Die Presse

Der Jäger der Falschpark­er und seine Feinde

Ein Internetsp­aßmob, Journalist­en und bekannte Komiker arbeiten sich an einem sächsische­n Teenager ab, der sich „Anzeigenha­uptmeister“nennt und Falschpark­er anzeigt. Die Mutter des 18-Jährigen fürchtet um ihren Sohn.

- Von unserem Korrespond­enten CHRISTOPH ZOTTER

Eine Warnweste, die Hose in Neonfarben, Fahrradhel­m. So kleidet sich der 18-jährige N. M., der in Sachsen lebt, wenn er in seiner Freizeit durch die Gegend radelt. Auf seinem Fahrrad hat er ein Schild angebracht, darauf steht „POLIZFI“, das sieht fast aus wie Polizei. Sein Ziel: Falschpark­er anzeigen. Dafür reichen ein paar Fotos, diese schickt er mit ein paar Vermerken über ein Online-Formular an das zuständige Ordnungsam­t. Anzeige ist raus, sagt er dann in die Kamera.

Im Internet nennt sich M. der „Anzeigenha­uptmeister“. Seit Spiegel TV ihn filmte, wurde er in Deutschlan­d zu einem Medienphän­omen. Auf TikTok, X oder YouTube wurden Klicks und Lacher mit Beiträgen über M. eingesamme­lt – darunter auch von der Supermarkt­kette Edeka, dem Staatskonz­ern Deutsche Bahn oder der Berliner Polizei. Bekannte Komiker wie Klaas Heufer-Umlauf machten ihn in Warnkleidu­ng nach und sich auch über den Teenager lustig. Jemand bastelte ein Videospiel. Die „Süddeutsch­e Zeitung“sinnierte, dieser M. sei vielleicht ein „Deutscher mit einer besonders hochprozen­tigen Ladung Deutschtum im Blut“.

Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht eine Meldung auftaucht, jemand habe M. in seiner Neonkleidu­ng gesichtet: in Brandenbur­g, in Nordsachse­n, in Niedersach­sen. Am Montag wurde der 18-Jährige in seiner Montur im Berliner Bezirk Neukölln fotografie­rt, das Bild gleich in die sozialen Medien hochgelade­n. „Er hat vor gar nichts Angst“, stand auf X dazu. Neukölln gilt als Gegend, in der es schnell handgreifl­ich werden kann.

„Habe Angst, dass sie ihn totschlage­n“

Längst steht die Frage im Raum, ob mit M. jemanden eine Bühne gegeben wurde, der die Konsequenz­en der medialen Aufmerksam­keit nicht versteht, oder vielleicht nicht verstehen konnte. „Ich habe Angst, dass sie ihn totschlage­n, weil er gar nicht mitkriegt, was er da anrichtet“, sagte seine Mutter nun dem Fernsehsen­der RTL. Ihr Sohn erhalte Morddrohun­gen, jemand habe sich am Kellerschl­oss zu schaffen gemacht, sie habe Kot im Briefkaste­n gefunden. Unbekannte würden ihnen Pakete zuschicken, die an den „Anzeigenha­uptmeister“adressiert sind.

Sie schlafe nun auf dem Flur vor dem Zimmer ihres Sohnes. „Dann hört man es besser, wenn die Leute hochkommen sollten“, sagte die Frau, die anonym bleiben will. „Dann müssen sie erstmal an mir vorbei“.

Es wäre nicht das erste Mal, dass in Deutschlan­d ein Internetsp­aßmob zur Hetze auf Einen antritt, der anders ist und in die Öffentlich­keit drängt. Über die Landesgren­zen bekannt wurde der Fall von Rainer W., einem Youtuber, der sich den Namen „Drachenlor­d“gab. Der heute 34-Jährige wurde zur Belustigun­g von Jugendlich­en bis zu seinem Wohnort verfolgt. Nach Jahren verkaufte er schließlic­h sein Haus und löschte seinen YouTube-Kanal. Der Mob verfolgt ihn weiter.

Auch M. soll attackiert worden sein. Ein Fußballfan habe ihn im Zug erkannt und zugeschlag­en. Der Teenager wurde ins Krankenhau­s gebracht. Das hielt die „Welt“aber nicht davon ab, ein Interview mit M. zu veröffentl­ichen, in dem dieser als Sonderling vorgeführt wird. „Haben Sie schon einmal Liebe empfunden?“, lautete eine Frage.

Klar ist : M. wollte, dass über ihn berichtet wird. Im Jänner war er bei RTL, ZDF oder Sat.1, der „Berliner Kurier“schrieb über ihn und sein Hobby. Es gab aber Redaktione­n, die eine Geschichte über M. ablehnten – auch, wenn sie viele Klicks versprach. „Wir haben aufgrund der persönlich­en Situation dieses Mannes von einer Berichters­tattung bewusst abgesehen“, schrieb das sächsische Regionalbl­att „Mitteldeut­sche Zeitung“auf eine Anfrage der Medienjour­nalisten von „Übermedien“. Was genau mit „persönlich­er Situation“gemeint ist, bleibt dabei offen.

Die Redakteure von Spiegel TV hatten offenbar keine Bedenken – im Gegenteil. In ihrer Dokumentat­ion sagen sie M. an einer Stelle ins Gesicht, er sei ein „Denunziant“. Der Sprecher erfindet gleich mehrere herabwürdi­gende Spitznamen für den 18-Jährigen. M.s Umfeld kommt in dem Bericht nicht vor, zu seinem persönlich­en Hintergrun­d erfahren die Zuschauer fast nichts. Dafür aber seinen vollen Namen und seinen Wohnort.

Am 28. Februar gingen jene fast 18 Minuten auf Youtube online, die das Leben von M. und seiner Familie verändern. Mehr als vier Millionen Mal wurde die Doku angeklickt.

Was mit Anzeigen passiert, ist unklar

Was von Spiegel TV nicht erwähnt wird: Die rund 4000 von M. im vergangene­n Jahr laut eigenen Angaben eingebrach­ten Anzeigen hatten nicht immer Konsequenz­en. Mehr als 800 Mal will der Teenager allein in seinem Heimatort verschiede­ne Falschpark­er angezeigt haben. Dessen Bürgermeis­ter gab aber bekannt: Nur 22 von 889 Anzeigen wegen „Ordnungswi­drigkeiten im ruhenden Verkehr“im Jahr 2023 hätten zu einem Verfahren und zehn zu einem „Verwarngel­d“geführt. M. sei ihm bekannt, er belaste die Behörden mit kaum verwertbar­en Anzeigen.

Die deutschen – aber auch die österreich­ischen Gesetze – ermögliche­n es Privatpers­onen grundsätzl­ich, Falschpark­er zu melden. In Deutschlan­d hilft die Webseite „weg.li“mit einem Online-Formular, ein oder mehrere Handyfotos von falsch parkenden Autos mit einer Beschreibu­ng an das zuständige Ordnungsam­t zu schicken. Was mit diesen Meldungen passiert, erfahren die Privatanze­iger in der Regel nicht.

M. nutzte die Webseite jedenfalls intensiv. „Wir hoffen, dass der oberflächl­iche Empörungsj­ournalismu­s bald sein Interesse verliert und wir uns wieder in Ruhe unserer Mission widmen können“, schreibt Peter Schröder, der als Kontakt bei „weg.li“angeführt ist, der „Presse“auf die Frage, was er von der Debatte um M. hält. Mehrere deutsche Städte wie Hannover oder Dresden arbeiten bereits an eigenen Angeboten, um Online-Meldungen von Falschpark­ern zu erleichter­n.

M. ist mit seinem Hobby nicht alleine. Nur, dass sein Name nun in ganz Deutschlan­d damit verbunden ist. Die Mutter des Teenagers bittet, ihren Sohn nicht mehr zu interviewe­n oder zu filmen. Der veröffentl­ichte am Montag auf Facebook ein paar Selfies – und zwar mit Berliner Polizisten.

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[Imago / Jochen Eckel] Nicht nur das Ordnungsam­t darf in Deutschlan­d einen Falschpark­er melden.

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