Die Presse

Sollen Künstler dem Staat geloben, keine Rassisten zu sein?

Zu den umstritten­en Antisemiti­smus-Klauseln in Deutschlan­d hat nun ein Verfassung­srechtler ein erfrischen­d klares Gutachten erstellt.

- VON KARL GAULHOFER

Wer zahlt, schafft an. Wenn Kultureinr­ichtungen oder Künstler Fördergeld wollen, dann sollen sie eben hoch und heilig verspreche­n, dass von ihnen nichts Antisemiti­sches oder sonst wie Rassistisc­hes zu befürchten ist. Nimmt man sie so an die Kandare, erspart man sich Skandale wie bei der Documenta oder der Berlinale. Und falls sie doch Ärger machen, kann man sich auf Gesetz oder Vertrag berufen.

So schlicht haben sich das die Politiker in Deutschlan­d vorgestell­t. Zwar musste man beim ersten Versuch in Berlin nach heftigen Protesten gegen den „Bekenntnis­zwang“einen Rückzieher machen. Aber das hinderte andere Bundesländ­er und Städte nicht, eigene Klauseln einzuführe­n, und Kulturstaa­tsminister­in Claudia Roth trommelt weiter für einen „Verhaltens­kodex“. Doch nun hat sich das grüne Urgestein selbst ausgebrems­t – indem sie Christoph Möllers um ein Gutachten gebeten hat, in dem der angesehene Verfassung­sjurist und Rechtsphil­osoph ihren Plänen eine klare Abfuhr erteilt. Dabei bestätigt er scheinbar wie gewünscht: Der Staat darf Fördermitt­el an Bedingunge­n knüpfen. Wenn er in Kultur investiert, geht es ja auch um Bildung oder Tourismus. Der Zweck, vor Diskrimini­erung zu schützen, ergibt sich sogar aus unseren Verfassung­en. Aber nicht alles, was rechtens ist, ist auch klug. Zumal bei der Umsetzung schwere Bedenken auftauchen. „Sich zu Vielfalt bekennen“klingt ja toll. Aber wann verstößt etwa ein Theater gegen dieses Gebot? Wenn das Ensemble nicht „divers“genug ist? Der Spielplan? Gar das Publikum? Mit der vagen Formulieru­ng lasse sich „keine auch nur einigermaß­en gesicherte Handlungsp­raxis verbinden“, moniert Möllers. Dann braucht es eine Kontrollin­stanz, die „missbrauch­sanfällig“ist und „politische­r Einflussna­hme“Tür und Tor öffnet.

Auch in ganz andere Richtung: Wenn etwa in einem ostdeutsch­en Bundesland nach einem Wahlsieg der AfD deren Kulturpoli­tiker von Museen fordern, dass sie mehr „deutsche“Kunst zeigen … Noch schlimmer wird es laut Möllers, wenn der Staat direkt von Künstlern Gelöbnisse einfordert. Dann stehen Meinungs- und Kunstfreih­eit auf dem Spiel. Sicher haben Kunstschaf­fende keinen Anspruch auf Geld vom Steuerzahl­er. Aber sie könnten ohne Subvention­en oft nicht überleben. Diese Machtstell­ung des Staats ist gefährlich, er sollte sie nicht ausnutzen. Zumal ja gilt: „Die künstleris­che Leistung hängt nicht von der Überzeugun­g des Geförderte­n ab.“

Und wenn man konkreter verbietet, etwa nach einer Definition von Antisemiti­smus? „Ganz schlechte Idee“, warnt Möllers. Denn solche Definition­en gibt es mehrere, sie sind wissenscha­ftlich umstritten. Der Staat würde mit seiner Auswahl festlegen, was als wahr zu gelten hat – und damit en passant auch noch gegen die Freiheit der Wissenscha­ft verstoßen. Nein, der gute Zweck heiligt nicht die Mittel. Mehr noch, wie Möllers den großen Soziologen Niklas Luhmann zitiert: „Das Postulat des Rechtsstaa­ts ist letztlich nichts anderes als eine Kritik des Schlusses vom Zweck auf das Mittel.“Ein schwerer Satz, aber so kostbar wie manch schwerer Wein. Gerade heute.

Nicht alles, was rechtens ist, ist auch klug. Zumal wenn bei der Umsetzung schwere Bedenken auftauchen.

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