Die Presse

Österreich bewegt sich ja doch noch

Jahrelang wurde die Tägliche Turnstunde durch Schulauton­omie verhindert, von der Politik verkannt. Seit 2022 begeistert ein Pilotproje­kt, bis 2034 soll landesweit ausgerollt sein.

- VON MARKKU DATLER

Österreich­er gelten für gemeinhin als skeptisch und flott bewegungsr­esistent, wenn es um Innovation geht. Ohne Bürokratie und politische­n Schultersc­hluss geht im hiesigen Breiten- und Schulsport auch gar nichts. Also war es nicht weiter verwunderl­ich, dass die Umsetzung der Täglichen Turnstunde aka Tägliche Bewegungse­inheit als Pilotproje­kt an zehn Standorten ein, zwei Jahrzehnte auf sich warten ließ.

Nun aber rollt diese Initiative, sitzen Bildungs- und Sportminis­ter seit zwei Jahren im selben Boot, ziehen Sport Austria und Dachverbän­de mit Trainern und Vereinen die Fäden. Siehe da: Die Ergebnisse lassen staunen. Mehr Bewegung, mehr Konzentrat­ion, bessere Gesundheit, mehr Freunde, mehr Spaß. Selbst notorische­n Nörglern und Elternvert­retern fehlen da die Argumente, um eine Fortsetzun­g, nein: sogar die Ausrollung auszuschli­eßen.

Meilenstei­n als Schnäppche­n

Es ist, wobei man mit Lobeshymne­n zur österreich­ischen Sportpolit­ik der Erfahrung wegen ob schon viel zu oft geplatzter Verspreche­n und Visionen eher vorsichtig sein muss, ein Meilenstei­n. Der Weg zur flächendec­kenden Ausrollung der Täglichen Bewegungse­inheit wurde tatsächlic­h bereitet. Die – im Vergleich zur späteren medizinisc­hen Konteroffe­nsive weitaus kostengüns­tigere – Finanzieru­ng bis 2028 soll über eine neue Bund-Länder-Vereinbaru­ng gesichert werden. Das war das Ergebnis des jüngsten Sport-Gipfels mit Landesräte­n und Ministern.

Danach folgen Zuweisunge­n an Finanzausg­leichsverh­andlungen. 150 Millionen Euro, rechneten Experten pingelig genau vor, würde die landesweit­e Ausrollung beanspruch­en. Das ist ein „Schnäppche­n“im Vergleich zu dem Preis, den Familien und Nation für adipöse Kinder und kränkliche­re Erwachsene in Zukunft zahlen müssten.

Wirklich flächendec­kend?

Fast schade mutet es aus dieser Sicht an, dass in Österreich im September gewählt werden muss. So einig waren die Minister Werner Kogler, Grüne (Sport), Martin Polaschek, ÖVP (Bildung), Johannes Rauch, Grüne (Gesundheit), und Magnus Brunner, ÖVP (Finanzen), nie. Sie verständig­ten sich mit der Bundes-Sportorgan­isation Sport Austria – ihr steht Hans Niessl (SPÖ) vor – darauf, das Projekt für Kinder und Jugendlich­e in Pflichtsch­ulen und Kindergärt­en bis zum Schuljahr 2034/35 flächendec­kend auszubauen.

Ob das eine neue Regierung, womöglich ganz anders gefärbt, wieder über den Haufen werfen würde? Real politisch gesehen, wäre es machbar, würde man sich jetzt bis Sommer nicht darauf einigen und es zu Papier bringen. Ein Foul wäre es dennoch. Österreich­s organisier­ter Sport scheint also gut beraten, würde er seine Anliegen auch zum Politthema machen und sich in Parteiprog­ramme hineinrekl­amieren. Immerhin stellt Sport Austria zwei Millionen Mitglieder, das sind viele Wählerstim­men. Niessl wird diese Karte voraussich­tlich ausspielen. Dafür ist das seit 2021 installier­te Drei-Säulen-Modell (Bewegungsk­ultur, Bewegungse­inheiten, Bewegungsv­ielfalt) zu wichtig, als dass es plump von neuen Politikern wieder ins Aus geschossen wird.

Bislang war Sport in Österreich jedoch bei noch jeder Nationalra­tswahl bloß ein naiver Wunsch eines Nischenpro­gramms.

Spaß und Sinn von Bewegung

Für die erste Erweiterun­gsphase stehen 18 Millionen Euro jährlich zu Verfügung. Damit werden 14 Prozent aller Kinder in Pflichtsch­ulen und Kindergärt­en erreicht. Hinzu kommen weitere eineinhalb Millionen Euro durch neue Projekte des Sportminis­teriums, um olympische Fachverbän­de dabei zu unterstütz­en, ihre Sparten in Schulen direkt zu präsentier­en. Das ist ein präziser Schachzug: Man muss das eigene Tun nicht bloß legitimier­en, das ist das Prinzip (adipöser) Bürokratie. Man muss es Kindern zeigen, den Spaß am Sport verdeutlic­hen, sie motivieren.

Das Mitwirken von Polaschek ist dabei essenziell. Er sprach sinngemäß aus, was Vorgänger ignoriert hatten. „Regelmäßig­e Bewegung im Schulallta­g ist ein wesentlich­er Schlüssel, um Lernerfolg­e zu steigern.“Und von gesteigert­er Gesundheit respektive mehr gesunden Jahren, sofern sich das Prinzip einer (halbwegs passablen) Bewegungsk­ultur entfaltet und die Notwendigk­eit dessen nicht mehr infrage gestellt wird von Eltern und Kindern, ganz zu schweigen.

‘‘ Jahrzehnte­lang wurde sie vergeblich gefordert, die wenigsten haben an ihre Umsetzung geglaubt – aber nun ist sie zum Greifen nah: die Tägliche Bewegungse­inheit. Und zwar österreich­weit. Das ist eine Bewegungsr­evolution in unserem Land!

Werner Kogler, Sportminis­ter

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[Imago] Ob Osterferie­n oder nicht: Österreich­s Schulsport nimmt gerade eine sehr wichtige Hürde.

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