An dieser Frage kann die Regierung zerbrechen
Die ultraorthodoxen Juden sind in Israel vom Wehrdienst befreit. Aber die Sonderregelung läuft aus. Soll sie verlängert werden? Das Thema spaltet die Gesellschaft – und die Regierung von Benjamin Netanjahu.
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu ist mehrfach unter Druck. Einerseits macht dem Likud-Politiker das jüngste Zerwürfnis mit den USA zu schaffen. Denn der Schutzmacht Israels reichte es. Zum ersten Mal ermöglichten die Amerikaner mittels Enthaltung im UN-Sicherheitsrat eine Resolution, die eine sofortige Waffenruhe in Gaza verlangt. Andererseits droht Netanjahu ein noch gefährlicherer Konflikt an der innenpolitischen Front. Es geht dabei um die Frage, ob ultraorthodoxe Studenten der Tora weiter vom Wehrdienst befreit bleiben sollen. Das Thema spaltet die Gesellschaft schon seit Jahrzehnten wie kaum ein anderes. Aber der Konflikt in Gaza verleiht ihm zusätzliche Brisanz. Während nämlich israelische Reservisten in den Krieg ziehen und ihre Familien zurücklassen, widmen sich die Ultraorthodoxen weiter voll und ganz und mit staatlicher Unterstützung dem Studium der religiösen Schriften.
Am Dienstag sollten die Minister über einen neuen Gesetzesentwurf beraten. Der Showdown wurde im letzten Moment abgesagt. Ein Ersatztermin steht noch nicht fest. Aber die Zeit drängt. Das Höchstgericht verlangt bis Ende März Klarheit, denn dann läuft eine Übergangsregelung aus.
Gantz droht mit Rückzug
Das Thema hat das Potenzial, eine schwere politische Krise auszulösen. Benny Gantz drohte bereits damit, das dreiköpfige Kriegskabinett zu verlassen, sollte der Gesetzesentwurf beschlossen werden, der die Ausnahmeregeln trotz einiger Einschränkungen wohl de facto fortschreiben würde. „Wir könnten unseren Reservisten nicht mehr in die Augen sehen“, sagte der ehemalige Generalstabschef, der nach dem Hamas-Terrorüberfall vom 7. Oktober in das Kriegskabinett eingetreten war und der mit Netanjahu bei vielen Themen über Kreuz liegt. „Die Vorstellung, dass junge Menschen ihren Wehrdienst auf drei Jahre verlängern müssen, aber andere Altersgenossen keinen einzigen Tag dienen, ist unerträglich“, schrieb auch sein Parteifreund Yehiel Tropper. Hintergrund: In Israel ist eine Verlängerung der Wehrpflicht und eine Anhebung des Höchstalters der Reservisten geplant. Zurzeit müssen wehrpflichtige Männer zwei Jahre und acht Monate und Frauen zwei Jahre dienen.
Um seine Koalitionsmehrheit zu behalten, benötigt Netanjahu aber weniger Gantz als die Unterstützung seiner ultrareligiösen Koalitionspartner, die an der Wehrdienstbefreiung genauso festhalten wollen wie an den staatlichen Zuwendungen für ultraorthodoxe Studenten. Ohne den Beschluss des Gesetzes würde die Regierung auseinanderfallen, soll Netanjahu laut „Jerusalem Post“seine Parteifreunde gewarnt haben. Denn der Riss geht auch durch Netanjahus Likud. Verteidigungsminister Yoav Gallant, zugleich Mitglied des Kriegskabinetts, etwa befürwortet eine Ausweitung der Wehrpflicht. Auch die Mehrheit der Israelis ist dafür, zumal allein im Vorjahr Ausnahmen für 66.000 ultraorthodoxe Juden gewährt wurden.
Israels Premier stellte übrigens nach dem UN-Beschluss seinen Missmut gegenüber den Amerikanern zur Schau und blies die Reise einer Delegation nach Washington ab. Oppositionsführer Jair Lapid warf Netanjahu daraufhin vor, mit der Absage von dem Streit in der Regierung um die Wehrpflicht ablenken zu wollen. Dies geschehe auf Kosten der Beziehungen zu den USA, schrieb Lapid auf X.