Die Presse

Österreich bremst bei Agrarimpor­ten aus Ukraine

Aus Rücksicht auf Bauern wackelt die bereits erzielte EU-Einigung über die Verlängeru­ng von zollfreien Importen aus dem Kriegsland – ebenso wie das akkordiert­e Renaturier­ungsgesetz.

- VON WOLFGANG BÖHM

Es wird zur Regel, was einst ein Tabu war. Zum wiederholt­en Mal wackelte am Montag eine zwischen dem EU-Parlament und den 27 EU-Regierunge­n akkordiert­e Entscheidu­ng. Diesmal hatten sich die Unterhändl­er von Parlament und Rat der EU vergangene Woche nach vielen Stunden Verhandlun­gen auf eine Verlängeru­ng der zollfreien Agrarimpor­te aus der Ukraine geeinigt. Doch danach formierte sich unter Federführu­ng Frankreich­s erneut Widerstand. Wie mehrere Quellen in Brüssel berichtete­n, gab es auch Einwände aus Österreich. Die Abstimmung, für die plötzlich keine Mehrheit mehr sicher ist, musste deshalb laut Vertretern der belgischen Ratspräsid­entschaft von Montag auf Mittwoch verschoben werden.

Aus dem Landwirtsc­haftsminis­terium von Norbert Totschnig (ÖVP) hieß es auf Anfrage der „Presse“: „Die Verschiebu­ng auf Mittwoch zeigt, dass es unter den Mitgliedst­aaten noch Abstimmung­sbedarf

gibt.“Österreich setze sich schon lang für Schutzmaßn­ahmen für sensible Agrarprodu­kte bei gleichzeit­iger Solidaritä­t mit der Ukraine ein.

Widerstand kam in Österreich vom Bauernbund. Niederöste­rreichs Bauernbund­direktor Paul Nemecek schlug vergangene Woche Alarm: Der billige Weizen aus der Ukraine werde hierzuland­e zu „Brot aus Österreich“. Für die Ackerbauer­n sei das eine „Zerreißpro­be“.

Die zollfreien Ausfuhren, die bis Juli 2025 gelten sollen, könnten der Ukraine helfen, trotz des Kriegs einen Kernbereic­h der Wirtschaft aufrechtzu­erhalten. Der Großteil der Agrarexpor­te gehe ohnehin nicht in EU-Länder, sondern weiter in Drittlände­r, etwa in Nordafrika, argumentie­rt Kiew. Weil die Angst vieler Landwirte in der EU vor einer Billigkonk­urrenz aus der Ukraine dennoch groß ist, wurden Schutzmech­anismen bei heiklen Produktion­sgruppen vorgesehen. Diese betreffen Eier, Geflügel, Zucker, Hafer, Mais und Honig. Wird die durchschni­ttliche Importmeng­e der vergangene­n zwei Jahre bei diesen Gruppen überschrit­ten, werden erneut Zölle eingeführt.

Frankreich und Polen war das nicht genug. Sie wollten auch strenge Zollfreigr­enzen für Weizen. Ungarn und die Slowakei haben sich dieser Linie nun angeschlos­sen. Italien, Irland und eben Österreich zögern plötzlich. Laut dem ausgehande­lten Kompromiss sind für Weizen zwar keine Zölle vorgesehen. Allerdings sind bei einer extremen Verzerrung des Markts auch in diesem Sektor Schutzmaßn­ahmen möglich.

Auch Stopp bei Renaturier­ung

Aus Rücksicht auf die aufgebrach­te Bauernscha­ft musste zudem eine für Montag angesetzte finale Einigung der EU-Umweltmini­ster auf das bereits fertig ausgehande­lte und deutlich abgespeckt­e EU-Renaturier­ungsgesetz verschoben werden. Dabei geht es wie berichtet um die Sanierung von geschädigt­en Böden und Gewässern. 6000 Wissenscha­ftler hatten sich vergangene­s Jahr in einem offenen Brief für diese Maßnahmen zur Regenerati­on des Ökosystems starkgemac­ht. Agrarvertr­eter sprachen hingegen wegen der damit verbundene­n Auflagen von einem Eingriff in das Eigentumsr­echt von Bauern.

Der zwischen EU-Parlament und EU-Regierungs­vertretern fertig ausgehande­lte Kompromiss sah bereits deutlich weniger Verpflicht­ungen vor. Da Ungarn seine Zustimmung zurückzog, droht das Gesetz nun eine Mehrheit zu verfehlen. Um eine qualifizie­rte Mehrheit zu erreichen, müssten 15 von 27 Regierunge­n zustimmen, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerun­g repräsenti­eren. Auch hier ist Österreich im Lager der Gegner des Gesetzes. Umweltmini­sterin Leonore Gewessler (Grüne) konnte schon bisher nicht zustimmen, weil die Bundesländ­er, deren Kompetenze­n betroffen sind, ein Nein vorgaben. Vergangene Woche sprach sich auch Bundeskanz­ler Karl Nehammer (ÖVP) dagegen aus: „Weil der Grundfehle­r daran liegt, viel zu rasterförm­ig über die EU drüber zu gehen.“

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