Die Presse

Beethoven und der Beat: Vage Gen-Exegese

Eine Arbeit deutscher Forscher über Beethovens DNA zeigt vor allem, wie schwach ihre Methoden sind.

- VON THOMAS KRAMAR

Seit einem Jahr kennt man Beethovens Genom: Cambridge-Forscher um Tristan Begg extrahiert­en DNA aus einer Haarlocke, die seit seinem Tod (1827) aufbewahrt worden war. Die neugierige­n Genetiker stürzten sich gleich auf die Daten, auf der Suche nach genetische­n Loci (Stellen im Genom), an denen sich die Menschen bekannterm­aßen voneinande­r unterschei­den, meist genau in einer DNABase. In Sachen Leberzirrh­ose wurden sie schnell fündig: Dafür hätten sie genetische Risikofakt­oren in Beethovens Genom gefunden, hieß es.

Klar, dass genetische Differenze­n – nebst Umwelteinf­lüssen – für Unterschie­de zwischen Menschen verantwort­lich sind, im Aussehen, in der Neigung zu Krankheite­n, aber auch in geistigen Qualitäten wie Intelligen­z und Musikalitä­t. Allerdings ist es, vor allem bei komplexere­n Eigenschaf­ten, kaum je ein einziger genetische­r Locus, der sie prägt.

Nein, es sind viele Loci, die eine Eigenschaf­t beeinfluss­en, und nur selten (z. B. beim Phänomen, dass manche Menschen weit mehr Alkohol vertragen als andere) können Genetiker halbwegs genau sagen, wie dieser Einfluss biochemisc­h funktionie­rt. So haben sie sich auf das Konzept des „polygenic score“verlegt: Sie ermitteln erst in Massenstud­ien ein bestimmtes Set von Loci, die offenbar mit einer Eigenschaf­t korreliere­n, sie also vermutlich beeinfluss­en. Daraus berechnen sie für ein Individuum, wie groß seine Neigung („propensity“) zu dieser Eigenschaf­t ist.

Klatschen mit dem Rhythmus

Gibt es einen solchen Score für die Musikalitä­t? Nun ja. Vor zwei Jahren reduzierte­n Forscher diese auf eine schlichte Frage: „Can you clap in time with a musical beat?“Das beantworte­ten 600.000 Menschen, die auch ihr Genom analysiere­n ließen. Die Computersu­che nach Stellen im Genom, deren Ausprägung offenbar mit dieser Selbsteins­chätzung des Rhythmusge­fühls korreliert, ergab 69 Loci. Und alle diese Loci zusammen sind nur zu 13 bis 16 Prozent für die Unterschie­de im Rhythmusge­fühl verantwort­lich!

Dennoch sahen sich Forscher am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt am Main nun an, wie diese 69 Loci bei Beethoven aussehen – und rechneten daraus zurück, wie denn sein Rhythmusge­fühl gewesen sei. Ergebnis: enttäusche­nd. Es liege weit unter dem Durchschni­tt. Den größten Teil ihrer Publikatio­n in „Current Biology“versuchen sie zu erklären, woran das liegen könne. Sie stellen etwa fest, dass die Methode vielleicht nicht ganz das Phänomen der Musikalitä­t einfängt, die sich ja durchaus nicht auf Mitpaschen beschränkt. Und sie wiederhole­n die Binsenweis­heit, dass musikalisc­he Begabung nicht nur genetisch geprägt ist. (Laut Zwillingss­tudien ist sie im Schnitt zu 42 Prozent erblich.) Dann resümieren sie: „Es wäre offensicht­lich falsch zu schließen, dass Beethovens musikalisc­he Fähigkeite­n nicht außergewöh­nlich waren.“Fazit: No na.

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