Suche nach Überlebenden gestoppt
Nach dem Einsturz einer Brücke bei Baltimore durch eine Schiffskollision gelten sechs vermisste Arbeiter als tot. Der Schiffseigner in Asien muss mit hohen Forderungen rechnen.
Baltimore/Singapur. Nach dem so spektakulären wie beispiellosen Einsturz einer Autobahnbrücke über den Patapsco-Fluss nahe der Küste des US-Bundesstaats Maryland in der Nacht auf Dienstag (Ortszeit) gingen die Behörden am Mittwoch vom Tod von sechs Personen aus, die als vermisst gelten. Die Küstenwache gab bekannt, dass die Suche nach Überlebenden eingestellt werde, weil das Wasser zu kalt sei und niemand mehr lebend geborgen werden könne.
Ein Pfeiler der ca. 2,6 Kilometer langen Francis Scott Key Bridge, 1977 eröffnet, war gegen halb zwei in der Früh von einem Containerfrachter aus Singapur gerammt worden, worauf die Brücke binnen Sekunden wie ein Kartenhaus kollabierte. Fahrzeuge fielen ins Wasser, zwei Personen wurden herausgefischt. Die sechs Vermissten sind Arbeiter, die auf der Brücke Schlaglöcher repartierten. Sie stammen aus Mexiko und mehreren mittelamerikanischen Ländern.
Im August 2007 waren 13 Menschen gestorben, als in Minneapolis im US-Staat Minnesota in der abendlichen Stoßverkehrszeit eine 35 Meter hohe Stahlbrücke über den Mississippi einstürzte, auf der sich etwa 110 Fahrzeuge befanden. Die 1967 eröffnete Brücke stürzte allerdings wegen Materialermüdung ein. Der Verkehr über die Brücke bei Baltimore in dem Ballungsraum an der Chesapeake Bay mit Städten wie Washington im weiteren Umland war hingegen gerade sehr dünn gewesen. Im Metropolitanraum von Baltimore leben bis zu drei Millionen Menschen.
Rettendes Notsignal
Manche Beobachter hatten einen Anschlag für möglich gehalten. Es gibt dafür aber keine Indizien. Auf dem Schiff, das in den Atlantik mit Ziel Sri Lanka fahren wollte, hatte es laut Besatzung ein Problem mit der Stromversorgung gegeben, das es wenige Minuten vor dem Crash manövrierunfähig machte. Weil die Besatzung die Lage noch mit einem SOS-Ruf durchgeben und die Ver
kehrsbehörde die Brückenzufahrten an den Mautstationen und mit Stoppsignalen sofort sperren konnte, wurden weitere Fahrzeuge von der Brücke abgehalten. Das war mitursächlich für den geringen Verkehr darauf.
Mit der Brücke wurde eine wichtige Verkehrsader zerstört. Laut US-Regierung querten sie bisher rund 30.000 Fahrzeuge pro Tag. Der Hafen Baltimore ist nach umgeschlagener Tonnage zwar noch lange nicht der größte der USA (das sind etwa jene in Los Angeles, New York/New Jersey, Houston), aber Berichten zufolge der wichtigste für
Autotransporte und zweitwichtigste für Kohleexporte. Es geht um Firmen wie Toyota, General Motors, VW. Verkehrsminister Pete Buttigieg meinte, der Einsturz werde zu Lieferkettenproblemen mit Folgen für die USA und Andere führen.
Der Frachter, die 300 Meter lange „Dali“mit Gesamttragfähigkeit von rund 116.000 Tonnen, war 2015 in Südkorea fertiggestellt worden und ist im Eigentum der Firma Grace Ocean in Singapur. Aktuell ist das Schiff von der dänischen Reederei Maersk gechartert, wird aber von der Singapurer Synergy Marine Group betrieben. Von den 22 Mann an Bord wurde niemand ernsthaft verletzt. Die Dali hatte 2016 in Antwerpen (Belgien) ein Kai gerammt und man fand im Vorjahr in San Antonio (Chile) bei einer Inspektion Defekte im Antrieb.
Haftung wie bei „Titanic“?
Der Wiederaufbau der Brücke dürfte Jahre dauern. Dabei tun sich interessante Haftungsfragen auf, wie die Wirtschaftsagentur Bloomberg meldet. Grundsätzlich geht es inklusive der Beschädigungen von Gütern auf dem Schiff, von Folgeschäden für Verkehr und Industrie und Zahlungen an die Angehörigen der Opfer um potenziell umgerechnet Hunderte Millionen Euro, wobei in erster Linie der Schiffseigentümer in der Beklagtenrolle ist.
Juristen weisen auf eine Möglichkeit der Haftungsmilderung hin, die sich auf ein US-Gesetz von 1851 stützt. Demnach lasse sich bei Unfällen, die durch Fahrlässigkeit oder technische Probleme entstehen, der Haftungsrahmen eingrenzen: und zwar auf den Wert des Schiffs nach dem Unfall plus die Einkünfte, die der Eigentümers durch den Transport erzielt. Kerngedanke des Gesetzes war die Schadenseingrenzung insbesondere hinsichtlich Drittschäden, um astronomische Haftungen zerstörerischen Ausmaßes hintanzuhalten.
Demnach sei eine Reduktion auf einige Zehn Millionen Dollar denkbar. Auf das Gesetz wurde von den Eigentümern des 1912 im Atlantik nach einer Kollision mit einem Eisberg gesunkenen britischen Dampfers Titanic rekurriert, letztlich gab es einen Vergleich. Der Dali-Eigner wird sich sicher mit seiner Versicherung beraten. (ag./wg)