Die Sitzungsprotokolle der deutschen Pandemiebekämpfer
Tausende Seiten von Niederschriften aus dem Robert Koch-Institut sorgen für Aufregung – geschwärzte Passagen inklusive. Warum nun wieder einmal eine Untersuchung der Pandemiemaßnahmen gefordert wird und was in den Dokumenten über Österreich vermerkt ist.
Berlin. Die Pandemie ist vorbei, die politische Aufarbeitung auch in Deutschland nicht abgeschlossen. Ein Sachverständigenausschuss legte vor zwei Jahren einen Bericht vor, klagte aber über zu wenig Zeit und Ressourcen. Die FDP wollte vor einem Jahr eine parlamentarische Enquete-Kommission einsetzen. Nun wird über mehr als 2000 Seiten an Pandemie-Protokollen diskutiert, die vom Robert Koch-Institut (RKI) angelegt wurden.
1 Was sind die frei geklagten RKI-Protokolle – und was ist daran neu?
Die einen nennen sie RKI-Protokolle, im Internet kursieren sie auch als RKI-Files. Es handelt sich um jeweils Agenda und Ergebnisprotokoll von Lagebesprechungen des deutschen Gesundheitsforschungs-Institutes RKI vom 14. Jänner 2020 bis zum 30. April 2021. Die Niederschriften befassen sich also mit Sitzungen in der intensivsten Phase der Pandemie, in der die Wissenschaftler des RKI auch die deutsche Corona-Politik mitprägten. Die Onlineplattform „Multipolar“hatte die Freigabe der Dokumente vor Gericht erstritten und diese danach veröffentlicht.
Das Robert-Koch-Institut ist dem deutschen Gesundheitsministerium unterstellt. Die Wissenschaftler sollen ihre Expertise aber unabhängig von politischer Einflussnahme abgeben. Das wiederum wird von Kritikern der Pandemie-Maßnahmen bezweifelt. Nun ist die Diskussion wieder aufgeflammt: „Multipolar“hatte die Dokumente bereits vergangene Woche veröffentlicht, es dauerte aber, bis reichweitenstarke deutsche Medien berichteten. Alleine diese Verzögerung führte zu Spekulationen im Internet. Der „Spiegel“bezeichnet einen Macher von „Multipolar“ in einem Bericht außerdem als „rechten Verschwörungstheoretiker“– was dieser zurückweist. Unabhängig von diesen Streitereien sind die Protokolle historische Dokumente, deren Inhalt aber noch nicht umfassend ausgewertet und eingeordnet werden konnte.
2 Welche Passage in den Dokumenten sorgt für die meisten Diskussionen?
Eine kurze Passage aus einem der Protokolle sorgte bereits für Spekulationen. Sie wurde über die Sitzung am 16. März 2020 vermerkt, fällt also in den Zeitraum der Schließung von Schulen, Kindergärten und einer weitreichenden Einschränkung von Grundrechten. Im RKI-Protokoll von diesem Tag heißt es, dass die Sicherheitsstufe bald von „mäßig“auf „hoch“angehoben werde. „Die Risikobewertung wird veröffentlicht, sobald (der Name der Person ist geschwärzt) ein Signal dafür gibt“, steht da. Die Zweifler an der wissenschaftlichen Unabhängigkeit des RKI vermuten, dass hier der Name eines politischen Entscheidungsträgers wie des damaligen Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU) geschwärzt wurde.
Das RKI gab nach Veröffentlichung der Protokolle bekannt, es handle sich um einen Mitarbeiter des RKI, der zu seinem Schutz nicht öffentlich genannt werden soll. „Es gab keine politischen Weisungen“, sagte der amtierende Gesundheitsminister, Karl Lauterbach (SPD).
AfD und Bündnis Sahra Wagenknecht fordern nun einen Untersuchungsausschuss, auch der FDPPolitiker Wolfgang Kubicki sieht in den nüchternen Sitzungsprotokollen einen Anlass, die Beziehung zwischen RKI und der deutschen Regierung öffentlich zu hinterfragen. „Es wird immer deutlicher, dass das Robert Koch-Institut für die Gesundheitspolitik von Jens Spahn und wohl auch Karl Lauterbach als wissenschaftliche Fassade gedient hat“, sagte er.
3 Was lässt sich aus den RKI-Protokollen über Österreich erfahren?
In ihren Sitzungen besprechen die RKI-Wissenschaftler auch die Lage in anderen Ländern. Gerade in den Tagen, in denen härtere Maßnahmen besprochen werden, taucht ein Thema auf: die Infektionslage in den Skiorten Ischgl und St. Anton. „Österreich wird am häufigsten als internationaler Expositionsort genannt“, vermerkt das Protokoll am 18. März 2020.
Auch im Umfeld der Berichte über Österreich wurde mindestens eine Passage geschwärzt. Sie würde die Abstimmung mit einem nicht näher genannten ausländischen Ministerium betreffen, es ginge dabei um eine Einstufung als Risikogebiet, heißt es in den umfangreichen Erläuterungen, die RKI-Anwälte vor Gericht vorlegten.