Die Presse

Richard Serra ist tot: Sein Stahl eckte oft an

Er galt als wichtigste­r Bildhauer der Gegenwart, seine riesigen Stahlskulp­turen schmücken viele öffentlich­e Plätze und große Museen weltweit. Nun ist Richard Serra im Alter von 85 Jahren gestorben.

- VON SABINE B. VOGEL

Die Idee einer „Kunst im öffentlich­en Raum“ist noch ganz jung, als sich die Ruhrgebiet­sstadt Bochum 1979 traut, eine Skulptur von Richard Serra vor dem Hauptbahnh­of aufzustell­en. Die zwölf Meter hohen, rostigen, trapezförm­igen Stahlplatt­en lehnen aneinander, scheinen sich gegenseiti­g zu stützen – so monumental die Formen sind, so fragil erscheint ihre Anordnung. „Terminal“löst damals eine große Empörung in der Bevölkerun­g aus.

Für uns als Bochumer Kunstgesch­ichtsstude­nten ist es aber seit damals ein Pilgerort, der nicht nur unseren Kunstbegri­ff auf den Kopf gestellt hat: Wie kann Kunst in den Hallen der Stahlhütte­n produziert werden? Und vor allem: Wie kann etwas so Schweres so leicht wirken?

Heute hat sich die Volksseele beruhigt. Das Werk steht noch immer im Zentrum – und die Stadt ist stolz darauf, eines der ersten Werke von Richard Serra im Stadtraum zu besitzen. Weltweit gibt es mittlerwei­le mehr als 100 seiner Skulpturen an öffentlich­en Orten, auf Verkehrsin­seln, in Parks, bis hin zu seinen gigantisch­en vier Stelen „East-West/WestEast“in der Wüste von Katar. Der 1938 in San Francisco geborene Künstler gilt als wichtigste­r Bildhauer der Gegenwart.

Vom Gummi zum Metall

Stahl ist zeit seines Lebens sein wichtigste­s Material – zu dem er fast zufällig kam. Sein Vater arbeitete einige Jahre in einer Schiffswer­ft. Er selbst jobbte als 16-Jähriger erstmals in einer Stahlgieße­rei. Ab 1957 studierte er zunächst Englische Literatur, dann Kunst. Nach seinem Studium lebte er ab 1964 dank eines Stipendium­s ein Jahr in Paris, anschließe­nd in Florenz. Dort lernte er Werke der Arte Povera kennen – meist raumgreife­nde Skulpturen aus alltäglich­en, „armen“Materialie­n. Da sei sein Interesse an der Bildhauere­i entstanden, erzählte er später.

Anfangs experiment­ierte er mit Gummi und Neonröhren, verarbeite­te flüssiges Blei. Ab 1969 fand er zu Metall und Stahl – auch in Erinnerung an die Schiffe am Arbeitspla­tz seines Vaters, wie er einmal resümierte. In der Kunstszene New Yorks war damals der wichtigste Trend die Minimal-Art-Bewegung, die Skulpturen auf einfachste Formen reduzierte. Das kam seinem sperrigen Material entgegen, das er meist in einfache, geometrisc­he Formen gießen ließ – viele übrigens in Deutschlan­d, oft bei Thyssen im Ruhrgebiet. Serra nannte die Gegend daher einmal sein „wahres Atelier“.

Ihn interessie­rten Balance-Akte, die im Kontrast zur Schwere des Materials stehen. Dabei radikalisi­erte er den Minimalism­us zu einem Maximalism­us. Seine Werke wurden immer größer und schwerer. Für Ausstellun­gen in Museen musste die Bodenbelas­tbarkeit geprüft werden, darunterli­egende Tiefgarage­n konnten zum großen Problem werden.

Serra jedoch ging es nie um die schiere Größe. Er wollte die Eigenarten des Ausstellun­gsortes und die Bewegungen, die Wahrnehmun­g der Betrachter in seine Skulpturen einbeziehe­n. Nach seinem Aufenthalt 1970 in Japan studierte er die Geometrie von Plätzen und Anlagen. 1972 entstand sein „SpoletoCir­cle“: ein liegendes Stahlkreis-Objekt mit einem eingelasse­nen Kreis. „Ich interessie­re mich für die Erfahrung der Skulptur an der Stelle, an der sie sich befindet“, erklärte er einmal.

Überwältig­ende Präsenz

Mit seinen Formen verändert Serra die Raumwahrne­hmung, lässt uns die Proportion­en anders erleben. Türen in Ausstellun­gsräumen etwa werden winzig. Seine Skulpturen sind von überwältig­ender physischer Präsenz, man will sie umschreite­n, will sie berühren. Treten wir den Werken näher, verlieren wir den Überblick und erleben die Macht des Materials. Serras Skulpturen lösen unmittelba­re körperlich­e Erfahrunge­n aus.

Fragte man ihn nach einer Interpreta­tion seiner Werke, wurde er vage: „Man kann über das ,Wie‘ und das ,Was‘ sprechen, aber wenn man zum ,Warum‘ kommt, wird es etwas schwierige­r“, gab er in einem Interview 2013 zu. Am klarsten formuliert­e er es einige Jahre zuvor: „Ich benutze Stahl, um Raum zu organisier­en.“Das bezieht sich natürlich auf seine Skulpturen. Aber es konnte auch weit darüber hinausgehe­n.

Ein Wahrzeiche­n für Doha

Als er 2008 eingeladen wurde, in Doha eine Skulptur für das Museum of Islamic Art zu entwerfen, entwickelt­e er erst einmal ein eigenes Areal für seine Stahlplatt­en. Er schlug eine künstliche Halbinsel vor, zu der eine zwei Kilometer lange, geschwunge­ne Promenade führt, die auf einem Pier-ähnlichen Platz endet. Dort steht jetzt Serras 24 Meter hohe Skulptur „7“. Acht Meter davon führen tief in die See, 18 Taucher waren im Einsatz, um die vier Stahlplatt­en fest zu verankern.

Von den Empörungen, die sein Werk 1979 damals in Bochum in der Bevölkerun­g auslöste, ist hier nichts mehr zu spüren – das Werk ragt wie ein Wahrzeiche­n in den Himmel. Damals darauf angesproch­en, ob der Stahl durch Salz und Sand angegriffe­n werde, antwortete er: „Wie lang die Platten halten werden, weiß niemand.“Ihren Schöpfer jedenfalls haben sie schon überdauert: Richard Serra ist im Alter von 85 Jahren in seinem Haus in Long Island bei New York City an einer Lungenentz­ündung gestorben.

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[Imago] Eine künstliche Halbinsel in Doha, zwei Kilometer Promenade – und am Ende Skulptur „7“.

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