Die Kameliendame tanzt nun auch in Wien – und trifft Manon
John Neumeiers Ballett nach Alexandre Dumas ist längst ein Klassiker geworden. Im Haus am Ring findet es nun exzellente Interpreten.
Getanzte Leidenschaft – das ist John Neumeiers „Kameliendame“nach dem Roman von Alexandre Dumas dem Jüngeren. Das Ballett, das der mittlerweile 85-jährige Choreograf 1978 schuf und das 2014 im Theater an der Wien gastierte, hatte nun an der Wiener Staatsoper Premiere. Hier lag es an Ketevan Papava und Timoor Afshar, dass in Kurtisane Marguerite und ihren adeligen Geliebten Leben und Emotion kam.
Von Anfang an ist klar, dass es Neumeier in seinen oft intensiven, kurzzeitig auch Längen aufweisenden Choreografien nicht allein um Virtuosität geht, so sehr er in seiner getanzten Erzählung auch exzellente Technik samt außergewöhnlichen Hebungen verlangt. Vor allem braucht sein Werk sensibel agierende Tanzschauspieler. In Wien hat man sie gefunden.
Ob in von Ekstase gezeichneten, komplizierten Überkopfhebungen, bei denen auch das Kleid Marguerites immer wieder zur Herausforderung wurde, ob in rauschvollem Herumrollen auf dem Boden, ob in einander umgarnenden und umarmenden Bewegungen: Papava und Afshar bewältigten die Anforderungen nicht nur mit präziser Technik, sie erwiesen sich auch als einfühlsame Akteure, ließen stets spüren, welche tiefen Gefühle ihre Figuren haben: Anfängliches Zögern, grenzenlose Leidenschaft, erdrückende Erniedrigung, herzzerreißendes Bedauern – in Bewegung, Mimik und starkem Ausdruck bekam das Publikum von all dem intensiv erzählt. Dabei wirkten manche Bewegungen sogar absichtlich grob, wie um zu verdeutlichen: Hier ist nichts geradlinig, weder im Gefühl noch in dessen tänzerischer Umsetzung.
Manon spiegelt Marguerite
Doch das ist es nicht allein, was Neumeiers Choreografie interessant macht: Dramaturgisch geschickt verwebt er die Geschichte von Marguerite und Armand mit der ähnlichen Geschichte von Manon Lescaut und Des Grieux. Er lässt Letztere als Spiegelbilder und Identifikationsfiguren auftreten, wenn Marguerite ihre Geschichte quasi als Theater auf dem Theater sieht – und sich später immer wieder daran erinnert. In ihnen werden Marguerites Sehnsüchte, aber auch ihre Zweifel reflektiert. So hat Neumeier der Handlung eine weitere Dimension hinzugefügt, lässt durch diesen Kniff noch tiefer in die Seele seiner Protagonistin schauen und hat zusätzliche wichtige Partien für Solisten geschaffen, die auch tänzerisch eine Bereicherung zum Tun des Hauptpaars darstellen. Hier konnten Hyo-Jung Kang mit Exaktheit und Präzision sowie Marcos Menha mit eleganter Linie gefallen.
Doch nicht allein das LeidenschaftlichTragische beherrscht das Ballett „Die Kameliendame“: Ob im bunten Treiben auf dem Land samt Polsterschlacht oder bei einem Fest in der Stadt – auch Ausgelassenheit hat Platz, vor allem in dem fast ungestümen und leichtfüßigen Tanz von Ioanna Avraam und Masayū Kimoto sowie Damen und Herren aus dem Corps de Ballet. Koketterie und starke Ausstrahlung kamen auch von Elena Bottaro als Olympia, mit der sich Armand tröstet.
Statt sich einer Vertonung desselben Stoffs zu bedienen, nutzt Neumeier ausschließlich Melodien von Frédéric Chopin, die bei Michał Białk und Igor Zapravdin am Klavier und Markus Lehtinen am Pult des Staatsopernorchesters in guten Händen sind: Womit nun auch Wien diesen Klassiker der jüngeren Ballettgeschichte im Angebot hat.