Die Suche nach den „Austrotürken“
Elf Fußballer mit türkischem Migrationshintergrund spielten bereits für Österreich, seit Ercan Kara 2021 keiner mehr. Eine Spurensuche vor dem heutigen Testspiel gegen die Türkei.
Wenn Österreichs Fußballteam heute im Happel-Stadion gegen die Türkei den Countdown zur Fußball-EM mit einem Testspiel fortsetzt, wird Teamchef Ralf Rangnick sein Augenmerk darauf legen, die richtigen Protagonisten für das Großereignis im Sommer (ab 14. Juni) zu finden. Wer allerdings dabei auf dem Rasen fehlen wird, sind Austrotürken. Also Fußballer, die türkische Wurzeln haben und für Österreich spielen. Bislang gab es elf Profis, die diesen Weg eingeschlagen hatten und seit den 2000er-Jahren tragende Rollen ausübten. In der Gegenwart sind sie verschwunden. Warum?
Im August 2002 kam es zum Debüt. Volkan Kahraman († 8. Februar 2023 in Wien, erschossen), trug als Erster das ÖFB-Trikot, Hans Krankl schenkte ihm das Vertrauen. Es folgten Muhammet Akagündüz (2002, Premierentor beim 5:0 gegen Belarus), Ümit Korkmaz, Cem Atan (Disco-Eklat 2008), Ekrem Dağ, Yasin Pehlivan, Veli Kavlak (Rekordspieler, 31 Einsätze), Yüksel Sariyar, Ramazan Özcan (Torwart, 2008 und 2016 im EM-Kader), Rapids Juwel Yusuf Demir und Ercan Kara, der im November 2021 gegen Moldau der bis dato letzte Austrotürke im ÖFB-Team ist.
Leistung, Glück, Vision
Akagündüz ist heute Trainer in der fünften deutschen Liga. Der 46-Jährige erzählte in einem bemerkenswerten „Kicker“-Interview, dass es einst „nur wenige Migranten gab, die es in den österreichischen Profifußball geschafft“hätten. Vertrauen, Chance, Vision, Können, Willen – Gründe gibt es zuhauf, warum es einer geschafft hat respektive seit drei Jahren keiner mehr im Team spielt. „Vielen hat einfach der Glaube gefehlt, es überhaupt so weit bringen zu können. Heute ist eine Nationalmannschaft ohne Spieler mit Migrationshintergrund gar nicht mehr vorstellbar.“
Die Rückkehr türkisch-stämmiger Kicker in das ÖFB-Team ist auch nur eine Frage der Zeit. Ob Wiener Liga, Rapids Nachwuchs – es gibt sie, sagt Akagündüz. Es verlange Leistung, Spielpraxis, den richtigen Draht zum Trainer.
In den jüngsten Vergleichen mit der Türkei war Österreich nicht zwingend überzeugend. Von sieben Duellen gingen fünf verloren, der letzte Sieg gelang 2012 (2:0 in Wien). Auch jetzt wartet ein kniffliges Spiel. Unter Neoteamchef Vincenzo Montella qualifizierte sich der WM-Dritte von 2002 erstmals als Gruppensieger für eine EM und zeigte im November 2023 beim 3:2 gegen Deutschland auf. Der Fußball zieht eigene Kreise und weist dabei auch in verschiedene Richtungen. Eventuell sieht man heute ja einen Wiener im Dress der Türken: Beim 35. der Fifa-Weltrangliste könnte Ex-Rapidler Mert Müldür, 24, mitwirken. Er wartete vergebens auf eine ÖFB-Einberufung, jetzt hat der Fenerbahçe-Verteidiger seinen Platz gefunden. Bei der
EM trifft die Türkei in Gruppe F auf Portugal, Tschechien und den Sieger der Play-off-Begegnung Georgien gegen Griechenland.
Der Talente gleiches Schicksal
Nicht nur ÖFB und Bundesligaklubs suchen nach Talenten, auch der türkische Verband. Vorrangig wird die deutsche Bundesliga gesichtet, das zeigt sich im aktuellen Kader. Hakan Çalhanoğlu, Kaan Ayhan, Salih Özcan, Can Uzun (Nürnberg erwartet ein Millionensegen beim Transfer des 18-Jährigen) und Kenan Yilmaz sind Deutschtürken. Orkun Kökçü und Okan Aydin sind gebürtige Holländer. Damit ist auch eine weitere Frage der Spurensuche beantwortet: In anderen Ländern und Ligen sind Aussichten auf Karriere, Spielgüte, Gage und Team größer.
In der Türkei vollzog sich seit 2000 ein Umbruch. Galatasaray gewann den Uefa-Cup, man war 2002 WM-Dritter, stand 2008 bei der EM (2:3 gegen Deutschland) im Halbfinale. Nun steht nach einer extremen Durststrecke eine neue Generation auf dem Platz. Und das, obwohl Talenten auch in der 20 Klubs starken türkischen Süper Lig das gleiche Schicksal beschert ist wie in Österreich: Viel zu oft wird ein hochpreisiger Legionär dem Nachwuchsspieler vorgezogen.