Ein Streiter für die Moderne: Zum Tod von Maurizio Pollini
Schumann, Chopin und die Avantgarde hatten es dem Pianisten aus Mailand angetan, der 18-jährig den Chopin-Wettbewerb gewann.
82-jährig ist Maurizio Pollini gestorben. Die Meldung kam von der Mailänder Scala, wo der Pianist so oft konzertiert hat. Pollini war einer der prägenden Pianisten unserer Zeit, ein Mann, der seine Popularität sogar in den Kultstätten der fashionablen Klassik-Pflege – hierzulande im Musikvereinsaal wie im Salzburger Festspielhaus – genutzt hat, um auch Musik der Avantgarde bekannt zu machen. Das verstand er als künstlerisches Manifest und kämpfte viele Jahre lang dafür Seite an Seite mit seinem Freund, dem Dirigenten Claudio Abbado.
Im Verein mit dem Komponisten Luigi Nono, dem Schwiegersohn Arnold Schönbergs, widmete sich das Dreigespann gern auch künstlerischen Aktionen im Umfeld der italienischen Linken. Das war aus ihrem Lebensplan nicht wegzudenken. Und wenn manche Werke politische Botschaften verkündeten, dann wurden die auch dem bürgerlichen Publikum effektsicher mitgeteilt. Hie und da genügte auch nur die fortschrittliche, jeglichen klassischen Schönheitsbegriff hinter sich lassende Musik, um die erwünschte widerständige Aufmerksamkeit zu provozieren.
Maurizio Pollini war früh schon eine Legende. Der Italiener gewann 1960 den Warschauer Chopin-Wettbewerb und erntete Lob von Artur Rubinstein, dem damals vielleicht berühmtesten aller Klaviervirtuosen, der als Jurymitglied meinte: „Der junge Bursche spielt besser als wir alle!“Die Aufnahme von Chopins Etüden aus jener Zeit wurde zu einem Sammlerstück.
Pollini war immer ausverkauft
Sogleich wollte alle Welt den Wundermann aus Mailand hören. Die Konzertsäle der Welt standen ihm offen, die Plattenfirmen holten ihn ins Aufnahmestudio. Alle wollten seine Chopin-Interpretationen hören, liebten seine Schumann-Aufführungen. Und die Verehrer bissen die Zähne zusammen, wenn irgendwo zwischendrin dann immer auch Dissonanzballungen der musikalischen Moderne an die Reihe kamen.
Unvergesslich ein Recital im Rahmen der Wiener Festwochen mit einem Werk von Nono im Zentrum: Klavier und Live-Elektronik, State of the Art der Siebzigerjahre – nach der Pause gab’s Chopin. Das Publikum tobte vor Begeisterung. Als Zugabe bekam es Nono da capo …
Nicht einmal das konnte die Musikfreunde davon abhalten, sofort Eintrittskarten für den nächsten PolliniAbend zu buchen, immer wieder auch „blind“– sogar im Salzburger Festspielprogramm hieß es des Öfteren: Programm wird erst später bekannt gegeben. Pollini war immer ausverkauft!
Die Fachkritik lobte nebst der fanatisch vorangetriebenen Repertoireerweiterung vor allem den „coolen“Zugang des Pianisten zur musikalischen Romantik. Pollini war kein Schönfärber, kein Mann der nachdrücklichen Gefühlstiefe, schon gar nicht neigte er zur Rührseligkeit. Besonders beliebte Stücke reinigte er durch betont sachliches, analytisches Spiel von jeglichem Anflug von Sentimentalität. Überdies holte er vor allem von Robert Schumann nicht nur die „Träumereien“, sondern auch die späten, komplexen, schwer zugänglichen Kompositionen in unsere Konzertsäle: Wer kannte schon die „Gesänge der Frühe“? Pollini hat sie gespielt. Und dann doch wieder auch das Klavierkonzert mit Karajan am Pult.
So hinterlässt er denn ein reiches Erbe auch an Aufnahmen, die seine ganze künstlerische Bandbreite dokumentieren. Pollini hat beinah bis zuletzt versucht zu konzertieren, verzichtete irgendwann auch auf jegliche Widerborstigkeit bei seinen Programmen. Der Nachwelt bleiben auch via Streamingdiensten zahllose akustische Erlebnisreisen, von millionenfach „geklickten“Chopin-Piècen bis zur experimentellen Sonate von Pierre Boulez, von Schuberts „Wanderer-Fantasie“zum Gesamtwerk für Soloklavier von Arnold Schönberg. Wir werden ihn nicht vergessen.