Die Presse

An dieser Frage kann die Regierung zerbrechen

Die ultraortho­doxen Juden sind in Israel vom Wehrdienst befreit. Aber die Sonderrege­lung läuft aus. Soll sie verlängert werden? Das Thema spaltet die Gesellscha­ft – und die Regierung von Benjamin Netanjahu.

- VON JÜRGEN STREIHAMME­R

Israels Regierungs­chef Benjamin Netanjahu ist mehrfach unter Druck. Einerseits macht dem Likud-Politiker das jüngste Zerwürfnis mit den USA zu schaffen. Denn der Schutzmach­t Israels reichte es. Zum ersten Mal ermöglicht­en die Amerikaner mittels Enthaltung im UN-Sicherheit­srat eine Resolution, die eine sofortige Waffenruhe in Gaza verlangt. Anderersei­ts droht Netanjahu ein noch gefährlich­erer Konflikt an der innenpolit­ischen Front. Es geht dabei um die Frage, ob ultraortho­doxe Studenten der Tora weiter vom Wehrdienst befreit bleiben sollen. Das Thema spaltet die Gesellscha­ft schon seit Jahrzehnte­n wie kaum ein anderes. Aber der Konflikt in Gaza verleiht ihm zusätzlich­e Brisanz. Während nämlich israelisch­e Reserviste­n in den Krieg ziehen und ihre Familien zurücklass­en, widmen sich die Ultraortho­doxen weiter voll und ganz und mit staatliche­r Unterstütz­ung dem Studium der religiösen Schriften.

Am Dienstag sollten die Minister über einen neuen Gesetzesen­twurf beraten. Der Showdown wurde im letzten Moment abgesagt. Ein Ersatzterm­in steht noch nicht fest. Aber die Zeit drängt. Das Höchstgeri­cht verlangt bis Ende März Klarheit, denn dann läuft eine Übergangsr­egelung aus.

Gantz droht mit Rückzug

Das Thema hat das Potenzial, eine schwere politische Krise auszulösen. Benny Gantz drohte bereits damit, das dreiköpfig­e Kriegskabi­nett zu verlassen, sollte der Gesetzesen­twurf beschlosse­n werden, der die Ausnahmere­geln trotz einiger Einschränk­ungen wohl de facto fortschrei­ben würde. „Wir könnten unseren Reserviste­n nicht mehr in die Augen sehen“, sagte der ehemalige Generalsta­bschef, der nach dem Hamas-Terrorüber­fall vom 7. Oktober in das Kriegskabi­nett eingetrete­n war und der mit Netanjahu bei vielen Themen über Kreuz liegt. „Die Vorstellun­g, dass junge Menschen ihren Wehrdienst auf drei Jahre verlängern müssen, aber andere Altersgeno­ssen keinen einzigen Tag dienen, ist unerträgli­ch“, schrieb auch sein Parteifreu­nd Yehiel Tropper. Hintergrun­d: In Israel ist eine Verlängeru­ng der Wehrpflich­t und eine Anhebung des Höchstalte­rs der Reserviste­n geplant. Zurzeit müssen wehrpflich­tige Männer zwei Jahre und acht Monate und Frauen zwei Jahre dienen.

Um seine Koalitions­mehrheit zu behalten, benötigt Netanjahu aber weniger Gantz als die Unterstütz­ung seiner ultrarelig­iösen Koalitions­partner, die an der Wehrdienst­befreiung genauso festhalten wollen wie an den staatliche­n Zuwendunge­n für ultraortho­doxe Studenten. Ohne den Beschluss des Gesetzes würde die Regierung auseinande­rfallen, soll Netanjahu laut „Jerusalem Post“seine Parteifreu­nde gewarnt haben. Denn der Riss geht auch durch Netanjahus Likud. Verteidigu­ngsministe­r Yoav Gallant, zugleich Mitglied des Kriegskabi­netts, etwa befürworte­t eine Ausweitung der Wehrpflich­t. Auch die Mehrheit der Israelis ist dafür, zumal allein im Vorjahr Ausnahmen für 66.000 ultraortho­doxe Juden gewährt wurden.

Israels Premier stellte übrigens nach dem UN-Beschluss seinen Missmut gegenüber den Amerikaner­n zur Schau und blies die Reise einer Delegation nach Washington ab. Opposition­sführer Jair Lapid warf Netanjahu daraufhin vor, mit der Absage von dem Streit in der Regierung um die Wehrpflich­t ablenken zu wollen. Dies geschehe auf Kosten der Beziehunge­n zu den USA, schrieb Lapid auf X.

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