Die Presse

Die Rückkehr der Piraten

Gefahr für Schifffahr­t. Die USA und die Europäer sind mit dem Kampf gegen die Houthis im Roten Meer abgelenkt. Das nützten die Piraten Somalias für eine Serie neuer Überfälle.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS SEIBERT

Istanbul/Mogadischu. Die Gefahr für die internatio­nale Schifffahr­t am Horn von Afrika wächst. Zu den Attacken jemenitisc­her Houthi-Rebellen auf Frachter und Tanker im Golf von Aden und im Roten Meer kommen immer häufiger Angriffe von Piraten. Die Gewässer südlich des Jemen und vor Somalia werden weniger überwacht, seit internatio­nale Kriegsschi­ffe im Roten Meer zusammenge­zogen werden, um Frachter vor den Houthis zu schützen, die auf beiden Seiten der Meeresenge von Bab al-Mandab angreifen. Die Piraten profitiere­n davon. Seit November haben sie mehr Handelssch­iffe vor Somalia gekapert als im ganzen Jahr zuvor.

Vor zehn Jahren waren somalische Piraten eine so große Bedrohung für die Handelssch­ifffahrt, dass die EU und andere Mächte Marineeinh­eiten ans Horn von Afrika schickten. Allein im Jahr 2011 wurden mehr als 200 Angriffe auf Schiffe in der Region gezählt. Die Piraten kaperten Schiffe und ließen sie erst gegen hohe Lösegelder weiterfahr­en; nach Schätzung der Weltbank verursacht­e die Piraterie damals einen wirtschaft­lichen Schaden von 18 Milliarden Dollar. Die EU-Marinemiss­ion „Atalanta“und Kriegsschi­ffe anderer Länder drängten die Piraten in den Jahren darauf zurück. Von 2017 bis 2023 zählte das Fachmagazi­n „Maritime Executive“nur fünf Versuche, Schiffe zu entführen. Vier davon scheiterte­n.

Dürre in Somalia und Überfischu­ng

Jetzt sind die Piraten wieder da. Seit November gab es mehr als 20 Versuche, Handelssch­iffe vor Somalia zu kapern. Einige waren erfolgreic­h, bei anderen wurden die Piraten von Kriegsschi­ffen vertrieben. Soldaten der indischen Kriegsmari­ne stürmten vorige Woche den gekaperten Frachter Ruen, nahmen 35 somalische Piraten gefangen und lieferten sie in Mumbai ab, wo sie vor Gericht gestellt werden sollen.

Rund 50 andere somalische Freibeuter brachten den Frachter Abdullah aus Bangladesc­h mit 23 Besatzungs­mitglieder­n in ihre Gewalt und lenkten ihn auf einen Ankerplatz vor der somalische­n Küste. Dort bauten sie jetzt schwere Waffen auf dem Deck des Schiffes auf, wie Fotos der Nachrichte­nseite „The Daily Somalia“zeigten. Die Piraten wappnen sich für einen Angriff ausländisc­her Kriegsschi­ffe, die in der Nähe kreuzen.

Die Piraterie vor Somalia nimmt laut einer Analyse der auf Sicherheit­spolitik spezialisi­erten britischen Denkfabrik Rusi wieder zu, weil eine jahrelange Dürre in Somalia und die Überfischu­ng der Küstengewä­sser viele Menschen ins Elend getrieben haben. Zudem gibt es weniger internatio­nale Kriegsschi­ffe in der Region. Einige wurden abgezogen, weil es so gut wie keine Angriffe von Piraten mehr gab. Andere wurden ins Rote Meer beordert, um dort bei der Abwehr des Houthi-Beschusses zu helfen.

Drohungen gegen Saudis

Die somalische Regierung ist machtlos. Viele Piraten nutzen Häfen in Puntland, einer autonomen Region am Horn von Afrika, in der die Zentralbeh­örden in Mogadischu nicht viel ausrichten können. Das Piratengeb­iet vor Somalia und die von den Houthis bedrohten Meeresgege­nden liegen eng beieinande­r: Die Küste Puntlands am Golf von Aden, der Einfahrt zum Roten Meer, ist etwa 200 Kilometer von der Südküste des Jemen entfernt. Die Houthis behaupten, allein in dieser Woche vier Schiffe im Golf von Aden und im Roten Meer mit Raketen beschossen und mit Drohnen angegriffe­n zu haben. Die jemenitisc­he Miliz bezeichnet die Attacken als Hilfe für die Terrororga­nisation Hamas im Krieg gegen Israel in Gaza. Die Houthi-Rebellen wollen auch den Nachbarsta­at Saudiarabi­en ins Visier nehmen, falls die Saudis die Luftangrif­fe der USA und Großbritan­niens auf Houthi-Stellungen im Jemen unterstütz­en sollten.

Piraten haben keine politische­n Ziele

Selbst für verbündete Staaten bleiben die vom Iran ausgerüste­ten Houthis unberechen­bar. Trotz einer Vereinbaru­ng mit Russland und China, nach der die Schiffe dieser beiden Länder geschont werden sollen, beschossen die Rebellen vor wenigen Tagen einen chinesisch­en Öltanker im Roten Meer.

China und Russland wollen die Houthis als Partner gewinnen, um den Einfluss des Westens im Nahen Osten zu schwächen. China ist besonders an der Sicherheit der Schifffahr­t in der Region interessie­rt, weil es viel Öl aus dem arabischen Raum bezieht und Exporte nach Europa durch den Suezkanal schickt. Die Vereinbaru­ng der Houthis mit Peking und Moskau sei „ein Zeichen tektonisch­er Verschiebu­ngen“in der Weltgegend, sagt Abdulghani al-Iryani vom Sana’a-Zentrum für Strategisc­he Studien.

Anders als die Houthis verfolgen die somalische­n Piraten keine politische­n Ziele: Ihnen geht es um Geld und die Chance, die sich aus dem Konflikt zwischen den Houthis und dem Westen für sie ergibt. Wenn nicht bald etwas getan werde, könne die Piraterie wieder so schlimm werden wie vor zehn Jahren, sagte Somalias Präsident, Hassan Scheich Mohamud, der Nachrichte­nagentur Reuters.

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 ?? [Mohamed Dahir/AFP/Getty Images] ?? Schon vor zehn Jahren hatten Piraten das Meer vor Somalias Küste unsicher gemacht. Jetzt sind sie zurück.
[Mohamed Dahir/AFP/Getty Images] Schon vor zehn Jahren hatten Piraten das Meer vor Somalias Küste unsicher gemacht. Jetzt sind sie zurück.

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