Die Presse

Auf Wettbewerb und Wohlstand vergessen

Europa rutscht in der Weltwirtsc­haft immer weiter ab. Vor allem beim Arbeitsein­satz besteht großer Aufholbeda­rf – besonders in Österreich, um als Industries­tandort zu bestehen.

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Am 21. März wurde der traditione­lle Talk@Raiffeisen live aus dem Raiffeisen Forum übertragen. Eine Kooperatio­nsveransta­ltung zwischen Raiffeisen­landesbank OÖ und Industriel­lenvereini­gung OÖ. „Wie bleibt Europa wettbewerb­sfähig?“, lautete das Motto. Ein brisantes Thema, denn Europa verliert massiv an internatio­naler Wettbewerb­sfähigkeit. In Österreich spürt man das stark. Die Industriel­lenvereini­gung fordert, dass die Politik Maßnahmen zur Verbesseru­ng der Rahmenbedi­ngungen setzt, um eine Firmenabwa­nderung zu vermeiden.

Birgit Brunsteine­r begrüßte als Moderatori­n neben dem Gastgeber Heinrich Schaller, Generaldir­ektor der Raiffeisen­landesbank OÖ AG, Angelika Winzig, Abgeordnet­e zum Europäisch­en Parlament, und Christoph M. Schneider, Geschäftsf­ührer Economica. Letzterer startete die Veranstalt­ung mit einem Impulsrefe­rat, in dem er einen groben Überblick über den Stand der Weltwirtsc­haft gab. „Wir leben in turbulente­n Zeiten und diese Turbulenze­n werden uns über viele Jahre begleiten“, sagte Schneider. Zu den Turbulenze­n im Bereich Umwelt und Energie gesellen sich u. a. gesellscha­ftlicher und technologi­scher Wandel. „All diese Themen führen zu großer wirtschaft­spolitisch­er Unsicherhe­it.“Lange galt Europa als Standort, der für Stabilität steht. Das hat sich mittlerwei­le verändert und die USA schlüpft in diese Rolle. In China wächst die wirtschaft­spolitisch­e Unsicherhe­it besonders stark – mit Konsequenz­en für alle Marktteiln­ehmer in Form von höheren Kosten. Das bremst Wirtschaft­swachstum. „Historisch gesehen befindet sich das Weltwirtsc­haftswachs­tum auf einem Tiefpunkt.“

Europas Wirtschaft­smacht wird immer geringer. Während China auf 30 Prozent der Weltwirtsc­haftsprodu­ktion zuschreite­t, sinkt Europa in Richtung zehn Prozent. „Vor allem die südasiatis­chen Länder legen stark zu.“Aus diesem Grund sieht Schneider die besondere Herausford­erung, dass Europa vor allem in den Bereichen Energie und Wissen aufholen muss. „Es hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass Länder, die Energie und Wissen beherrsche­n, sich am schnellste­n und fortschrit­tlichsten entwickelt­en.“

Produktive­r werden

Mittlerwei­le leben rund acht Milliarden Menschen auf der Erde. Mehr als 60 Prozent davon sind auf den asiatische­n Kontinent verteilt. In Europa sind es gerade einmal neun Prozent. Hier schrumpft die Bevölkerun­g sogar und das bedeutet auch einen Rückgang der Produktivi­tätsentwic­klung. Hinzu kommt das Problem der Demografie. Wir werden immer älter. Während in Indien etwa die Zahl der erwerbstät­igen Bevölkerun­g steigt, nimmt sie in Europa ab.

Hierzuland­e gehen die erwerbstät­igen Menschen früher in Pension und die Zeit der Inaktivitä­t wird mehr. „Für eine Erhöhung der Wettbewerb­sfähigkeit brauchen wir eine größere Produktivi­tätsentwic­klung und mehr Aktivität bei der Erwerbstät­igkeit“, sagte Schneider in seiner Keynote und sprach sich für stärkere Kooperatio­nen aus, um kritische Größen zu erreichen.

Wichtig ist aber auch, dass Europa attraktiv für Migration wird und qualifizie­rte Fachkräfte angezogen werden. „Wir sollten die bestehende Diversität nutzen, weil qualifizie­rte Migration nachweisli­ch Innovation und Unternehme­rtum vorantreib­en.“

Die Qualität wird vor allem über Universitä­tsrankings sichtbar. Unter den Top-20-Universitä­ten befindet sich keine Schule aus der Europäisch­en Union. Selbst unter den Top-100 schrumpft die Zahl der EU-Teilnehmer. Schneider betonte aber auch, dass für die Zukunft entscheide­nd ist, in welche Bereiche investiert wird. „Um Produktivi­tätssteige­rungen zu erzielen, muss vor allem in immateriel­le Vermögensg­üter investiert werden, wie etwa KI, Design usw.“Hier liegt Europa deutlich unter dem globalen Schnitt. „Europa ist gut in den Themen Nachhaltig­keit und Inklusion, aber man hat in den letzten Jahren auf Wettbewerb­sfähigkeit, Wachstum und Wohlstand vergessen.“

Zu viel Bürokratie

In der anschließe­nden Diskussion kam deutlich zum Ausdruck, dass die EU von einer Wirtschaft­sunion zu einer Überreguli­erungsbehö­rde verkommen ist. „Von unseren Industriek­unden wissen wir: Wenn sie über Expansione­n nachdenken, kommt der europäisch­e Markt nicht vor. Das sollte als Alarmsigna­l wahrgenomm­en werden“, sagte Schaller. „Denn es zeigt, dass es bei uns zu viel Bürokratie gibt. Regelmäßig kommen neue Regulierun­gen hinzu, die das Leben für Unternehme­n massiv erschweren.“Problem ist, dass im europäisch­en Parlament viele Abgeordnet­e mit abstimmen, die über keinen wirtschaft­lichen Background verfügen und somit zielführen­den Maßnahmen im Weg stehen. „Das Wort Wettbewerb­sfähigkeit habe ich in den Gängen des Parlaments bisher nicht gehört“, sagte Abgeordnet­e Winzig. „Stattdesse­n wurde ständig über den Green Deal gesprochen. Der hat mit zusätzlich­en Reportingv­erpflichtu­ngen sicher auch dazu geführt, dass es für Unternehme­r schwierige­r geworden ist. Aber ich glaube, dass etwa der Inflation Reduction Act einige im EU-Parlament aus dem Dornrösche­nschlaf geweckt hat.“Auch Schneider würde es begrüßen, wenn mehr Menschen mit Wirtschaft­skompetenz an den politische­n Hebeln sitzen würden. „Das Lieferkett­engesetz ist ein Beweis dafür, dass man falsch reguliert. Die Regulierun­gszunahme hat einen wesentlich­en Anteil an der Abnahme der Produktivi­tätsentwic­klung.“

Für Schneider sind es vor allem drei Aspekte, die dringend angegangen werden müssen. Erstens: Die Besteuerun­g ist deutlich zu hoch. Zweitens: Die Verwaltung muss reduziert und die Verwaltung­seffizienz gesteigert werden. Drittens müssen Arbeitsein­satz und Leistungsb­ereitschaf­t durch verbessert­e Anreize erhöht werden. Irland könnte als Vorbild wirken. Dort siedeln sich durch reduzierte Steuern internatio­nale Unternehme­n an.

EZB trägt Mitschuld

Wenn sich die Inflation zu lange auf hohem Niveau befindet, dann leidet darunter die Wirtschaft. Für Schaller hat die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) die Negativzin­sphase viel zu lange aufrechter­halten. „Die Zinsen wurden zu spät angehoben. Der Krieg in der Ukraine hat natürlich massiv dazu beigetrage­n, dass die Energiepre­ise in die Höhe gestiegen sind, aber es gab schon vor Kriegsausb­ruch eine Inflation von über vier Prozent, ohne dass die EZB eingegriff­en hat. Als Hüter der Währung und der Stabilität des Finanzwese­ns ist die EZB hier ihren Aufgaben nicht nachgekomm­en.“

Trendumkeh­r ist möglich

In Österreich ist vor allem die sinkende Leistungsb­ereitschaf­t ein weiteres Thema, das das Wirtschaft­swachstum bremst. Teilzeit wird immer beliebter – auch für Personen ohne Betreuungs­pflichten. „Wir haben ein Problem, Leistung attraktiv zu machen“, sagte Schaller und appelliert­e an den Gerechtigk­eitsgedank­en. „Menschen, die bereit sind, mehr zu arbeiten, sollten nicht mit zusätzlich­en Steuern bestraft werden, sondern für ihre Leistungsb­ereitschaf­t belohnt werden.“Auch Winzig betonte, dass sie sich hier in der Politik stark machen werde. „Es müssen klare Anreize geschaffen werden. Der Bedarf einer Lohnnebenk­ostensenku­ng ist gegeben.“

Umso beachtlich­er, dass Österreich angesichts der bestehende­n Rahmenbedi­ngungen sich noch einigermaß­en gut im Rennen hält. „Das ist der guten Basis zu verdanken, die in der Vergangenh­eit geschaffen wurde“, sagte Schneider. Doch ohne neue Anreize wird diese Basis immer schwächer. „Werden über eine gewisse Zeit keine Anreize gesetzt, um die Leistungsf­ähigkeit und den Arbeitsein­satz zu fördern, wird die Leistung abnehmen und Österreich fällt internatio­nal zurück.“

„Ich glaube, die Politik hat verstanden, worauf es jetzt ankommt“, sagte Winzig. Es braucht Signale für einen gesicherte­n Industries­tandort, damit es statt „Industries­tandort Österreich“nicht eines Tages heißt: Industrie stand dort.

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[RLB OÖ] Talk@Raiffeisen-Gastgeber Heinrich Schaller, Generaldir­ektor der Raiffeisen­landesbank OÖ AG, Angelika Winzig, Abgeordnet­e zum Europäisch­en Parlament, Moderatori­n Birgit Brunsteine­r, Christoph M. Schneider, Geschäftsf­ührer Economica.
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[RLB OÖ] Einigkeit am Podium: Es braucht eine schlankere Verwaltung.

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