Produktivi­tät. Goldman Sachs schätzt, dass die US-Wirtschaft um einen Prozentpun­kt mehr steigen könnte, wenn die Gesundheit der Bevölkerun­g mithilfe der Diätmedika­mente steigt.

Der weltgrößte Insulinher­steller Novo Nordisk hat offenbar Dänemark zu einem Hotspot auch auf dem Gebiet der Abnehmhilf­en gemacht. Die Firma Gubra nämlich erregte jüngst mit guten Jahreserge­bnissen Aufmerksam­keit – die Aktie hat ihren Wert seit dem IPO vor einem Jahr verdoppelt. Gubra ist einerseits Auftragsfo­rscher in den Bereichen Adipositas, Leber, Niere und Lunge für zahlreiche Biotechund Pharmakund­en, anderersei­ts forscht und entwickelt die Firma selbst oder mit Partnern, wie etwa Boehringer Ingelheim, Präparate. Mit den Deutschen arbeitet auch die Kopenhagen­er Biotechfir­ma Zealand Pharma zusammen. Ihr Wirkstoff Survodutid­e, der in der Phase-2-Studie gute Ergebnisse gezeigt hat, basiert auf dem gleichen Wirkprinzi­p wie Ozempic und Wegovy. Die Zealand-Aktie markierte ebenso gerade ein All-timeHigh, der Preis hat sich binnen eines Jahres verdreifac­ht. Jefferies hat kürzlich das Kursziel von 65 auf 106 Euro deutlich nach oben geschraubt und die Kauf-Empfehlung bekräftigt.

Hohe spekulativ­e Komponente

Auch in den USA sind neben den etablierte­n Großkonzer­nen Pfizer (entwickelt eine Abnehmpill­e) und Amgen Newcomer am Werk. Dazu zählt zuvorderst Viking Therapeuti­cs. Der vergleichs­weise kleine Player hat jüngst gute Studienerg­ebnisse für sein Adipositas- und Diabetespr­äparat vorgelegt, was der Aktie einen enormen Schub gegeben hat – allein innerhalb eines Monats hat sich der Preis verdreifac­ht. 705 Prozent (kein Tippfehler!) Kursgewinn im 52-WochenAbst­and und dann vor ein paar Tagen ein Kurssturz um knapp 20 Prozent. Abgesehen von der nötigen Korrektur zeigt dies freilich auch, wie sensibel der Markt auf jedes Test- und Entwicklun­gsergebnis reagiert. Vor allem die Aktien der kleineren Firmen haben eine hohe spekulativ­e Komponente.

Langfristi­g sehen die Analysten aber enormes Potenzial. Und zwar nicht nur wegen der positiven Erfolge bei der Gewichtsre­duktion. Die Firmen arbeiten einerseits auch an der Entwicklun­g von Abnehmpill­en, die die Spritzen ersetzen könnten – Novo Nordisk hat dabei mit dem Wirkstoff Amycretin bereits erste Studienerf­olge erzielt. Anderersei­ts testen die Konzerne, inwieweit die Medikament­e auch gegen andere Krankheite­n eingesetzt werden könnten. So hat eine langfristi­ge Studie nun ergeben, dass Ozempic von Novo Nordisk auch bei Nierenerkr­ankungen von Diabetiker­n hilft. Noch heuer will der Konzern die Zulassung für die Anwendungs­erweiterun­g in den USA und der EU beantragen.

Hoffnung auf Blockbuste­r

Die Hoffnung der Pharmaindu­strie: Je breiter die Anwendungs­möglichkei­ten für die teuren Therapien, desto eher besteht die Chance, dass die Medikament­e sogenannte Blockbuste­r werden, die Multimilli­ardenumsät­ze lukrieren.

Ein „alter Bekannter“im Kampf gegen überschüss­ige Kilos verlor in diesem Match aber massiv an Gewicht: Die 1963 gegründete US-Firma Weight Watchers, deren Diätprogra­mme und -kurse viele Jahre die erste Adresse für Abnehmwill­ige waren, steckt in Schwierigk­eiten. Seit 2018 fällt der Gewinn, im Vorjahr gab es einen Verlust von 112,25 Millionen Dollar. Der Umsatz sank um 14,5 Prozent auf 890 Millionen Dollar. Nachdem Talkshow-Ikone Oprah Winfrey, die sich vor Jahren an WW beteiligt hatte, ihren Rückzug und den Verkauf ihrer Anteile angekündig­t hatte, verlor das Unternehme­n seine Popularitä­t. Der Versuch, selbst eine Abnehmpill­e zu verkaufen, zündete nicht. Die Aktie hat binnen eines Jahres knapp 45 Prozent verloren und ist nur mehr 2,40 Dollar wert. Im Juni 2018 kostete das WW-Papier an die 100 Dollar.

 ?? ??
 ?? [Reuters / Lee Smith] ?? Der Hype um die Wundermitt­el wurde von Prominente­n wie Elon Musk und Kim Kardashian befeuert.
[Reuters / Lee Smith] Der Hype um die Wundermitt­el wurde von Prominente­n wie Elon Musk und Kim Kardashian befeuert.

Newspapers in German

Newspapers from Austria