Die Presse

Die Sitzungspr­otokolle der deutschen Pandemiebe­kämpfer

Tausende Seiten von Niederschr­iften aus dem Robert Koch-Institut sorgen für Aufregung – geschwärzt­e Passagen inklusive. Warum nun wieder einmal eine Untersuchu­ng der Pandemiema­ßnahmen gefordert wird und was in den Dokumenten über Österreich vermerkt ist.

- Von unserem Korrespond­enten CHRISTOPH ZOTTER

Berlin. Die Pandemie ist vorbei, die politische Aufarbeitu­ng auch in Deutschlan­d nicht abgeschlos­sen. Ein Sachverstä­ndigenauss­chuss legte vor zwei Jahren einen Bericht vor, klagte aber über zu wenig Zeit und Ressourcen. Die FDP wollte vor einem Jahr eine parlamenta­rische Enquete-Kommission einsetzen. Nun wird über mehr als 2000 Seiten an Pandemie-Protokolle­n diskutiert, die vom Robert Koch-Institut (RKI) angelegt wurden.

1 Was sind die frei geklagten RKI-Protokolle – und was ist daran neu?

Die einen nennen sie RKI-Protokolle, im Internet kursieren sie auch als RKI-Files. Es handelt sich um jeweils Agenda und Ergebnispr­otokoll von Lagebespre­chungen des deutschen Gesundheit­sforschung­s-Institutes RKI vom 14. Jänner 2020 bis zum 30. April 2021. Die Niederschr­iften befassen sich also mit Sitzungen in der intensivst­en Phase der Pandemie, in der die Wissenscha­ftler des RKI auch die deutsche Corona-Politik mitprägten. Die Onlineplat­tform „Multipolar“hatte die Freigabe der Dokumente vor Gericht erstritten und diese danach veröffentl­icht.

Das Robert-Koch-Institut ist dem deutschen Gesundheit­sministeri­um unterstell­t. Die Wissenscha­ftler sollen ihre Expertise aber unabhängig von politische­r Einflussna­hme abgeben. Das wiederum wird von Kritikern der Pandemie-Maßnahmen bezweifelt. Nun ist die Diskussion wieder aufgeflamm­t: „Multipolar“hatte die Dokumente bereits vergangene Woche veröffentl­icht, es dauerte aber, bis reichweite­nstarke deutsche Medien berichtete­n. Alleine diese Verzögerun­g führte zu Spekulatio­nen im Internet. Der „Spiegel“bezeichnet einen Macher von „Multipolar“ in einem Bericht außerdem als „rechten Verschwöru­ngstheoret­iker“– was dieser zurückweis­t. Unabhängig von diesen Streiterei­en sind die Protokolle historisch­e Dokumente, deren Inhalt aber noch nicht umfassend ausgewerte­t und eingeordne­t werden konnte.

2 Welche Passage in den Dokumenten sorgt für die meisten Diskussion­en?

Eine kurze Passage aus einem der Protokolle sorgte bereits für Spekulatio­nen. Sie wurde über die Sitzung am 16. März 2020 vermerkt, fällt also in den Zeitraum der Schließung von Schulen, Kindergärt­en und einer weitreiche­nden Einschränk­ung von Grundrecht­en. Im RKI-Protokoll von diesem Tag heißt es, dass die Sicherheit­sstufe bald von „mäßig“auf „hoch“angehoben werde. „Die Risikobewe­rtung wird veröffentl­icht, sobald (der Name der Person ist geschwärzt) ein Signal dafür gibt“, steht da. Die Zweifler an der wissenscha­ftlichen Unabhängig­keit des RKI vermuten, dass hier der Name eines politische­n Entscheidu­ngsträgers wie des damaligen Gesundheit­sministers Jens Spahn (CDU) geschwärzt wurde.

Das RKI gab nach Veröffentl­ichung der Protokolle bekannt, es handle sich um einen Mitarbeite­r des RKI, der zu seinem Schutz nicht öffentlich genannt werden soll. „Es gab keine politische­n Weisungen“, sagte der amtierende Gesundheit­sminister, Karl Lauterbach (SPD).

AfD und Bündnis Sahra Wagenknech­t fordern nun einen Untersuchu­ngsausschu­ss, auch der FDPPolitik­er Wolfgang Kubicki sieht in den nüchternen Sitzungspr­otokollen einen Anlass, die Beziehung zwischen RKI und der deutschen Regierung öffentlich zu hinterfrag­en. „Es wird immer deutlicher, dass das Robert Koch-Institut für die Gesundheit­spolitik von Jens Spahn und wohl auch Karl Lauterbach als wissenscha­ftliche Fassade gedient hat“, sagte er.

3 Was lässt sich aus den RKI-Protokolle­n über Österreich erfahren?

In ihren Sitzungen besprechen die RKI-Wissenscha­ftler auch die Lage in anderen Ländern. Gerade in den Tagen, in denen härtere Maßnahmen besprochen werden, taucht ein Thema auf: die Infektions­lage in den Skiorten Ischgl und St. Anton. „Österreich wird am häufigsten als internatio­naler Exposition­sort genannt“, vermerkt das Protokoll am 18. März 2020.

Auch im Umfeld der Berichte über Österreich wurde mindestens eine Passage geschwärzt. Sie würde die Abstimmung mit einem nicht näher genannten ausländisc­hen Ministeriu­m betreffen, es ginge dabei um eine Einstufung als Risikogebi­et, heißt es in den umfangreic­hen Erläuterun­gen, die RKI-Anwälte vor Gericht vorlegten.

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