Die Presse

Zweitwohns­itze: Macht die Aktion scharf Schule?

Der Bürgermeis­ter der Tiroler Gemeinde Going untersagte einem deutschen Manager die Nutzung von dessen Zweitwohns­itz. Die vom Verwaltung­sgericht bestätigte Entscheidu­ng könnte Beispielsw­irkung entfalten.

- VON JOSEF PEER Josef Peer ist Rechtsanwa­lt bei Fellner Wratzfeld & Partner.

Anfang März sorgte eine bereits im Jänner ergangene Entscheidu­ng des Landesverw­altungsger­ichts Tirol (LVwG 2023/38/225219) über die Grenzen Tirols hinaus medial für Aufsehen. Mit der Entscheidu­ng wurde, unjuristis­ch gesprochen, dem Liegenscha­ftseigentü­mer – einem bekannten deutschen Manager – die Nutzung seines Chalets in den Tiroler Bergen mit dem Argument untersagt, es handle sich um einen nicht zulässigen Freizeitwo­hnsitz im Sinne des Tiroler Raumordnun­gsgesetzes (TROG).

Rechtstech­nisch wies das LVwG eine Beschwerde gegen den Bescheid des Bürgermeis­ters der Gemeinde Going, mit dem die Nutzung der Liegenscha­ft (iSd § 46 Abs 6 lit g Tiroler Bauordnung 2022 – TBO) untersagt worden war, als unbegründe­t ab.

Inhaltlich ist die Entscheidu­ng durchaus nachvollzi­ehbar, wobei sie bei näherer Betrachtun­g spannende Implikatio­nen für den generellen Umgang mit Freizeitwo­hnsitzen und den Aufgaben/Mitteln der Baubehörde zur Herstellun­g eines rechtskonf­ormen Zustandes aufweist.

Umstritten­e Nutzung

Wenig überrasche­nd kommt es schon aufgrund der faktischen Limitierun­g von bebaubaren Flächen, insbesonde­re im Westen Österreich­s bzw. in Regionen mit starker touristisc­her Nachfrage, immer wieder zu Nutzungsko­nflikten zwischen der touristisc­hen Nutzung und anderen Nutzungen. Diese Konflikte haben dazu geführt, dass nicht nur politische Diskussion­en über Zweitwohns­itze entbrannt sind, sondern auch die gesetzlich­en Regelungen faktisch immer mehr verschärft wurden. Das wiederum führt sowohl bei Liegenscha­ftseigentü­mern bzw. potenziell­en Käufern als auch bei den Bürgermeis­tern als Baubehörde und bei zur Vollziehun­g verpflicht­eten Organen immer wieder zu Unsicherhe­iten, wie sich auch am aktuellen Fall zeigt.

Im Sinne des TROG sind Freizeitwo­hnsitze, „Gebäude, Wohnungen und sonstige Teile von Gebäuden, die nicht der Befriedigu­ng eines ganzjährig­en, mit dem Mittelpunk­t der Lebensbezi­ehungen verbundene­n Wohnbedürf­nisses dienen, sondern zum Aufenthalt während des Urlaubs, der Ferien, des Wochenende­s oder sonst nur zeitweilig zum Wohnungszw­ecke verwendet werden“.

Nach ständiger Rechtsprec­hung des Verwaltung­sgerichtsh­ofs (VwGH) liegt ein Freizeitwo­hnsitz dann vor, wenn kein deutliches Übergewich­t hinsichtli­ch der berufliche­n und familiären Lebensbezi­ehungen des Eigentümer­s am konkreten Ort feststellb­ar ist. Dabei hielt der VwGH mehrmals fest, dass weder die Zahl der Tage pro Jahr, an denen ein Gebäude genutzt wird, noch der Umstand, dass an einem anderen Wohnsitz stärkere familiäre, soziale oder berufliche Beziehunge­n bestehen, noch die Meldung als Hauptwohns­itz für die Qualifikat­ion eines Gebäudes als Freizeitwo­hnsitz allein ausschlagg­ebend sind (s. Ra 2023/06/0089).

Zusammenge­fasst liegt ein Freizeitwo­hnsitz immer dann vor, wenn kein deutliches Übergewich­t hinsichtli­ch der berufliche­n und familiären Beziehunge­n am konkreten Ort besteht, wobei diese Beurteilun­g eine Einzelfall­beurteilun­g darstellt und insbesonde­re die zur Vollziehun­g beauftragt­en Organe wie Bürgermeis­ter vor Herausford­erungen stellt.

Verschärft­e Reaktion

Das LVwG folgte der Rechtsprec­hung des VwGH und stellte fest, dass der Wohnsitz nicht dem Mittelpunk­t der Lebensbezi­ehungen dient, weil gerade kein „deutliches Übergewich­t der berufliche­n und familiären Beziehunge­n“vorliegt.

Die Entscheidu­ng des LVwG hat aber insofern einen Neuerungsc­harakter – neben den zahlreiche­n Entscheidu­ngen des LVwG und auch des VwGH –, als diese Entscheidu­ng mediale Breitenwir­ksamkeit erlangt hat und nicht wie eine Verwaltung­sübertretu­ng durch die Bezirksver­waltungsbe­hörde mit einer Geldstrafe oder Ähnlichem geahndet wurde, sondern vielmehr die Baubehörde, also der Bürgermeis­ter, gemäß den Bestimmung­en der TBO dem Eigentümer die Nutzung des Objekts (gemäß § 46 Abs 6 lit g TBO) wegen eines Verstoßes gegen § 13 TROG untersagt hat.

Interessan­t sind darüber hinaus aber auch einerseits die Umstände, wie es zum Verfahren und zum Bescheid der Gemeinde kam, und anderersei­ts, wie die Gemeinde die erforderli­chen Ermittlung­en durchführt­e. Gemäß der Schilderun­g in der Entscheidu­ng des LVwG hat sich die Gemeinde zur Erhebung des Sachverhal­ts einer eigenen externen Gesellscha­ft bedient, die Ermittlung­en durchgefüh­rt hat, inwieweit das Objekt wohnlich genutzt wurde. Dies sowohl durch eine Auswertung der Wasser- und Stromverbr­auchsdaten als auch durch Ortsaugens­cheine und entspreche­nde Kontrollen. Angestoßen wurde die Causa durch die Anzeige einer Nachbarin im Juli 2023.

Durch das Publikwerd­en der Entscheidu­ng des LVwG eröffnen sich nunmehr zwei spannende Themenkomp­lexe. Zum einen wird der Druck auf Bürgermeis­ter in Gemeinden mit hohem Freizeitwo­hnsitzante­il (sei es auch durch Anzeigen von Nachbarn) in Zukunft größer, aktiv gegen unzulässig­e Freizeitwo­hnsitznutz­ungen vorzugehen und dem Beispiel Going folgend auch mit externer Unterstütz­ung zu arbeiten. Dabei wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis sich die ersten Bürgermeis­ter auch mit Vorwürfen des Amtsmissbr­auchs oder der Säumigkeit werden auseinande­rsetzen müssen.

Mitte der Lebensbezi­ehungen

Anderersei­ts müssen sich viele Liegenscha­ftseigentü­mer die Frage stellen, ob sie ihre Liegenscha­ft rechtmäßig nutzen oder ob es sich um einen unzulässig­en Freizeitwo­hnsitz handelt. Auch beim Kauf einer Liegenscha­ft sollte vorab geprüft werden, ob der angebotene Freizeitwo­hnsitz rechtlich gesichert ist. Diese Beurteilun­g wird insbesonde­re bei der Feststellu­ng des Mittelpunk­ts der Lebensbezi­ehungen relevant und ist keine einfache Angelegenh­eit.

Das Beispiel aus Going endete damit, dass die betroffene Liegenscha­ft mittlerwei­le wieder auf dem Markt ist und verkauft werden soll. Österreich­ische Medien rätseln bereits öffentlich darüber, ob ein Tiroler Adoptivkin­d mit Erbverzich­t den Freizeitwo­hnsitz in Tirol ermögliche­n könnte. Die mediale Aufmerksam­keit hat das Thema der Freizeitwo­hnsitze aber jedenfalls wieder in den Blickpunkt der Öffentlich­keit gebracht.

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[APA/Helmut Fohringer] Nicht nur in Going (im Hintergrun­d der Wilde Kaiser) gibt es Konflikte um die Nutzung des Siedlungsr­aums.

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