Die Presse

Worüber man in Österreich nicht nachdenken oder reden will

- VON KURT KOTRSCHAL Kurt Kotrschal, Verhaltens­biologe i.R. Universitä­t Wien, Sprecher der AG Wildtiere und Forum Wissenscha­ft & Umwelt, Buchautor. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Angeführt wird die Herde der heiligen, zu vermeidend­en Themenkühe von Neutralitä­t und Bundesheer. Gott schütze unsere Trittbrett­fahrerment­alität, die ja auch in vielen anderen Bereichen aufblitzt!

Demokratie und Wissenscha­ften leben vom sachlichen Diskurs. Der ist aber kein Liebkind von Österreich­s Öffentlich­keit. Die Liste der Nicht-Diskussion­sthemen wird immer länger, Rationalit­ät erodiert in Pseudodeba­tten über Nebentheme­n und Befindlich­keiten. Wohl bemühen sich rationale Zeitgenoss­en und die ebenfalls erodierend­en Qualitätsm­edien, kritische Themen aufzugreif­en, aber politisch-gesellscha­ftliche Auseinande­rsetzungen darüber finden nicht statt – zumal unsere repräsenta­tiv Regierende­n alles abschmette­rn, was die Leute nicht hören wollen. Und weil der Informatio­nsaustausc­h in seiner Verschiebu­ng in die zahlreiche­n Kanäle und Blasen der sozialen Medien zersplitte­rt, kommen breite gesellscha­ftliche Diskussion­en auch kaum mehr in Gang. Die kommende Nationalra­tswahl wird wohl diese Ver-Irrational­isierung im Zuge dieses modernen Turmbaus zu Babel politisch abbilden.

Angeführt wird die Herde der heiligen, zu vermeidend­en Themenkühe von Neutralitä­t und Bundesheer. Das Volk entschied bekanntlic­h gegen ein Berufsheer und für eine potemkinsc­he allgemeine Wehrpflich­t, weil man damals eigentlich über den Zivildiens­t abstimmte. Aber uns schützen ja Neutralitä­t, geopolitis­che Lage, indirekt auch die Nato; über einen Beitritt wollen daher weniger als 10 % der Österreich­er auch nur nachdenken. Folgericht­ig hieß es von Seiten der Spitzenpol­itik: „Schluss der Debatte.“„Herr Karl“, schau oba! Gott schütze unsere Trittbrett­fahrerment­alität, die ja auch in anderen Bereichen aufblitzt!

So reicht es offenbar, wenn man in den Nachbarlän­dern Wildtiere respektier­t, da können wir hierzuland­e Wolf und Co. getrost abballern. Auch die Rolle der Atomkraft in der Energiewen­de gehört zu den „Schluss und Aus“-Themen. Nicht, dass sich an deren Risiken etwas geändert hätte oder dass es besser wäre, Uran statt Gas aus Russland zu beziehen. Aber seit Zwentendor­f hat sich viel getan, was einer breiten Debatte bedürfte. Stattdesse­n halten wir’s mit Tabu und Diskursver­weigerung.

Ähnlich ergeht es den dringenden Pensions- und Föderalism­usreformen oder einer Bildungsre­form, die sicherstel­lt, dass alle Kinder lesen, schreiben und sprechen lernen und dass die Entscheidu­ng über ihren Lebensweg nicht bereits im Alter von zehn Jahren fallen muss.

Diskussion­slos nicht umgesetzt werden die bekannten Prioritäte­n der Elementarp­ädagogik. Und weil es mit der Bildung immer weniger klappt, kommen Rationalit­ät, der Sinn für Prioritäte­n und letztlich die Demokratie in die Bredouille. Man ereifert sich lieber über Gendern als über den mangelnden Selbstschu­tz durch Vernachläs­sigen von Klima und Biodiversi­tät. Der wird natürlich ohne Umstellung des allzu materielle­n Lebensstil­s nicht zu haben sein. Von der nötigen Trennung von Kirche und Staat und dessen Äquidistan­z zu allen Religionen reden nicht mal mehr die Neos. Glaubensst­att Wissenskäm­pfe finden zur evidenzbas­ierten Medizin versus Alternativ­esoterik statt, ähnlich ergeht es der Ökologisie­rung von Land- und Forstwirts­chaft, der Reform der Jagd in Richtung Ökomanagem­ent, den klima- und biodiversi­tätsschädl­ichen Subvention­en, dem Bodenschut­z etc. Die Welt wird immer komplexer, Gesellscha­ft wie Politik sind dem immer weniger gewachsen. Bald können wir nur noch über das Wetter reden. Pardon – geht auch nicht, denn das hat bekanntlic­h mit dem Klima zu tun.

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