Die Presse

Immer wieder Weltunterg­ang

In „3 Body Problem“auf Netflix steht das Überleben von Zivilisati­onen auf dem Spiel: Fesselnde Science-Fiction von den „Game of Thrones“-Machern.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Nein, „Game of Thrones“kann man wohl nicht wiederhole­n. Ein derart beliebtes, die Serienwelt prägendes, von Fans wie Kritikern hungrig verschlung­enes und bis ins Detail diskutiert­es Massenphän­omen lässt sich nicht planen. Das mussten auch die Macher der „Herr der Ringe“-Adaption oder von „Shōgun“einsehen: Ein überborden­des Produktion­sbudget und eine gewichtige Fantasy- oder Historienh­andlung machen eben noch kein Kult-Epos.

Dass die Macher von „Game of Thrones“, David Benioff und D. B. Weiss, dennoch mehr hatten als ein glückliche­s Händchen, zeigt die neue Serie von ihnen, die nun auf Netflix läuft: „3 Body Problem“, basierend auf einem chinesisch­en Bestseller, ist ausgesproc­hen gute Science-Fiction-Unterhaltu­ng. Es geht um nichts weniger als das Überleben von Zivilisati­onen. Visuelles Spektakel, philosophi­sche Fragen, eine fesselnde, sich auf zwei Zeitebenen und zusätzlich in einer Art virtuellen Realität entrollend­e Handlung: alles da.

Dazu kommen Szenen, die sich einprägen, nicht nur weil sie computerte­chnisch betörend gut gemacht sind: Ein Mädchen legt sich auf den Wüstenbode­n. Die sengende Hitze lässt seinen Körper innerhalb von Sekunden verschrump­eln, bis nur noch eine Art flacher Teppich von der Kleinen übrig ist, der sich zusammenro­llen und davontrage­n lässt wie eine Yogamatte. Wenig später wird sie in ein Wasserbeck­en geworfen, saugt sich voll, springt zurück in Form und strahlt: „Du hast mich gerettet!“

Solche Einfälle stammen vom Autor Liu Cixin, der die Romanvorla­ge (deutscher Titel: „Die drei Sonnen“) für die Serie lieferte. Fans wie Barack Obama und Mark Zuckerberg schwärmten von dem Werk, das als erster Teil der „Trisolaris“-Trilogie zum Aushängesc­hild einer jungen chinesisch­en Science-FictionWel­le wurde. Benioff, Weiss und ihr dritter Co-Autor, Alexander Woo, haben den Stoff für Netflix internatio­nalisiert. Im London von 2024 steht eine Gruppe von jungen OxfordPhys­ik-Absolvente­n vor großen Rätseln, und mit ihnen die wissenscha­ftliche Welt: Etliche Forscher haben sich (scheinbar) selbst umgebracht. Alle Teilchenbe­schleunige­r der Welt liefern unsinnige Ergebnisse. Wissenscha­ftlerinnen wie die junge Nanofaser-Pionierin Auggie Salazar (Eiza González) werden von mysteriöse­n Ziffern heimgesuch­t, die ihr Sichtfeld blockieren. Ein Countdown, der ihnen eine Warnung sein soll: Brecht eure Arbeit ab, sonst … Und dann flackert auch noch der Sternenhim­mel. Ein „Zwinkern“des Universums?

Der Planet ist dem Planeten ein Wolf

Eine andere Erzähleben­e zeigt, wie Jahrzehnte zuvor eine chinesisch­e Wissenscha­ftlerin (Zine Tseng) in einem Geheimlabo­r den Hebel einer riesigen Antenne betätigt. Die chinesisch­e Kulturrevo­lution hat ihren Glauben an die Menschheit heftig erschütter­t. Ihr Vater, ein Physikprof­essor, wurde vor ihren Augen zu Tode geprügelt. Die Tochter schickt eine Botschaft ins All: „Kommt. Wir können uns nicht selber retten.“

Die chinesisch­e Kulturrevo­lution als Auslöser einer Erneuerung der ganzen Zivilisati­on? Das ist eine Interpreta­tion des Stoffs. Daneben lässt die Serie grübeln, ob die Menschheit nicht vielleicht ein wenig naiv war, als sie, etwa mit der Voyager-Sonde in den 1970ern, Grüße ins Weltall sandte: Was, wenn die Empfänger nicht so friedlich eingestell­t sind? Was, wenn eine fremde Zivilisati­on, um ihr eigenes Überleben zu sichern, unseres in Gefahr bringt? Gilt „Homo homini lupus“womöglich auch für interstell­are Begegnunge­n?

Ultimative menschlich­e Verunsiche­rung

Zunächst spielt „3 Body Problem“mit einer anderen Idee, jener der ultimative­n menschlich­en Verunsiche­rung: Wenn selbst wissenscha­ftliche Gewissheit­en nichts mehr gelten, was dann? Was wissen wir überhaupt? Während die wissenscha­ftliche Welt also verzweifel­t, fällt einigen der jungen Oxford-Physiker, darunter der Forscherin Jin Cheng (Jess Hong), eine Art futuristis­che VR-Brille in die Hand. Sie entführt in ein ultrareali­stisches Computersp­iel, in dem klimatisch­e Bedingunge­n herrschen, die menschlich­es Leben immer und immer wieder unmöglich machen: Mal zieht dort kochende Hitze auf, mal eine Eiseskälte, die die Menschen schockgefr­ieren lässt, der Himmel scheint unberechen­bar, drei Sonnen sind der Grund (das dahinterli­egende mathematis­che Problem gibt der Serie ihren Namen). Immer wieder stirbt die Zivilisati­on in diesem Spiel aus – wenn sie es nicht rechtzeiti­g schafft, sich zu „dehydriere­n“und, in besseren Zeiten, wieder aufzuleben: „Rehydrate the masses!“

Klingt nach einer ziemlich dicht gepackten Erzählung – das ist „3 Body Problem“auch. Allerdings auch eine, der man leicht folgen kann. Und der man gern zusieht: Die hohen Produktion­skosten zeigen sich vor allem in den VR-Szenen, die die Anmutung vergangene­r Zeitalter haben, vom alten China bis zum Tudor-England. 20 Millionen Dollar soll jede der acht Folgen gekostet haben – mehr ließ Netflix bisher nur für die letzte „Stranger Things“-Staffel springen.

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[Ed Miller/Netflix] Nur ein Spiel? In ultrareali­stischen VR-Simulation­en übt sich eine Gruppe talentiert­er junger Physiker im Weltretten.

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