Worüber man in Österreich nicht nachdenken oder reden will
Angeführt wird die Herde der heiligen, zu vermeidenden Themenkühe von Neutralität und Bundesheer. Gott schütze unsere Trittbrettfahrermentalität, die ja auch in vielen anderen Bereichen aufblitzt!
Demokratie und Wissenschaften leben vom sachlichen Diskurs. Der ist aber kein Liebkind von Österreichs Öffentlichkeit. Die Liste der Nicht-Diskussionsthemen wird immer länger, Rationalität erodiert in Pseudodebatten über Nebenthemen und Befindlichkeiten. Wohl bemühen sich rationale Zeitgenossen und die ebenfalls erodierenden Qualitätsmedien, kritische Themen aufzugreifen, aber politisch-gesellschaftliche Auseinandersetzungen darüber finden nicht statt – zumal unsere repräsentativ Regierenden alles abschmettern, was die Leute nicht hören wollen. Und weil der Informationsaustausch in seiner Verschiebung in die zahlreichen Kanäle und Blasen der sozialen Medien zersplittert, kommen breite gesellschaftliche Diskussionen auch kaum mehr in Gang. Die kommende Nationalratswahl wird wohl diese Ver-Irrationalisierung im Zuge dieses modernen Turmbaus zu Babel politisch abbilden.
Angeführt wird die Herde der heiligen, zu vermeidenden Themenkühe von Neutralität und Bundesheer. Das Volk entschied bekanntlich gegen ein Berufsheer und für eine potemkinsche allgemeine Wehrpflicht, weil man damals eigentlich über den Zivildienst abstimmte. Aber uns schützen ja Neutralität, geopolitische Lage, indirekt auch die Nato; über einen Beitritt wollen daher weniger als 10 % der Österreicher auch nur nachdenken. Folgerichtig hieß es von Seiten der Spitzenpolitik: „Schluss der Debatte.“„Herr Karl“, schau oba! Gott schütze unsere Trittbrettfahrermentalität, die ja auch in anderen Bereichen aufblitzt!
So reicht es offenbar, wenn man in den Nachbarländern Wildtiere respektiert, da können wir hierzulande Wolf und Co. getrost abballern. Auch die Rolle der Atomkraft in der Energiewende gehört zu den „Schluss und Aus“-Themen. Nicht, dass sich an deren Risiken etwas geändert hätte oder dass es besser wäre, Uran statt Gas aus Russland zu beziehen. Aber seit Zwentendorf hat sich viel getan, was einer breiten Debatte bedürfte. Stattdessen halten wir’s mit Tabu und Diskursverweigerung.
Ähnlich ergeht es den dringenden Pensions- und Föderalismusreformen oder einer Bildungsreform, die sicherstellt, dass alle Kinder lesen, schreiben und sprechen lernen und dass die Entscheidung über ihren Lebensweg nicht bereits im Alter von zehn Jahren fallen muss.
Diskussionslos nicht umgesetzt werden die bekannten Prioritäten der Elementarpädagogik. Und weil es mit der Bildung immer weniger klappt, kommen Rationalität, der Sinn für Prioritäten und letztlich die Demokratie in die Bredouille. Man ereifert sich lieber über Gendern als über den mangelnden Selbstschutz durch Vernachlässigen von Klima und Biodiversität. Der wird natürlich ohne Umstellung des allzu materiellen Lebensstils nicht zu haben sein. Von der nötigen Trennung von Kirche und Staat und dessen Äquidistanz zu allen Religionen reden nicht mal mehr die Neos. Glaubensstatt Wissenskämpfe finden zur evidenzbasierten Medizin versus Alternativesoterik statt, ähnlich ergeht es der Ökologisierung von Land- und Forstwirtschaft, der Reform der Jagd in Richtung Ökomanagement, den klima- und biodiversitätsschädlichen Subventionen, dem Bodenschutz etc. Die Welt wird immer komplexer, Gesellschaft wie Politik sind dem immer weniger gewachsen. Bald können wir nur noch über das Wetter reden. Pardon – geht auch nicht, denn das hat bekanntlich mit dem Klima zu tun.