In dieser „ Johannespassion“kann Jesus auch eine Frau sein
Choreografin Sasha Waltz interpretiert Bachs Passion in mystischen Bildern: ausdrucksvoll mit starken Soli, mitunter plakativ.
Der zu erwartende Verlust lässt sich schon im ersten Bild ablesen: Auf einem langen, schräg gestellten Tisch stehen zehn Nähmaschinen. Eine zu wenig für die elf Tänzer und Tänzerinnen, die gleich anfangen werden, an ihren weißen Gewändern zu nähen, die sie im Verlauf der folgenden 135 Minuten immer wieder an- und ausziehen werden. Nackt treten sie auf die Bühne. Bloß, als wären sie Kinder, Habenichtse, unbeschriebene Blätter, setzen sie sich an den Tisch, geben den Nadeln Gas, werken vertieft, zupfen am Stoff, ahnen nichts von dem, das da kommen wird. Es erinnert in Setting und Unbekümmertheit an da Vincis „Das letzte Abendmahl“. Nur ist hier nicht klar, wer denn der ist, der gleich verraten werden wird.
Das lässt Choreografin Sasha Waltz, die zum ersten Mal ein religiös konnotiertes Musikwerk interpretiert, bewusst offen. Denn in ihrer Auslegung der „Johannespassion“von Johann Sebastian Bach, die bei den Salzburger Osterfestspielen zur Uraufführung kam, gibt es nicht nur einen Darsteller für Jesus, sondern mehrere. Auch Frauen hängen da angeklammert an Brettern, die das Kreuz symbolisieren, oder werden behutsam am Bühnenrand abgelegt, wie in Caravaggios „Grablegung Christi“. Ein andermal bilden die Protagonisten mit Hilfe flexibler Holzrahmen einen großen Flügelaltar, in dem sie wie ein Tableau vivant agieren.
Die Jünger auf der Himmelsleiter
Sasha Waltz will viel. Vielleicht zu viel. Jeder Satz, der vom Chor und den zehn Solisten intoniert wird, wird mit einer choreografischen Sequenz untermalt. Als müsste man den Text der „Johannespassion“, der im Kern aus dem Johannesevangelium in der Lutherübersetzung entnommen ist, Wort für Wort performativ übersetzen. Das ist an manchen Stellen ein Zuviel auf der Bühne. Da wird das Lauschen lautlos übertönt.
Waltz hat auch sehr schöne Ideen – sie lässt die Soldaten Jesus mit langen Stangen peinigen, aus denen Barrieren, ein Käfig, Speere und eine Art Aufhängung werden, an der bald ein weiblicher Jesus baumelt. Es sind eindrückliche Bilder, die aufrütteln und rühren. Aber wenn am Ende die Jünger Jesus über eine Art Himmelsleiter nachsteigen wollen, wirkt das doch etwas plakativ.
Die Tänzer ihrer Company „Sasha Waltz & Guests“geben sich ausdrucksstark der Passion Christi hin. Immer wieder kommt es zu emotionalen Szenen. Etwa, wenn sich Petrus nach der Verleugnung Jesu, gequält von Reue, in die eigene Faust beißt, sich auf den Kopf schlägt und windet. Es ist eines von mehreren großartigen Soli, die dieses Stück zu bieten hat.
Die Cappella Mediterranea unter Leonardo Garcia Alarcon bewältigt die Herausforderung mit Bravour: Die Musiker sitzen getrennt rechts und links der Bühne. Die Mitglieder des Choeur de Chambre de Namur und des Choeur de l’Opéra de Dijon sind nicht nur auf der Bühne aktiv, sondern auch im Publikum verteilt. Eine Dislozierung, die sich jedoch auf das Klangerlebnis auswirkt. Unter den tadellosen Solisten stechen Valerio Contaldo (als Evangelist), Georg Nigl (Pilatus) und Sopranistin Sophie Junker hervor.
Schade, dass Waltz und David Finn (Licht) die Möglichkeiten der Felsenreitschule mit ihren 96 imposanten Arkaden nicht genutzt haben. Sie bilden bloß eine graue Wand, vor der reduziert ausgeleuchteten Bühne (Heike Schuppelius). Die schlichten Kostüme (Bernd Skodzig) in Weiß, Grau- und Beigetönen (nur Pilatus und der Hohe Rat tragen Lila) unterstreichen die mystische Atmosphäre dieser Inszenierung. Am Ende großer Jubel für dieses Klang- und Tanzerlebnis.