Der Jäger der Falschparker und seine Feinde
Ein Internetspaßmob, Journalisten und bekannte Komiker arbeiten sich an einem sächsischen Teenager ab, der sich „Anzeigenhauptmeister“nennt und Falschparker anzeigt. Die Mutter des 18-Jährigen fürchtet um ihren Sohn.
Eine Warnweste, die Hose in Neonfarben, Fahrradhelm. So kleidet sich der 18-jährige N. M., der in Sachsen lebt, wenn er in seiner Freizeit durch die Gegend radelt. Auf seinem Fahrrad hat er ein Schild angebracht, darauf steht „POLIZFI“, das sieht fast aus wie Polizei. Sein Ziel: Falschparker anzeigen. Dafür reichen ein paar Fotos, diese schickt er mit ein paar Vermerken über ein Online-Formular an das zuständige Ordnungsamt. Anzeige ist raus, sagt er dann in die Kamera.
Im Internet nennt sich M. der „Anzeigenhauptmeister“. Seit Spiegel TV ihn filmte, wurde er in Deutschland zu einem Medienphänomen. Auf TikTok, X oder YouTube wurden Klicks und Lacher mit Beiträgen über M. eingesammelt – darunter auch von der Supermarktkette Edeka, dem Staatskonzern Deutsche Bahn oder der Berliner Polizei. Bekannte Komiker wie Klaas Heufer-Umlauf machten ihn in Warnkleidung nach und sich auch über den Teenager lustig. Jemand bastelte ein Videospiel. Die „Süddeutsche Zeitung“sinnierte, dieser M. sei vielleicht ein „Deutscher mit einer besonders hochprozentigen Ladung Deutschtum im Blut“.
Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht eine Meldung auftaucht, jemand habe M. in seiner Neonkleidung gesichtet: in Brandenburg, in Nordsachsen, in Niedersachsen. Am Montag wurde der 18-Jährige in seiner Montur im Berliner Bezirk Neukölln fotografiert, das Bild gleich in die sozialen Medien hochgeladen. „Er hat vor gar nichts Angst“, stand auf X dazu. Neukölln gilt als Gegend, in der es schnell handgreiflich werden kann.
„Habe Angst, dass sie ihn totschlagen“
Längst steht die Frage im Raum, ob mit M. jemanden eine Bühne gegeben wurde, der die Konsequenzen der medialen Aufmerksamkeit nicht versteht, oder vielleicht nicht verstehen konnte. „Ich habe Angst, dass sie ihn totschlagen, weil er gar nicht mitkriegt, was er da anrichtet“, sagte seine Mutter nun dem Fernsehsender RTL. Ihr Sohn erhalte Morddrohungen, jemand habe sich am Kellerschloss zu schaffen gemacht, sie habe Kot im Briefkasten gefunden. Unbekannte würden ihnen Pakete zuschicken, die an den „Anzeigenhauptmeister“adressiert sind.
Sie schlafe nun auf dem Flur vor dem Zimmer ihres Sohnes. „Dann hört man es besser, wenn die Leute hochkommen sollten“, sagte die Frau, die anonym bleiben will. „Dann müssen sie erstmal an mir vorbei“.
Es wäre nicht das erste Mal, dass in Deutschland ein Internetspaßmob zur Hetze auf Einen antritt, der anders ist und in die Öffentlichkeit drängt. Über die Landesgrenzen bekannt wurde der Fall von Rainer W., einem Youtuber, der sich den Namen „Drachenlord“gab. Der heute 34-Jährige wurde zur Belustigung von Jugendlichen bis zu seinem Wohnort verfolgt. Nach Jahren verkaufte er schließlich sein Haus und löschte seinen YouTube-Kanal. Der Mob verfolgt ihn weiter.
Auch M. soll attackiert worden sein. Ein Fußballfan habe ihn im Zug erkannt und zugeschlagen. Der Teenager wurde ins Krankenhaus gebracht. Das hielt die „Welt“aber nicht davon ab, ein Interview mit M. zu veröffentlichen, in dem dieser als Sonderling vorgeführt wird. „Haben Sie schon einmal Liebe empfunden?“, lautete eine Frage.
Klar ist : M. wollte, dass über ihn berichtet wird. Im Jänner war er bei RTL, ZDF oder Sat.1, der „Berliner Kurier“schrieb über ihn und sein Hobby. Es gab aber Redaktionen, die eine Geschichte über M. ablehnten – auch, wenn sie viele Klicks versprach. „Wir haben aufgrund der persönlichen Situation dieses Mannes von einer Berichterstattung bewusst abgesehen“, schrieb das sächsische Regionalblatt „Mitteldeutsche Zeitung“auf eine Anfrage der Medienjournalisten von „Übermedien“. Was genau mit „persönlicher Situation“gemeint ist, bleibt dabei offen.
Die Redakteure von Spiegel TV hatten offenbar keine Bedenken – im Gegenteil. In ihrer Dokumentation sagen sie M. an einer Stelle ins Gesicht, er sei ein „Denunziant“. Der Sprecher erfindet gleich mehrere herabwürdigende Spitznamen für den 18-Jährigen. M.s Umfeld kommt in dem Bericht nicht vor, zu seinem persönlichen Hintergrund erfahren die Zuschauer fast nichts. Dafür aber seinen vollen Namen und seinen Wohnort.
Am 28. Februar gingen jene fast 18 Minuten auf Youtube online, die das Leben von M. und seiner Familie verändern. Mehr als vier Millionen Mal wurde die Doku angeklickt.
Was mit Anzeigen passiert, ist unklar
Was von Spiegel TV nicht erwähnt wird: Die rund 4000 von M. im vergangenen Jahr laut eigenen Angaben eingebrachten Anzeigen hatten nicht immer Konsequenzen. Mehr als 800 Mal will der Teenager allein in seinem Heimatort verschiedene Falschparker angezeigt haben. Dessen Bürgermeister gab aber bekannt: Nur 22 von 889 Anzeigen wegen „Ordnungswidrigkeiten im ruhenden Verkehr“im Jahr 2023 hätten zu einem Verfahren und zehn zu einem „Verwarngeld“geführt. M. sei ihm bekannt, er belaste die Behörden mit kaum verwertbaren Anzeigen.
Die deutschen – aber auch die österreichischen Gesetze – ermöglichen es Privatpersonen grundsätzlich, Falschparker zu melden. In Deutschland hilft die Webseite „weg.li“mit einem Online-Formular, ein oder mehrere Handyfotos von falsch parkenden Autos mit einer Beschreibung an das zuständige Ordnungsamt zu schicken. Was mit diesen Meldungen passiert, erfahren die Privatanzeiger in der Regel nicht.
M. nutzte die Webseite jedenfalls intensiv. „Wir hoffen, dass der oberflächliche Empörungsjournalismus bald sein Interesse verliert und wir uns wieder in Ruhe unserer Mission widmen können“, schreibt Peter Schröder, der als Kontakt bei „weg.li“angeführt ist, der „Presse“auf die Frage, was er von der Debatte um M. hält. Mehrere deutsche Städte wie Hannover oder Dresden arbeiten bereits an eigenen Angeboten, um Online-Meldungen von Falschparkern zu erleichtern.
M. ist mit seinem Hobby nicht alleine. Nur, dass sein Name nun in ganz Deutschland damit verbunden ist. Die Mutter des Teenagers bittet, ihren Sohn nicht mehr zu interviewen oder zu filmen. Der veröffentlichte am Montag auf Facebook ein paar Selfies – und zwar mit Berliner Polizisten.