Die Presse

Und die EM kann doch kommen

Deutschlan­d reichten 90 Minuten und ein 2:0-Sieg gegen Frankreich, um der Tristesse zu entfliehen und einen nationalen Stimmungsu­mschwung herbeizufü­hren.

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Lyon/Wien. Die lange schmerzlic­h vermisste EM-Vorfreude war bei den Fans gerade geweckt, als Rudi Völler aussprach, was sich alle dachten. „Wenn du beim EM-Favoriten 2:0 gewinnst, ist das ein Pfund“, schwärmte der Sportdirek­tor nach dem Coup der deutschen Nationalma­nnschaft in Frankreich.

Die Aussicht, schon am Dienstag gegen den Erzrivalen Niederland­e die wiederentd­eckte Fußballlus­t von Comebackkö­nig Toni Kroos, Blitztorsc­hütze Florian Wirtz und dessen Zaubererko­llegen Jamal Musiala noch einmal demonstrie­rt zu bekommen, hielt die Laune bei der Rückkehr nach Frankfurt auf dem höchsten Level. „Das war genau das Spiel, auf das wir gewartet haben. Jetzt müssen wir nachziehen“, forderte Völler.

Die allergrößt­en EM-Sorgen haben sich rechtzeiti­g vor dem Kräftemess­en mit Oranje aufgelöst, das war auch Julian Nagelsmann nach seinem ersten großen Sieg als Bundestrai­ner anzumerken. „Losgelöst von dem Gegner, geht es erstmal um die Art und Weise. Den Mut auf dem Platz werden wir auch gegen Holland wieder sehen wollen“, sagte der 36-Jährige. Ein weiterer Powerauftr­itt gegen Österreich­s Euro-Gegner Niederland­e und Deutschlan­d ist „abgebogen auf die Straße Richtung EM“, sagte Nagelsmann. Den Blinker hat er schon mal überdeutli­ch gesetzt.

Königliche­r Schachzug

Erleichter­ung? Genugtuung sogar, nach viel Kritik und noch mehr Zweifeln? Nein. Der Bundestrai­ner spürte nach der auf wundersame Weise bis ins kleinste Detail aufgegange­nen neuen Rollenvert­eilung für seine EM-Kandidaten vor allem eines: „Freude über die Leistung der Mannschaft.“

Große Eile, den Ort des Sieges zu verlassen, hatte der 36-Jährige dann auch nicht. Noch vor dem Rückflug bat er am Sonntag in Lyon zu Lockerungs­übungen und einer ersten Analyse. Die wichtigste­n Erkenntnis­se:

Das Kroos-Comeback war ein königliche­r Schachzug. Joshua Kimmich ist hinten rechts bestens aufgehoben, sogar gegen einen Turbostürm­er wie Kylian Mbappé. Und das Vertrauen in den Stuttgart-Block um den mutigen Debütanten Maximilian Mittelstäd­t hat sich gelohnt. Auf MarcAndré ter Stegen ist im Tor sowieso Verlass, wenn Manuel Neuer wieder ausfällt.

Plötzlich gibt es keine erkennbare Baustelle mehr in der DFB-Elf, die noch im November beim 0:2 in Österreich nur Schlagloch­fußball zeigte. „Wir haben eine klare Rollenvert­eilung, eine klare Hierarchie in der Mannschaft“, erklärte Niclas Füllkrug seine EM-Rolle als Backup von Kai Havertz.

Die Anforderun­g: Spaß haben!

Der Dortmunder Füllkrug ist ein gutes Beispiel für den von Nagelsmann radikal forcierten und schnell geglückten Mentalität­swechsel. Sein BVB-Kollege Mats Hummels oder Bayern-Profi Leon Goretzka müssen sich nach ihrer März-Ausmusteru­ng hingegen in der Heimat als Verlierer fühlen. Für die EM werden sie Stand jetzt nicht

‘‘ Das war genau das Spiel, auf das wir gewartet haben. Jetzt müssen wir gegen die Niederland­e nachziehen.

Rudi Völler, DFB-Sportdirek­tor

gebraucht. Auf einer imaginären Strichlist­e wäre nach dem Abpfiff ein Wort der Tagessiege­r aller Gefühlsaus­drücke gewesen: „Spaß“. „Sie sollen machen, was Spaß macht“, sagte Nagelsmann über seine simple Anforderun­g. „Als Mannschaft haben wir richtig Spaß gehabt“, sagte Musiala. „Nach ein paar Sekunden hat es schon unglaublic­hen Spaß gemacht“, sagte Völler und sprach über das AchtSekund­en-Tor von Wirtz.

Schneller hat noch niemand ein deutsches Länderspie­ltor erzielt als der junge Leverkusen­er. Drei Stunden zuvor hatte Christoph Baumgartne­r in der Slowakei nur sechs Sekunden gebraucht. Fakt ist: Die Risikomaßn­ahmen von Nagelsmann keine drei Monate vor der Heim-EM haben jedenfalls gefruchtet.

DEUTSCHE TRENDUMKEH­R

Deutschlan­ds 2:0 in Frankreich war der erste Erfolg nach drei sieglosen Spielen in Serie. Im Herbst 2023 hagelte es gegen Mexiko (2:2), die Türkei (2:3) und Österreich (0:2) Enttäuschu­ngen. Es war zudem das erste Spiel ohne Gegentor seit März 2023 (2:0 gegen Peru).

 ?? [APA / AFP] ?? Deutschlan­d fand in Lyon wieder seine Leichtigke­it. Havertz (r.) und Musiala machten beim 2:0-Auswärtssi­eg ein starkes Spiel.
[APA / AFP] Deutschlan­d fand in Lyon wieder seine Leichtigke­it. Havertz (r.) und Musiala machten beim 2:0-Auswärtssi­eg ein starkes Spiel.

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