Immer wieder Weltuntergang
In „3 Body Problem“auf Netflix steht das Überleben von Zivilisationen auf dem Spiel: Fesselnde Science-Fiction von den „Game of Thrones“-Machern.
Nein, „Game of Thrones“kann man wohl nicht wiederholen. Ein derart beliebtes, die Serienwelt prägendes, von Fans wie Kritikern hungrig verschlungenes und bis ins Detail diskutiertes Massenphänomen lässt sich nicht planen. Das mussten auch die Macher der „Herr der Ringe“-Adaption oder von „Shōgun“einsehen: Ein überbordendes Produktionsbudget und eine gewichtige Fantasy- oder Historienhandlung machen eben noch kein Kult-Epos.
Dass die Macher von „Game of Thrones“, David Benioff und D. B. Weiss, dennoch mehr hatten als ein glückliches Händchen, zeigt die neue Serie von ihnen, die nun auf Netflix läuft: „3 Body Problem“, basierend auf einem chinesischen Bestseller, ist ausgesprochen gute Science-Fiction-Unterhaltung. Es geht um nichts weniger als das Überleben von Zivilisationen. Visuelles Spektakel, philosophische Fragen, eine fesselnde, sich auf zwei Zeitebenen und zusätzlich in einer Art virtuellen Realität entrollende Handlung: alles da.
Dazu kommen Szenen, die sich einprägen, nicht nur weil sie computertechnisch betörend gut gemacht sind: Ein Mädchen legt sich auf den Wüstenboden. Die sengende Hitze lässt seinen Körper innerhalb von Sekunden verschrumpeln, bis nur noch eine Art flacher Teppich von der Kleinen übrig ist, der sich zusammenrollen und davontragen lässt wie eine Yogamatte. Wenig später wird sie in ein Wasserbecken geworfen, saugt sich voll, springt zurück in Form und strahlt: „Du hast mich gerettet!“
Solche Einfälle stammen vom Autor Liu Cixin, der die Romanvorlage (deutscher Titel: „Die drei Sonnen“) für die Serie lieferte. Fans wie Barack Obama und Mark Zuckerberg schwärmten von dem Werk, das als erster Teil der „Trisolaris“-Trilogie zum Aushängeschild einer jungen chinesischen Science-FictionWelle wurde. Benioff, Weiss und ihr dritter Co-Autor, Alexander Woo, haben den Stoff für Netflix internationalisiert. Im London von 2024 steht eine Gruppe von jungen OxfordPhysik-Absolventen vor großen Rätseln, und mit ihnen die wissenschaftliche Welt: Etliche Forscher haben sich (scheinbar) selbst umgebracht. Alle Teilchenbeschleuniger der Welt liefern unsinnige Ergebnisse. Wissenschaftlerinnen wie die junge Nanofaser-Pionierin Auggie Salazar (Eiza González) werden von mysteriösen Ziffern heimgesucht, die ihr Sichtfeld blockieren. Ein Countdown, der ihnen eine Warnung sein soll: Brecht eure Arbeit ab, sonst … Und dann flackert auch noch der Sternenhimmel. Ein „Zwinkern“des Universums?
Der Planet ist dem Planeten ein Wolf
Eine andere Erzählebene zeigt, wie Jahrzehnte zuvor eine chinesische Wissenschaftlerin (Zine Tseng) in einem Geheimlabor den Hebel einer riesigen Antenne betätigt. Die chinesische Kulturrevolution hat ihren Glauben an die Menschheit heftig erschüttert. Ihr Vater, ein Physikprofessor, wurde vor ihren Augen zu Tode geprügelt. Die Tochter schickt eine Botschaft ins All: „Kommt. Wir können uns nicht selber retten.“
Die chinesische Kulturrevolution als Auslöser einer Erneuerung der ganzen Zivilisation? Das ist eine Interpretation des Stoffs. Daneben lässt die Serie grübeln, ob die Menschheit nicht vielleicht ein wenig naiv war, als sie, etwa mit der Voyager-Sonde in den 1970ern, Grüße ins Weltall sandte: Was, wenn die Empfänger nicht so friedlich eingestellt sind? Was, wenn eine fremde Zivilisation, um ihr eigenes Überleben zu sichern, unseres in Gefahr bringt? Gilt „Homo homini lupus“womöglich auch für interstellare Begegnungen?
Ultimative menschliche Verunsicherung
Zunächst spielt „3 Body Problem“mit einer anderen Idee, jener der ultimativen menschlichen Verunsicherung: Wenn selbst wissenschaftliche Gewissheiten nichts mehr gelten, was dann? Was wissen wir überhaupt? Während die wissenschaftliche Welt also verzweifelt, fällt einigen der jungen Oxford-Physiker, darunter der Forscherin Jin Cheng (Jess Hong), eine Art futuristische VR-Brille in die Hand. Sie entführt in ein ultrarealistisches Computerspiel, in dem klimatische Bedingungen herrschen, die menschliches Leben immer und immer wieder unmöglich machen: Mal zieht dort kochende Hitze auf, mal eine Eiseskälte, die die Menschen schockgefrieren lässt, der Himmel scheint unberechenbar, drei Sonnen sind der Grund (das dahinterliegende mathematische Problem gibt der Serie ihren Namen). Immer wieder stirbt die Zivilisation in diesem Spiel aus – wenn sie es nicht rechtzeitig schafft, sich zu „dehydrieren“und, in besseren Zeiten, wieder aufzuleben: „Rehydrate the masses!“
Klingt nach einer ziemlich dicht gepackten Erzählung – das ist „3 Body Problem“auch. Allerdings auch eine, der man leicht folgen kann. Und der man gern zusieht: Die hohen Produktionskosten zeigen sich vor allem in den VR-Szenen, die die Anmutung vergangener Zeitalter haben, vom alten China bis zum Tudor-England. 20 Millionen Dollar soll jede der acht Folgen gekostet haben – mehr ließ Netflix bisher nur für die letzte „Stranger Things“-Staffel springen.