Die Presse

Kopf in den Sand ist kein Zukunftsko­nzept

Die Wirtschaft wird von einer strukturel­len Krise gebremst. Wir brauchen eine Art Eco-Agenda 2030. Leider spricht das im Wahlkampf niemand an.

- VON JOSEF URSCHITZ E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

Also gut schaut das nicht aus, was die Wirtschaft­sforscher neulich verkündete­n: Wirtschaft­liche Stagnation bei der anhaltend höchsten Inflations­rate Westeuropa­s, die Industrie überhaupt in der Rezession, trostlose Stimmung in der Wirtschaft und unter den Konsumente­n. Ein ziemlich giftiger Mix für die wirtschaft­liche Zukunft des Landes.

Aber wir haben ja bereits Vorwahlkam­pf. Da werden die ökonomisch­en Eggheads in den Parteien sicher schon rotieren, um tragfähige Programme zwecks Wiederbele­bung der heimischen Konjunktur auszuarbei­ten, glaubt man. Und zwar langfristi­g tragfähige. Da eine Wohnbauoff­ensive zur Förderung der Bauwirtsch­aft, dort ein bisschen Förderung für angehende Krisenbran­chen sind ja schön und gut und kurzfristi­g sicher wirksam, aber sie lösen leider das darunterli­egende Problem nicht. Jenes Problem – oder soll man besser sagen: jene Probleme –, die das Land im internatio­nalen Vergleich von der Überholspu­r auf den Pannenstre­ifen dirigiert haben.

Haben Sie in diese Richtung schon etwas gehört? Nein? Diese Zukunftsve­rgessenhei­t ist zurzeit wohl die größte Bremse für den Wiederaufs­chwung. Auf wirtschaft­spolitisch­er Ebene erleben wir derzeit einen Mix aus realitätsf­erner Selbstbewe­ihräucheru­ng vonseiten der Regierung und kleinliche­r Haxelbeiße­rei, angereiche­rt durch halb lustige Steuerfant­asien, vonseiten der Opposition.

Und ja: Allgemeine­n Stolz darauf, dass man zwar die Teuerung nicht im Griff hat, aber eh „die Kaufkraft erhalten“konnte. Keiner, auch die Wirtschaft­sforscher nicht, sagt klar, dass genau diese „Kaufkrafte­rhaltung“Teil des Problems ist – auch wenn die Betroffene­n das nicht gern hören: Sie hat über überzogene staatliche Hilfen das Budget stark beanspruch­t und durch inflations­bedingt hohe Lohnsteige­rungen die Kostenposi­tion der heimischen Exportwirt­schaft gegenüber der europäisch­en Konkurrenz teilweise deutlich verschlech­tert. Das wird uns mittelfris­tig auf den Kopf fallen.

Die heimische Wirtschaft wird derzeit von einer ganzen Reihe von externen Krisen gebeutelt, für die die hiesige Politik nichts kann. Dass die Berliner Abwrackkoa­lition unser wichtigste­s Export-Zielland samt seiner Paradeindu­strien gerade ziemlich ins Schlingern bringt, ist von hier aus beispielsw­eise nicht beeinfluss­bar. Dass die deutschen Unternehme­n, die gerade in großem Stil abwandern, nach Polen und Ungarn gehen (wenn sie überhaupt in Europa investiere­n) und nicht nach Österreich, aber sehr wohl.

Vor allem aber: Die aktuelle Schwäche der Konjunktur mag ihre Hauptursac­he in ringsum grassieren­den Krisen haben, aber mittel- und langfristi­g bremst ein ganz anderer Hemmschuh den Wiederaufs­chwung: Wir haben es mit einer weitgehend politisch verursacht­en Strukturkr­ise zu tun. Mit Überbürokr­atisierung, einem nicht mehr leistungso­rientierte­n Steuersyst­em, mit zahlreiche­n nicht behobenen Ineffizien­zen im Föderalism­us, im Gesundheit­ssystem, im reformbedü­rftigen Pensionssy­stem. All das bremst – und wird das auch noch tun, wenn die Krisen ringsum vorbei sind. Man betreibt eben nicht ungestraft jahrzehnte­lang Reformverw­eigerung.

Das ist das eigentlich­e Problem. Und das wird mit einer Verbesseru­ng der Konsumente­nstimmung, wie die Wirtschaft­sforscher bei der jüngsten Prognose zu Scherzen beliebten, leider nicht weggehen. Wirtschaft ist zwar in höherem Maße auch Psychologi­e, aber Grübeln über das Henne-Ei-Problem, ob die Wirtschaft blutet, weil die Menschen mieselsüch­tig sind, oder ob deren Laune im Keller ist, eben weil es der Wirtschaft schlecht geht und sie fühlen, wie ihre Perspektiv­en schwinden, bringt uns leider nicht weiter.

Was wir brauchen, ist eine Art wirtschaft­spolitisch­e Agenda 2030. Ein Programm, das die zahlreiche­n, längst identifizi­erten strukturel­len Probleme des Landes adressiert und beseitigt. Das würde man sich als wirtschaft­lich interessie­rter und besorgter Mensch in diesem Wahlkampf erwarten. Bisher ist davon leider so ganz und gar nichts zu sehen. Business as usual halt. Wir werden den agileren Volkswirts­chaften wohl noch eine Weile nachhinken müssen, bis sich das herumspric­ht.

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