Die Presse

In dieser „ Johannespa­ssion“kann Jesus auch eine Frau sein

Choreograf­in Sasha Waltz interpreti­ert Bachs Passion in mystischen Bildern: ausdrucksv­oll mit starken Soli, mitunter plakativ.

- VON ISABELLA WALLNÖFER

Der zu erwartende Verlust lässt sich schon im ersten Bild ablesen: Auf einem langen, schräg gestellten Tisch stehen zehn Nähmaschin­en. Eine zu wenig für die elf Tänzer und Tänzerinne­n, die gleich anfangen werden, an ihren weißen Gewändern zu nähen, die sie im Verlauf der folgenden 135 Minuten immer wieder an- und ausziehen werden. Nackt treten sie auf die Bühne. Bloß, als wären sie Kinder, Habenichts­e, unbeschrie­bene Blätter, setzen sie sich an den Tisch, geben den Nadeln Gas, werken vertieft, zupfen am Stoff, ahnen nichts von dem, das da kommen wird. Es erinnert in Setting und Unbekümmer­theit an da Vincis „Das letzte Abendmahl“. Nur ist hier nicht klar, wer denn der ist, der gleich verraten werden wird.

Das lässt Choreograf­in Sasha Waltz, die zum ersten Mal ein religiös konnotiert­es Musikwerk interpreti­ert, bewusst offen. Denn in ihrer Auslegung der „Johannespa­ssion“von Johann Sebastian Bach, die bei den Salzburger Osterfests­pielen zur Uraufführu­ng kam, gibt es nicht nur einen Darsteller für Jesus, sondern mehrere. Auch Frauen hängen da angeklamme­rt an Brettern, die das Kreuz symbolisie­ren, oder werden behutsam am Bühnenrand abgelegt, wie in Caravaggio­s „Grablegung Christi“. Ein andermal bilden die Protagonis­ten mit Hilfe flexibler Holzrahmen einen großen Flügelalta­r, in dem sie wie ein Tableau vivant agieren.

Die Jünger auf der Himmelslei­ter

Sasha Waltz will viel. Vielleicht zu viel. Jeder Satz, der vom Chor und den zehn Solisten intoniert wird, wird mit einer choreograf­ischen Sequenz untermalt. Als müsste man den Text der „Johannespa­ssion“, der im Kern aus dem Johannesev­angelium in der Lutherüber­setzung entnommen ist, Wort für Wort performati­v übersetzen. Das ist an manchen Stellen ein Zuviel auf der Bühne. Da wird das Lauschen lautlos übertönt.

Waltz hat auch sehr schöne Ideen – sie lässt die Soldaten Jesus mit langen Stangen peinigen, aus denen Barrieren, ein Käfig, Speere und eine Art Aufhängung werden, an der bald ein weiblicher Jesus baumelt. Es sind eindrückli­che Bilder, die aufrütteln und rühren. Aber wenn am Ende die Jünger Jesus über eine Art Himmelslei­ter nachsteige­n wollen, wirkt das doch etwas plakativ.

Die Tänzer ihrer Company „Sasha Waltz & Guests“geben sich ausdruckss­tark der Passion Christi hin. Immer wieder kommt es zu emotionale­n Szenen. Etwa, wenn sich Petrus nach der Verleugnun­g Jesu, gequält von Reue, in die eigene Faust beißt, sich auf den Kopf schlägt und windet. Es ist eines von mehreren großartige­n Soli, die dieses Stück zu bieten hat.

Die Cappella Mediterran­ea unter Leonardo Garcia Alarcon bewältigt die Herausford­erung mit Bravour: Die Musiker sitzen getrennt rechts und links der Bühne. Die Mitglieder des Choeur de Chambre de Namur und des Choeur de l’Opéra de Dijon sind nicht nur auf der Bühne aktiv, sondern auch im Publikum verteilt. Eine Dislozieru­ng, die sich jedoch auf das Klangerleb­nis auswirkt. Unter den tadellosen Solisten stechen Valerio Contaldo (als Evangelist), Georg Nigl (Pilatus) und Sopranisti­n Sophie Junker hervor.

Schade, dass Waltz und David Finn (Licht) die Möglichkei­ten der Felsenreit­schule mit ihren 96 imposanten Arkaden nicht genutzt haben. Sie bilden bloß eine graue Wand, vor der reduziert ausgeleuch­teten Bühne (Heike Schuppeliu­s). Die schlichten Kostüme (Bernd Skodzig) in Weiß, Grau- und Beigetönen (nur Pilatus und der Hohe Rat tragen Lila) unterstrei­chen die mystische Atmosphäre dieser Inszenieru­ng. Am Ende großer Jubel für dieses Klang- und Tanzerlebn­is.

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[Bernd Uhlig / Osterfests­piele] Eine Passion in Weiß-Grau-Beige.

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