„Mehr Arbeit soll sich lohnen“
Rudolf Krickl, Chef von PwC Österreich, warnt vor einer wachsenden Bürokratie und einer unternehmerfeindlichen Gesellschaft.
Die Presse:
Unlängst wurde der Digital Service Act im EU-Parlament beschlossen. Schafft dieser nun mehr Klarheit im Umgang mit künstlicher Intelligenz oder nur mehr Regeln und Bürokratie?
Rudolf Krickl: Es ist vor allem ein Grundlagengesetz, das künstliche Intelligenz von verboten, gefährlich bis unbedenklich kategorisiert. Viele Detailfragen sind allerdings noch offen.
Digitalkommissar Thierry Breton hat gesagt: „Demokratie 1, Lobby 0“.
Der Satz stimmt derzeit noch, und wir als Gesellschaft sind gefordert, diese Werte zu unterstreichen und einzufordern.
Nun muss geklärt werden, wie dieses Regelwerk in der Praxis angewendet werden muss.
Die Gefahr ist natürlich, dass hier wieder sehr viel Bürokratie geschaffen wird. Diese Richtlinien brauchen eine nationale Umsetzung, die muss bis 2026 erfolgen. Das ist gar kein so langer Zeitraum. Wichtig wird sein, dass diese Richtlinien dann auch einheitlich sind und vor allem praktikabel. Die EU steht für wichtige und richtige Werte, aber dennoch sollten wir mutiger und mit mehr Vertrauen in die Transformation gehen, um das Europa, das wir kennen, zu bewahren.
Und so prickelnd ist die Wettbewerbsfähigkeit Europas aktuell nicht.
Nein, wir müssen tatsächlich etwas tun, um unseren Wohlstand zu erhalten. Dabei würde eine maßvollere Regulatorik helfen. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Europa und Österreich einen Fokus auf Innovationsförderung legen und ihr einen gewissen Freiraum lassen.
Man könnte sagen, international tätige Unternehmen kommen ohne Berater, etwa von PwC, gar nicht mehr aus.
Es ist tatsächlich so, dass viele Unternehmen dieses hochqualitative Expertenwissen nicht mehr im Haus haben können. Europa leidet mittlerweile an einer Überregulierung, vor allem dort, wo es um Berichtspflichten geht. Das Reporting ist wichtig, gerade im Bereich der Nachhaltigkeitsberichterstattung konnte innerhalb kurzer Zeit ein großer Wandel angestoßen werden. Aber der Fokus sollte auch auf der Wirkung von Maßnahmen liegen. Das machen die USA besser.
Dabei kamen die großen Erfindungen einst fast ausschließlich aus Europa.
Die großen Erfinder kamen aus Europa und gingen nach Amerika, weil sie dort ihre Erfindung besser kommerzialisieren konnten. Die Amerikaner bringen ein Produkt auf den Markt und entwickeln es weiter, weil sie auch sofort erkennen, was die Kunden wollen und brauchen. Der europäische Ingenieursansatz mündet hingegen in Regulierung.
Es gibt also vermehrt Ingenieure der Bürokratie statt Technologie?
Es geht vor allem um Sicherheit. Die Menschen in Europa haben gelernt, sehr unselbstständig zu leben. Der Staat nimmt einem viel ab. Wir müssen uns nur ansehen, wie wir Steuern zahlen. In Amerika bekommt man sein Bruttogehalt ausbezahlt und muss dann selbst die Steuer abführen. Bei uns wird alles abgezogen, niemand muss sich darum kümmern.
Die Unternehmen müssen sich darum kümmern, denn sie treiben für den Staat knapp 90 Prozent der Steuern ein.
Und es wird für die Unternehmen immer
komplexer, weil sie immer mehr Aufgaben für den Staat übernehmen müssen – siehe Lieferkettengesetz. Niemand macht sich darüber Gedanken, wie man es den Unternehmen leichter machen könnte. Speziell in Österreich ist das Unternehmertum nicht sehr geachtet. Man wird als Unternehmer überwiegend negativ gesehen.
Braucht es weniger Sozialstaat?
Nein, ich schätze den Sozialstaat. Aber es läuft in eine falsche Richtung, wenn die Kosten dadurch massiv steigen. Und am Ende ist in Europa eine konkurrenzfähige Produktion kaum noch möglich. Ja, die Arbeitswelt wird sich ändern, und diese neue Realität wird auch flexible Arbeitsmodelle im Mittelpunkt haben. Künstliche Intelligenz wird ein wichtiger Teil dieser neuen Ära sein. Hier müssen Österreich und Europa ansetzen.
Die einen wollen Teilzeit arbeiten, weil sie es sich leisten können. Die anderen kommen aufgrund der Teuerung selbst mit einem Vollzeitjob nicht über die Runden. Was passiert da gerade?
Das Wirtschaftswachstum in früheren Generationen war stets hoch, auf dieser Basis haben sich Österreich und die Bevölkerung viel aufgebaut. Wir sehen aber, auch durch die herausfordernde Wirtschaftslage, dass dieses Standbein schrumpft und langfristig nicht aufrechtzuerhalten ist.
Aber offensichtlich gibt es noch zu wenige Erben, jetzt soll es ja laut Neos ein staatsfinanziertes Erbe für alle 18-Jährigen gehen.
Ich glaube nicht, dass das die Lösung sein kann. Im Übrigen gibt es eine Immobilienertragssteuer, das ist eine Art Erbschaftssteuer. Sämtliche Kapitaleinlagen sind ohnehin von der Kapitalertragssteuer erfasst. Also worüber reden wir dann bei der Erbschaftssteuer? Und übrigens haben wir nach wie vor eine Erbschaftssteuer, sie ist lediglich ausgesetzt. Nicht dass ich jetzt empfehlen würde, sie wieder einzuheben.
Der Sinn von Steuern ist ja zu steuern, die Frage ist nur, wohin?
Steuern sollten leistungsorientiert und leistungsgerecht sein. Nicht weniger, mehr Arbeit soll sich lohnen. Nicht früher in Pension, sondern später in die Pension soll sich lohnen. Es braucht einen größeren Anreiz dafür, dass jemand mehr Leistung erbringt.
Eine Pensionsreform ist politischer Selbstmord, heißt es.
Der große Sozialstaat, so das Versprechen, ermöglicht allen einen Lebensabend, der ein großer Lebensabschnitt ist, in dem man sich viel gönnen kann. Diese Erzählung wurde hochstilisiert. Wir wissen, wenn wir als Wirt
schaftsstandort nicht relevant bleiben, ist dies eine Illusion. Die zukünftigen Generationen sind von unseren heutigen Entscheidungen abhängig. Es ist an der Zeit, mutig zu sein und Verantwortung zu übernehmen – und das startet bei der Förderung von Innovation, Industrie und Unternehmertum.