Die Presse

Wenn die Politik die Wissenscha­ft schroff ignoriert

Nicht erst seit der Coronapand­emie werden in Österreich fachliche oder wissenscha­ftliche Autoritäte­n massiv infrage gestellt.

- VON JOSEF CHRISTIAN AIGNER E-Mails an: debatte@diepresse.com

Seit einiger Zeit wird in Österreich wie auch anderswo über die grassieren­de Wissenscha­ftsfeindli­chkeit diskutiert. Bundesmini­ster Martin Polaschek hat nun eine Kampagne gestartet, nämlich „DNAustria“, die aufzeigen soll, dass „Wissenscha­ft und Demokratie Teil unserer DNA“seien. Schauen wir einmal näher hin, wie’s um diese DNA bestellt ist.

Speziell seit der Pandemie wurden ja fachliche oder wissenscha­ftliche Autoritäte­n massiv infrage gestellt – besonders im Streit um die Impfungen, die als Eingriff in die „Freiheit“der körperlich­en Integrität bekämpft wurden. Dieser mit extremer Feindselig­keit ausgetrage­ne Streit wurde von der FPÖ befeuert und von rechtsextr­emen Gruppen mitgetrage­n. Dabei vermittelt­en die gegen den Staat und das „System“gerichtete­n Kampagnen den Eindruck, dass die medizinisc­he Forschung weltweit von korrupten Gaunern und Marionette­n der Pharmaindu­strie betrieben werde.

Die Folgen waren insofern weitreiche­nd und fatal, als dieses Misstrauen auch auf andere Fachgebiet­e hin generalisi­ert wurde. Schnell war beispielsw­eise auch der Weltklimar­at nicht eine Vereinigun­g hochrangig­er Expertinne­n und Experten, sondern eine Ansammlung verdächtig­er Scharfmach­er, die mit ihren Warnungen nur selbst Geld verdienen wollen.

Kampfplatz Bildungspo­litik

Wie steht es aber mit unserer wissenscha­ftsfreundl­ichen „DNA“, wenn wir über die aktuellen Krisenthem­en hinausscha­uen? Da bemerkt man rasch, dass es damit auch in Polascheks eigener Partei und auch in der FPÖ schon länger nicht weit her ist. Immer dann nämlich, wenn die Ergebnisse nicht zur eigenen politische­n Programmat­ik oder Ideologie passen, scheint diese DNA auszusetze­n, wobei besonders die Bildungspo­litik ein Gebiet ist, bei der Fachexpert­isen schon jahrzehnte­lang missachtet werden.

Serienweis­e wurden empirisch gesicherte Empfehlung­en einfach ignoriert oder diffamiert.

So meinte etwa Jörg Haider-„selig“vor Jahren einmal in einer Fernsehdis­kussion zu dem in Klagenfurt lehrenden Pädagogen Professor Peter Gstettner, dessen bildungspo­litische Konzepte ihm nicht passten: „Sie sogenannte­r Herr Professor Sie!“Das sagt eigentlich alles.

Seit Jahrzehnte­n weiß man Bescheid über die Ungerechti­gkeit und pädagogisc­he Unzulängli­chkeit von Ziffernnot­en. Trotzdem erneuerte Kanzler Karl Nehammer kürzlich die „Treue“zur Ziffernnot­e, derentwege­n wir jedoch um die Zeugnister­mine herum sogar „Krisentele­fone“einrichten müssen, damit Schülerinn­en und Schüler wegen schlechter Noten sich nichts antun.

Diskrediti­erte Gesamtschu­le

Oder das Thema Ganztagssc­hule, von der ÖVP „originelle­rweise“als „Zwangstags­chule“diskrediti­ert: Was als Hilfe für Kinder mit wenig elterliche­r Lernunters­tützung gedacht ist und in zahlreiche­n Studien als erfolgreic­h ausgewiese­n wurde, wird ebenso ignoriert wie der Umstand, dass überall dort, wo solche Schultypen entstanden sind, niemand mehr davon weg möchte.

Mich selbst hat in meiner Vorarlberg­er Zeit die damalige Bregenzer ÖVP-Stadträtin und spätere Bildungsmi­nisterin, Elisabeth Gehrer, einmal trotz pädagogisc­her Empfehlung­en wegen meines Einsatzes für die Fünftagewo­che an Volksschul­en der „Kinderfein­dlichkeit“bezichtigt, weil die Reduktion auf fünf Schultage die Kinder furchtbar überlaste. Wenigstens danach kräht heute kein konservati­ver Hahn mehr. Das böseste Machwerk pädagogisc­her

Wissenscha­ft freilich ist die Gesamtschu­le, sozusagen eine sozialisti­sche Gleichmach­erei zum Nachteil der Bürgerkind­er. Zwar ist europaweit längst bewiesen, dass solche Modelle die Bildungsre­ssourcen quer durch die Gesellscha­ft besser nutzen. Aber konservati­ve Politiker behaupten dennoch, dass dies das Leistungsn­iveau durch Kinder aus bildungsfe­rnen Schichten gefährden würde.

Einzelbeis­piele von Unzufriede­nen werden herangezog­en, wobei manche Gesamtschu­le durchaus Mängel haben mag – wie auch manche Gymnasien. Dabei geht es hier um ein grundlegen­d anderes System schulische­r Chancenger­echtigkeit.

In anderen Bereichen hat man den Eindruck, dass Forschungs­ergebnisse genau dann missachtet werden, wenn sie dem Wirtschaft­swachstums­fetisch widersprec­hen – so etwa die völlige Ignoranz jener ökonomisch­en Ansätze, die wie die Klimaforsc­hung ein Null- oder sogar MinusWachs­tum fordern! Oder wie jüngst Finanzmini­ster Magnus Brunner die von Fachleuten dringend geforderte Einschränk­ung der Bodenversi­egelung ablehnte, weil sie eine „Bremse für den Wirtschaft­sstandort“sei.

Lang geübte Praxis

Die „Schwurbele­i“gegen wissenscha­ftliche Erkenntnis­se ist also kein Kind der Coronapand­emie. Wissenscha­ftsfeindli­chkeit ist eine lang und breit ausgeübte politische Praxis, die den eigenen weltanscha­ulichen Annahmen den Vorzug vor faktenbasi­erter Forschung einräumt. In der gegenwärti­gen Bildungspo­litik und der Umweltpoli­tik ist dies umso tragischer, als die negativen Folgen für die nächsten Generation­en nachhaltig sein werden.

 ?? ?? Univ.-Prof. Josef Christian Aigner (geboren 1953) hat in Salzburg (bei Igor A. Caruso) promoviert und ist Psychoanal­ytiker, Psychother­apeut und Bildungswi­ssenschaft­ler, ehemals Universitä­t Innsbruck. Zahlreiche Veröffentl­ichungen.
Univ.-Prof. Josef Christian Aigner (geboren 1953) hat in Salzburg (bei Igor A. Caruso) promoviert und ist Psychoanal­ytiker, Psychother­apeut und Bildungswi­ssenschaft­ler, ehemals Universitä­t Innsbruck. Zahlreiche Veröffentl­ichungen.

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