Das imperiale Rot der Josefstadt
Vor 100 Jahren am 1. April eröffnete Max Reinhardt das runderneuerte Theater in der Josefstadt so, wie man es heute kennt. Was hat sich vom damaligen Geist gehalten?
Dieses Theater oder keines“, soll Max Reinhardt, der zu dieser Zeit schon ein Bühnengigant war, gesagt haben: Er sprach vom Theater in der Josefstadt, das er renovieren und in neuem Glanz eröffnen wollte. Das geschah 1924. Heuer jährt sich dieses Unterfangen zum 100. Mal. Und viel von dem, was er einst einbauen ließ, macht bis heute den Charakter des Hauses aus.
„Man spürt den Geist Reinhardts noch, wenn man durchgeht“, sagt Christiane Huemer-Strobele, die mehrere Bücher über das Theater in der Josefstadt geschrieben hat und dort Marketing-Chefin ist: „Der Raum ist von dem, was er als Theatererlebnis anstrebte, immer noch sehr geprägt.“
Am Anfang stand Reinhardts Wunsch, ein Theater in Wien zu leiten. Das in der Josefstadt reizte ihn, ja er nannte es „unvergleichlich“, „wie eine alte Geige oder eine kostbare Schale“. Es bedurfte aber einer Renovierung, war es doch ziemlich heruntergekommen – wenn auch nicht „abbruchreif“, wie manche Quelle übertrieben darstellt.
Vorbild: das Teatro Fenice
Noch bevor er an der Josefstadt eine Regiearbeit machte – und es sollten fast 30 werden –, wollte Reinhardt dort ein Gesamterlebnis inszenieren: einen „wohnlichen Patriziersalon, in dem Theater gespielt wird“. Vorbild war das Teatro Fenice in Venedig. Entsprechend kaufte Reinhardt – auch mit Geld seines Mäzens, des Bankiers Camillo Castiglioni – einige Ausstattungselemente aus Italien an, etwa altvenezianische Leuchter oder Spiegel. Vor allem alles Rote, das bis jetzt den Charakter des Theaters prägt, geht auf Reinhardt zurück. Eine Sensation war damals der Lobmeyr-Luster aus MuranoGlas, der noch heute zu Beginn der Vorstellung sechs Meter Richtung Decke schwebt.
„Reinhardt machte aus dem Alltagsraum, der das Theater vorher war, einen Ort, der vermittelt: Hier bin ich nicht jeden Tag“, sagt Huemer-Strobele: „Alles, was er tat, richtete sich nach dem Wunsch, dem Publikum einen besonderen Abend in einem besonderen Rahmen zu schenken. Er konnte nicht genug von Antiquitäten und alten Bildern bekommen.“Der Steinboden wurde ersetzt, Stoffe wurden eingezogen, der Vorhang wurde aus Seidenfäden gewoben, er suchte Tapeten aus, die an die Einrichtung der Hofburg erinnerten. Und er schuf die Sträußel-Säle, die davor ein Kulissenmagazin waren. Aber obwohl er dabei schon an die Gastronomie dachte und auf der Bühne neueste Technik einbauen ließ (die später wieder modernisiert wurde), war er in Sachen Innenausstattung rückwärtsgewandt – und das in einer Zeit der neuen Architekturströmungen, die auf Reduktion setzten.
„Für Reinhardt war ein schönes Leben eines mit Kommoditäten aus der Vergangenheit“, sagt Huemer-Strobele: „Er suchte in der Architektur das Imperiale.“Hier liege auch der größte Unterschied zwischen ihm und dem aktuellen Direktor: „Wo Herbert Föttinger mit Reinhardt ansteht, ist das Höfische, das dieser im Ambiente verankerte. Manchmal sagt Föttinger, dass ihm der rote Zuschauerraum auch eine Bürde ist.“Doch durch neuartige Inszenierungen könne man sich von der Vergangenheit emanzipieren.
„Man geht vorher fein essen“
Dass das typische Josefstadt-Publikum heute vielleicht mehr als jenes anderer Häuser ein „Gesamterlebnis“aus dem Theaterbesuch mache, entspreche jedenfalls dem Wunsch Reinhardts: „Vielleicht geht man in andere Häuser auch spontaner, den Josefstadt-Besuch plant man mehr, geht vorher fein essen und hat einen besonderen Abend. So ein Selbstliebeprogramm wäre auch in Reinhardts Sinn“.
Auch von Reinhardts Geist erhalten hat sich die Einstellung zu den Akteuren. Wie Föttinger und einige seiner Vorgänger war Reinhardt ein Theatermann, der selbst spielte und Regie führte. „Reinhardt sagte, das Haus gehört von der Bühne aus geführt – und das tut Föttinger auch. Er denkt auch alles von der Bühne aus“, so Huemer-Strobele.
Wesentlich war für Reinhardts Inszenierungsarbeit die Arbeit mit den Schauspielern. Er wollte dezidiert „die Formulierung meines Programms darauf beschränken, dass ich versuchen will, mit guten Schauspielern in einem geeigneten Haus Theater zu spielen.“Da ist Föttinger d‘accord: „Ich versuche, den Ensemblegeist an diesem Theater im Sinne Reinhardts zu pflegen und das Publikum an das Ensemble zu binden.“Huemer-Strobele assistiert: „Die Schauspieler sind immer noch ganz im Mittelpunkt. Und auch das Brennen für das Theater haben Reinhardt und Föttinger gemeinsam.“
„Er war ein Uraufführungskaiser“
Auch bei der Wahl der Stücke und Autoren stehe das Theater in der Tradition seines großen Renovators. „Reinhardt war ein Uraufführungskaiser und arbeitete viel mit zeitgenössischen Autoren“, sagt HuemerStrobele. Er hatte enge Beziehungen zu einigen Autoren, bei der Eröffnung am 1. April 1924 waren unter anderen Hugo von Hofmannsthal, Robert Musil und Arthur Schnitzler anwesend. Auch wenn er an diesem Abend Goldonis „Diener zweier Herren“spielte, folgten bald zeitgenössische Stücke. Auch heute steht Zeitgenössisches von Turrini bis Thomas Arzt neben Werken, die schon zu Reinhardts Zeit en vogue waren. Huemer-Strobele sieht noch eine weitere Linie: „Dass wir immer wieder Stücke bringen, die die jüdische Geschichte behandeln, hat seine Wurzeln durchaus auch in der Vergangenheit des Hauses.“
So findet man noch heute in der Josefstadt einiges, was Max Reinhardt anstrebte. Huemer-Strobele fasst zusammen: „Die atmosphärische Prägung Reinharts ist größer als die dramaturgische.“