Worüber „Friedensfreunde“sich in Schweigen hüllen
Findet Putins Russland in Europa einige Unterstützer. In Ungarn und der Slowakei hat es sogar die Premiers auf seiner Seite.
Die Kapitalisten werden uns noch den Strick verkaufen, mit dem wir sie aufknüpfen werden“, soll der russische Revolutionär Wladimir Iljitsch Lenin angeblich einmal gesagt haben. Abgewandelt auf die Gegenwart, könnte man dem heutigen russischen Diktator, Wladimir Putin, in den Mund legen: „Die ,Friedensfreunde‘ in der Welt werden uns die Ukraine und später das übrige Europa noch auf dem Präsentierteller servieren.“
Es vergeht kein Tag, an dem nicht irgendein rechter oder linker Politiker, Wirtschaftstreibender, Kolumnist in einer bunten Sonntagsbeilage und ja sogar der Papst fordern, der Krieg in der Ukraine müsse „eingefroren“werden, die Waffen müssten schweigen, es müssten endlich Friedensverhandlungen beginnen, die Ukraine müsse die weiße Fahne schwenken.
Niemand wünscht sich ein Ende der Kampfhandlungen vermutlich mehr als die Menschen in der im Februar 2022 brutal überfallenen Ukraine. Was hingegen die vermeintlichen „Friedensfreunde“nie sagen, ist, dass ein „Einfrieren“des Kriegs, dass ein Waffenstillstand, dass jetzige Verhandlungen einzig und allein dem Aggressor – Russland – nutzen würden, dass die Ukraine Teile des von den Russen okkupierten Staatsgebiets verlieren würde, dass sie sich wieder in der Rolle des Vasallen Moskaus finden würde.
Offenkundig heißt „Frieden“für Rolf Mützenich und Genossen, Herbert Kickl und Kameraden, für manche Wirtschaftsfunktionäre und „querdenkende“Publizisten, dass die Ukraine klein beigeben und sich Putin fügen muss, damit man endlich wieder ungestört dubiose Geschäfte mit den russischen Neoimperialisten machen kann. Alle diese „Friedensfreunde“nehmen die offiziell vorgetragenen Forderungen des Putin-Regimes einfach nicht zur Kenntnis, die Putin selbst und seine Kampfhunde Dmitrij Medwedjew und Sergej Lawrow bei jeder Gelegenheit wiederholen: Nichts anderes kann Russlands „militärische Spezialoperation“beenden als die „Entnazifizierung“, „Entmilitarisierung“und „Neutralisierung“der Ukraine, sprich die völlige und bedingungslose Unterwerfung des Landes, der die Eingliederung des Landes in die Russische Föderation folgen wird. Medwedjew bezeichnete seine Forderung nach totaler Kapitulation jüngst euphemistisch als „Friedensformel“, die Putin-Apologeten allerorts werden zustimmend genickt haben.
Besonders heftig genickt haben sie vermutlich in Budapest und Bratislava. Viktor Orbán hat den russischen Überfall von Anfang an stillschweigend akzeptiert, weil er Putin als Freund ansieht und
weil er die Ukrainer nicht mag. Seit Herbst hat er mit dem zurück ins slowakische Premierministeramt gelangten Robert Fico einen potenten Mitstreiter bei der Verbreitung russischer Propagandaerzählungen zum Ukraine-Krieg.
Auch Fico gibt den „Neonazis in Kiew“die Hauptschuld am Ausbruch des Kriegs; er bezweifelt, dass die Ukraine je obsiegen könnte, sieht sein Nachbarland unter der totalen Kontrolle der USA und klagt über die weitverbreitete Korruption dort – was besonders perfide ist, zumal er und seine Smer-Partei selbst als ausgesprochen korruptionsanfällig gelten. Es sei die „Strategie des Westens, den Krieg dazu zu nützen, um Russland wirtschaftlich, militärisch und politisch zu schwächen, aber das wird nicht funktionieren“, behauptet er. In der bunten Sonntagszeitung wurde Fico für seine prorussischen Positionen das Prädikat „Säule der Vernunft“verliehen.
Fruchtlose Begegnungen
Der slowakische Außenminister, Juraj Blanár, der Ficos Kurs brav mitträgt, schreckte im Februar vor einem Treffen mit Lawrow, dem russischen Außenminister, in Antalya nicht zurück. Mit dabei war auch Ungarns Außenminister, Péter Szijjártó, trotz EU-Sanktionen wiederholter Gast in Moskau. Natürlich werden solche Treffen stets damit begründet, dass man den Dialog mit Moskau aufrechterhalten müsse. Nur, gebracht haben sie bei der Suche nach Konfliktlösungen absolut nichts – außer Material für russische Propaganda.
Die slowakische Staatspräsidentin Zuzana Čaputová rügte denn auch Blanárs Treffen mit Lawrow: „Die Begegnung hat uns einem gerechten Frieden in der Ukraine keinen Schritt nähergebracht. Der schnellste Weg zum Frieden ist, dass Wladimir Putin seinen Truppen den Abzug aus der Ukraine befiehlt – und nicht, dass man ihm Anerkennung zollt und Hoffnung auf einen Sieg macht.“
Nur, warum verfolgt Fico im Schlepptau von Orbán diesen ProPutin-Kurs? In einer Diskussionsveranstaltung in der Diplomatischen Akademie wurde vor Kurzem daran erinnert, dass Fico seine politische Laufbahn in der Kommunistischen Partei begonnen hatte. Sozialdemokratisch sind er und seine Partei Smer nur dem Namen nach, der Kreis der europäischen Sozialdemokraten hat die Partei im vergangenen Herbst sogar vor die Tür gesetzt.
Robert Ficos Hauptfeinde
Am ehesten passt für Smer die Einstufung linkspopulistisch, linksnationalistisch. Unabhängige Medien, Nichtregierungsorganisationen und den Westen hat die Partei zu Hauptfeinden erklärt. Gerade läuft eine Operation, um nach dem Vorbild von Fidesz in Ungarn und PiS in Polen das staatliche Fernsehen unter die Kontrolle der Regierung zu bekommen. Die sehr rege slowakische Zivilgesellschaft stellt sich Ficos Allmachtswünschen bisher entschlossen entgegen.
Die slowakische Gesellschaft, hieß es in der Diplomatischen Akademie auch, ist zu gleichen Teilen in Pro-Westler und Russophile gespalten, Letztere bilden die Basis für die Smer-Partei. Allerdings sei nichts im Parteiprogramm von Smer oder im Programm der jetzigen Regierung explizit prorussisch. Die zwei Gesichter des Robert Fico: In seinen Auftritten im Inland stimmt Fico vulgäre antiwestliche Töne an und vertritt prorussische Positionen. Bei EU-Treffen in Brüssel wiederum gibt er sich stets pragmatisch proeuropäisch. Schließlich gilt es, die Mittel aus EU-Töpfen abzuschöpfen; sie machen gut zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Slowakei aus.
Einer, der von Ficos Spielchen offenkundig genug hat, ist Tschechiens Premier, Petr Fiala. Nach der Begegnung Blanár/Lawrow sagte er die regelmäßig stattfindenden Konsultationen der gesamten tschechischen und slowakischen Regierung zur Verärgerung Ficos ab.
2+2 = Visegrád
Der jüngste Gipfel der VisegrádGruppe (V4) in Prag Ende Februar machte deutlich, dass aus den V4 inzwischen 2+2 geworden waren: Tschechien und Polen als zwei eiserne Unterstützer des Verteidigungskriegs der Ukraine, Ungarn und die Slowakei als Verweigerer von Waffenhilfe für Kiew und als Quertreiber gegen die europäische Rückendeckung für die Verteidiger.
Die historische Ironie: Die Visegrád-Gruppe wurde 1999 als Koalition zentraleuropäischer Staaten gegründet, die sich endgültig vom Joch Moskaus lösen und gemeinsam den Weg in die westliche Wertegemeinschaft beschreiten wollten. Heute sind es die unterschiedlichen Haltungen zu Putins Russland, die das Quartett auseinanderdividieren. Eine Gruppe, die 65 Millionen Menschen repräsentiert und die in Brüssel ein gewichtiges Wort mitzureden hatte, beschädigt sich gerade selbst.