Die Rückkehr der Piraten
Gefahr für Schifffahrt. Die USA und die Europäer sind mit dem Kampf gegen die Houthis im Roten Meer abgelenkt. Das nützten die Piraten Somalias für eine Serie neuer Überfälle.
Istanbul/Mogadischu. Die Gefahr für die internationale Schifffahrt am Horn von Afrika wächst. Zu den Attacken jemenitischer Houthi-Rebellen auf Frachter und Tanker im Golf von Aden und im Roten Meer kommen immer häufiger Angriffe von Piraten. Die Gewässer südlich des Jemen und vor Somalia werden weniger überwacht, seit internationale Kriegsschiffe im Roten Meer zusammengezogen werden, um Frachter vor den Houthis zu schützen, die auf beiden Seiten der Meeresenge von Bab al-Mandab angreifen. Die Piraten profitieren davon. Seit November haben sie mehr Handelsschiffe vor Somalia gekapert als im ganzen Jahr zuvor.
Vor zehn Jahren waren somalische Piraten eine so große Bedrohung für die Handelsschifffahrt, dass die EU und andere Mächte Marineeinheiten ans Horn von Afrika schickten. Allein im Jahr 2011 wurden mehr als 200 Angriffe auf Schiffe in der Region gezählt. Die Piraten kaperten Schiffe und ließen sie erst gegen hohe Lösegelder weiterfahren; nach Schätzung der Weltbank verursachte die Piraterie damals einen wirtschaftlichen Schaden von 18 Milliarden Dollar. Die EU-Marinemission „Atalanta“und Kriegsschiffe anderer Länder drängten die Piraten in den Jahren darauf zurück. Von 2017 bis 2023 zählte das Fachmagazin „Maritime Executive“nur fünf Versuche, Schiffe zu entführen. Vier davon scheiterten.
Dürre in Somalia und Überfischung
Jetzt sind die Piraten wieder da. Seit November gab es mehr als 20 Versuche, Handelsschiffe vor Somalia zu kapern. Einige waren erfolgreich, bei anderen wurden die Piraten von Kriegsschiffen vertrieben. Soldaten der indischen Kriegsmarine stürmten vorige Woche den gekaperten Frachter Ruen, nahmen 35 somalische Piraten gefangen und lieferten sie in Mumbai ab, wo sie vor Gericht gestellt werden sollen.
Rund 50 andere somalische Freibeuter brachten den Frachter Abdullah aus Bangladesch mit 23 Besatzungsmitgliedern in ihre Gewalt und lenkten ihn auf einen Ankerplatz vor der somalischen Küste. Dort bauten sie jetzt schwere Waffen auf dem Deck des Schiffes auf, wie Fotos der Nachrichtenseite „The Daily Somalia“zeigten. Die Piraten wappnen sich für einen Angriff ausländischer Kriegsschiffe, die in der Nähe kreuzen.
Die Piraterie vor Somalia nimmt laut einer Analyse der auf Sicherheitspolitik spezialisierten britischen Denkfabrik Rusi wieder zu, weil eine jahrelange Dürre in Somalia und die Überfischung der Küstengewässer viele Menschen ins Elend getrieben haben. Zudem gibt es weniger internationale Kriegsschiffe in der Region. Einige wurden abgezogen, weil es so gut wie keine Angriffe von Piraten mehr gab. Andere wurden ins Rote Meer beordert, um dort bei der Abwehr des Houthi-Beschusses zu helfen.
Drohungen gegen Saudis
Die somalische Regierung ist machtlos. Viele Piraten nutzen Häfen in Puntland, einer autonomen Region am Horn von Afrika, in der die Zentralbehörden in Mogadischu nicht viel ausrichten können. Das Piratengebiet vor Somalia und die von den Houthis bedrohten Meeresgegenden liegen eng beieinander: Die Küste Puntlands am Golf von Aden, der Einfahrt zum Roten Meer, ist etwa 200 Kilometer von der Südküste des Jemen entfernt. Die Houthis behaupten, allein in dieser Woche vier Schiffe im Golf von Aden und im Roten Meer mit Raketen beschossen und mit Drohnen angegriffen zu haben. Die jemenitische Miliz bezeichnet die Attacken als Hilfe für die Terrororganisation Hamas im Krieg gegen Israel in Gaza. Die Houthi-Rebellen wollen auch den Nachbarstaat Saudiarabien ins Visier nehmen, falls die Saudis die Luftangriffe der USA und Großbritanniens auf Houthi-Stellungen im Jemen unterstützen sollten.
Piraten haben keine politischen Ziele
Selbst für verbündete Staaten bleiben die vom Iran ausgerüsteten Houthis unberechenbar. Trotz einer Vereinbarung mit Russland und China, nach der die Schiffe dieser beiden Länder geschont werden sollen, beschossen die Rebellen vor wenigen Tagen einen chinesischen Öltanker im Roten Meer.
China und Russland wollen die Houthis als Partner gewinnen, um den Einfluss des Westens im Nahen Osten zu schwächen. China ist besonders an der Sicherheit der Schifffahrt in der Region interessiert, weil es viel Öl aus dem arabischen Raum bezieht und Exporte nach Europa durch den Suezkanal schickt. Die Vereinbarung der Houthis mit Peking und Moskau sei „ein Zeichen tektonischer Verschiebungen“in der Weltgegend, sagt Abdulghani al-Iryani vom Sana’a-Zentrum für Strategische Studien.
Anders als die Houthis verfolgen die somalischen Piraten keine politischen Ziele: Ihnen geht es um Geld und die Chance, die sich aus dem Konflikt zwischen den Houthis und dem Westen für sie ergibt. Wenn nicht bald etwas getan werde, könne die Piraterie wieder so schlimm werden wie vor zehn Jahren, sagte Somalias Präsident, Hassan Scheich Mohamud, der Nachrichtenagentur Reuters.