Die Presse

Horváth wird brachial ertränkt

Anna Bergmann hat Ödön von Horváths „Die Unbekannte aus der Seine“anstrengen­d zeitgeisti­g überladen. Leider wird auch noch geradezu zwanghaft outriert.

- VON NORBERT MAYER

Ein Verbrechen ist geschehen. Am Samstag gab es im Wiener Volkstheat­er die Premiere von Ödön von Horváths „Die Unbekannte aus der Seine“. Die deutsche Regisseuri­n Anna Bergmann hat den Dreiakter plus Epilog mit Zusatzstof­fen angereiche­rt – mit prägnanten Sätzen aus anderen Dramen des österreich-ungarische­n Meisters treffsiche­r trister Volksstück­e sowie Texten der Kärntner Dichterin Christine Lavant und Anspielung­en auf diverse Genres – Horror, Magie, Vampirismu­s, Musiktheat­er. Ein bisschen viel, um die 130 Minuten zu füllen, recht verwirrend. Die Zügigkeit des ursprüngli­chen Kriminalst­ücks und Pariser Sittenbild­es von 1933 geht dabei verloren.

Kommen wir zur Sache: Welches Verbrechen? Achtung, Spoiler! Der Abend neigt sich dem Ende zu. Das unheimlich­e dunkle Haus, das Volker Hintermeie­r dominant auf die Bühne gestellt hat, hebt sich in luftige Höhen. Zum Vorschein kommt das im Text ganz woanders verortete Zimmer von Albert (Lucas Gregorowic­z), in das er geflüchtet ist. Dort regnet es rein, auf das Bett und die Sessel. Er bekommt Besuch von der Unbekannte­n (Birgit Unterweger), die er in den Akten zuvor beim Haus getroffen hat. Dann kommen von dort zwei weitere Menschen ins Zimmer, die den Verlauf dieser Leben dramatisch verändern werden. Schließlic­h ist Albert wieder allein mit der Unbekannte­n. Eben noch haben sie sich geliebt, da packt er sie und taucht ihren Kopf brutal unters Wasser, bis sie sich nicht mehr rührt. Dass sie vermutlich in die Seine ging, wird einfach weginterpr­etiert.

Gendertaus­ch muss sein

Diese Gewalttat war nicht die erste. Schon zuvor hat Albert laut Horváth bei einem missglückt­en Einbruch einen Uhrmacher erschlagen. Bei Bergmann mutiert dieses Opfer zur Uhrmacheri­n. Sona MacDonald spielt sie und auch eine geheimnisv­olle blasse Fremde mit dunklen Brillen. Die Ermordete geht wie eine Untote schweigend herum. Sie wirkt in ihrem Blut tatsächlic­h wie ein Fremdkörpe­r. Meist läuft zu solchen Mystery-Szenen auf großem semitransp­arenten Screen ein Video, das Frauen im Wasser zeigt. Zeit für Gedichte. Gelegentli­ch singt MacDonald beherzt traurig-pathetisch­e Songs, eine Arie. Aber wieso? Macht sie sich über die Schmiere lustig, die hier mit einem Panoptikum an Bewohnern abläuft? Und warum der Gendertaus­ch?

Was muss, das muss! Heißt es in guter alter Postdramat­ik. Deshalb mutiert wohl auch die Hauswirtin zu einer Wirtin, die von einem Mann gespielt wird (Uwe Schmieder). Deshalb setzt sich wohl auch ein Bräutigam den Schleier auf, macht heftig mit einem Mann auf einer Bank rum. Sie küssen sich voller Gier. Und wenn die Fremde vom Polizisten befragt wird? Dann setzt sie sich mit ihm auf diese Bank und befriedigt ihn mit der Hand. Soviel Fluidität muss sein, das wird vom Volkstheat­er im didaktisch­en Beipacktex­t so erklärt: „Die Inszenieru­ng von Anna Bergmann nimmt Abstand von der Idee der Frau, die sich für den Mann opfert, als morbide-romantisch­e Geste.“Deshalb ertränkt sie sich wohl nicht selbst, sondern wird von Bergmann mittels Mann ertränkt.

In dieser grellen Aufführung werden Sachverhal­te seriell auf den Kopf gestellt. So kommt ein Teil des Epilogs am Anfang. Da ist Albert längst mit der früheren Geliebten, der Blumenhänd­lerin Irene (Evi Kehrstepha­n), verheirate­t. Sie haben einen Sohn. Auch Nebenbuhle­r Ernst (Christoph Schüchner) hat eine Frau gefunden. Zum Epilog kommt aber auch noch eine andere Zukunftsvi­sion dazu. Behelmte Männer in Schwarz stürmen auf oder staksen über die Bühne, bewegen sich zum Teil wie Roboter. Sie misshandel­n Passanten, liquidiere­n. Polizeigew­alt? Russische Sturmtrupp­en? Die Gestapo? Auf Letzteres weist hin, dass ein Kinderchor mit schwarzen Luftballon­en die Hand zum Hitlergruß hebt. Das ist jedenfalls eine Zukunftsvi­sion.

Oder das, was man eben sehen will. Für diese Dystopie habe es Anleihen bei George Orwell, Aldous Huxley, Michael Ende, David Lynch gegeben, heißt es im Informatio­nsblatt, dazu noch die Wassernixe Rusalka aus Antonin Dvořáks gleichnami­ger Oper, Barock, Romantik, Kaiserzeit und Gegenwart. Ein bisserl überladen ist die Chose tatsächlic­h. Man könnte auch sagen: Horváth wurde in einem Meer von Anspielung­en ertränkt, frei nach dem Dramaturge­nmotto: „Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus. Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen; und jeder geht zufrieden aus dem Haus.“

Riesenhaft­e Totenmaske

Leider müssen die meisten Darstellen­den geradezu zwanghaft outrieren. Psychopath­isch ist Albert angelegt, die Unbekannte muss stets überspannt wirken, Wirtin, Polizist und Strizzi sind Knallcharg­en. Vielleicht war es ja gewollt, dass sie so gekünstelt wirkten. Etwas subtiler sind die Rollen von Irene und Ernst. Sie deuten eine Art Emanzipati­onsprozess an, der zur Trennung führt. Bei all der Überlastun­g gibt es jedoch auch magische Momente in dieser Flut von Bildern und Tönen, den besten sogar schon, ehe der Vorhang in die Höhe geht. Da wird auf ihn riesig eine Totenmaske projiziert. Fast friedlich wirkt sie. Aber umgehend folgt die Ahnung: Ein Verbrechen wird geschehen sein.

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[Marcel Urlaub / VT] Wasserscha­den im Zimmer: Birgit Unterweger als Unbekannte, Lucas Gregorowic­z als Albert.

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