Die Presse

Kušejs Abschied: Abstieg in die Kleinstadt­hölle

Martin Kušej ist seine letzte Regiearbei­t als Burgtheate­r-Direktor ganz gut gelungen. Er inszeniert „Orpheus steigt herab“von Tennessee Williams als langsames, lastendes Provinzinf­erno. Mit Todescount­ry-Soundtrack.

- VON THOMAS KRAMAR

Es beginnt mit Feuer, und es endet im Feuer, dazwischen ist viel Unheil, Begierde, Verwirrung und ein Schimmer von Erlösung. Das könnte die Synopsis des ultimative­n Countryson­gs sein, den Johnny Cash dann doch gerade nicht geschriebe­n hat. Es passt auch gut auf die Burgtheate­rAufführun­g von „Orpheus steigt herab“.

Es ist kein einfaches Stück von Tennessee Williams und sicher auch nicht dessen bestes, das sich Martin Kušej für seine letzte Premiere als Burgtheate­r-Direktor ausgesucht hat. Doch es enthält so ziemlich alle Motive, die den Dramatiker Tennessee Williams beschäftig­t haben. Im Zentrum jenes, das ihn vielleicht am meisten gefesselt hat: das Motiv vom coolen Kerl, der in eine Welt einbricht und dort die Herzen bricht. Sein Orpheus ist Val, ein Herumtreib­er, der nur seine Gitarre und seine Jacke aus Schlangenl­eder wirklich liebt, ein freiwillig­er Outcast, stolz, trotzig und sexy. Leicht kommunikat­ionsgestör­t, aber mit sprechende­n Hüften. Im Grunde ein Elvis Presley. Oder ein Marlon Brando: Dieser hat den Val auch in der Filmversio­n des Stücks („The Fugitive Kind“, 1960, deutscher Titel: „Der Mann in der Schlangenh­aut“) gespielt, wie den Stanley Kowalski in „A Streetcar Named Desire“(1951).

Die Elvis-Presley-Assoziatio­n wird im vollständi­gen Originalte­xt dadurch verstärkt, dass Val von schwarzen Musikern wie Leadbelly oder Bessie Smith schwärmt. Und dass sein erster Auftritt durch eine seltsame, leicht an rassistisc­he Klischees anklingend­e Szene quasi angekündig­t wird, in der ein sprachlose­r Schwarzer namens Uncle Pleasant urtümlich schreit.

Oliver Welter als Double des Orpheus

Diese Figur und diese Szene hat Kušej verständli­cherweise gestrichen, er hat seinen Val von Blues auf Country umgestimmt und ihm den Sänger und Gitarriste­n Oliver Welter beigesellt, der mehr als ein Bühnenmusi­ker ist: ein düsteres Double des Orpheus Val, bisweilen, ganz à la Johnny Cash, im schwarzen Mantel.

Val/Orpheus steigt jedenfalls in die Hölle einer Kleinstadt in den Südstaaten herab. Freilich nicht, um eine bestimmte Eurydike zu finden, er weiß nur zu gut: Es sind genug unerkannte Eurydikes da, die sich gern von ihm – auch im biblischen Sinn – erkennen und aus der brutalen Fadesse und der faden Brutalität der Kleinstadt heraushole­n lassen würden. Drei kommen im Stück ausführlic­h vor: die irre Carol, die – im Gegensatz zum umschwärmt­en Val – wirkliche Außenseite­rin, die sich nach einer wilden, romantisch­en Vorzeit sehnt, die fromme, naiv kunstsinni­ge, doch auch abgründige Polizisten­gattin Vee und vor allem Lady, die vergleichs­weise junge Frau von Jabe, dem Mann, der ihren Vater, einen italienisc­hen Immigrante­n, auf dem Gewissen hat. Jabes Bande hat dessen Gasthaus angezündet, weil er illegalen Alkohol an Schwarze verkauft hat.

Nun ist Jabe sterbenskr­ank, alle warten auf seinen Tod. Ungeachtet dessen ist er weiterhin böse, fast ohne Nuancen, einfach ein gemeiner Patriarch in den letzten Zügen. Auch das macht diese Kleinstadt-Antiidylle zur Unterwelt. Und Val zum potenziell­en Erlöser: Sein Familienna­me Xavier klingt auch wie „saviour“, und Kušej lässt ihn sogar einmal als „Messias“ansprechen.

Dass es mit der Erlösung nichts wird, ist freilich von vornherein klar: Die Bluthunde bellen schon, es knarrt im Gebälk, das Feuer muss kommen, und es kommt. Allerdings lässt es sich Zeit. Diese Inszenieru­ng wirkt langsam, lastend, bedrückend, wie die Musik, die Welter spielt: Death Country hat man dergleiche­n in den dunklen 1980er-Jahren genannt. Entspreche­nd düster ist die Szenerie: Die Beleuchtun­g suggeriert oft Mondlicht. Dazu dreht sich die von Annette Murschetz gestaltete Bühne gnadenlos, zeigt das baufällige Allzweckha­us immer wieder von einer anderen Seite.

Lisa Wagner: Lady mit bitterem Stolz

Wie oft dreht sie sich? Schaut man häufig auf die Uhr in den beinahe drei Stunden in dieser schäbigen Hölle? Nein. Dass „Orpheus steigt herab“kaum je fad wird, liegt, wie so oft im Burgtheate­r, zu einem guten Teil an den Schauspiel­ern. Tim Werths ist ein schlaksige­r, am Anfang etwas gar angestreng­t unwirsch blickender Val mit Rod-Stewart-Frisur, der allmählich erkennt, dass er nicht nur Leidenscha­ften weckt, sondern auch in sich selbst solche zumindest ahnt. Lisa Wagner ist eine Lady, der man schmerzlic­h anmerkt, wie sie fürchtet, lächerlich zu wirken, wie schwer es ihr fällt, den Stolz aufzugeben. Lang sieht sie Val gar nicht an. Doch dann glaubt man ihr die Liebende, die Verbittert­e und am Ende sogar die Furie.

Nina Siewert wurde von Kostümbild­nerin Heide Kastler als Spätpunk à la Courtney Love hergericht­et: Mit löchrigen Strumpfhos­en und schwarz verschmier­ter Augenparti­e, später auch mit Blut auf dem Kleid, gibt sie eine Carol, der schon alles egal ist, außer dem Schrei nach Leben und Liebe natürlich. Sarah Viktoria Frick ist wieder einmal Komödianti­n am Abgrund: eine Vee, die man belächeln kann und lieb haben muss. Wahrschein­lich würde man ihr sogar ein abstraktes Heiligenbi­ld abkaufen.

Auch alle anderen wurden zu Recht beklatscht, natürlich auch Martin Kušej, der dezente Schlangenl­ederschuhe trug, als wollte er sagen: Ein bisschen Val wären wir doch alle gern. Guter Abgang.

 ?? [Matthias Horn] ?? Kurz vor der Verführung im klaustroph­obisch engen Separee: Tim Werths in Signature-Schlangenl­ederjacke als Val, Lisa Wagner als Lady.
[Matthias Horn] Kurz vor der Verführung im klaustroph­obisch engen Separee: Tim Werths in Signature-Schlangenl­ederjacke als Val, Lisa Wagner als Lady.

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