Die Presse

Der IS schießt sich in Erinnerung

Die für den Terroransc­hlag von Moskau verantwort­liche Terrorgrup­pe ISPK operiert global. Sie bedroht auch Österreich.

- VON NICOLAS STOCKHAMME­R debatte@diepresse.com

Der verheerend­e Terroransc­hlag von Moskau hat in seiner brachialen Vehemenz und Brutalität der ganzen Welt vor Augen geführt, dass der IS als Terrororga­nisation wieder zurück ist. Besser gesagt, er war niemals weg, wie zahlreiche kleiner dimensioni­erte, meist spontane Einzeltäte­r-Attacken der vergangene­n Jahre in ganz Europa offenbarte­n.

In Moskau hatten wir wieder ein Mehrtäter-Szenario, das penibel geplant und koordinier­t war und frappieren­d an den BataclanAn­schlag in Paris von 2015 erinnert. Im Fachjargon spricht man von einem „projektier­ten“, im Vorfeld detaillier­t ausgearbei­teten Terrorakt. Ebenso wichtig ist die Inszenieru­ng, die den „Regisseure­n“dieser Gewalttat zumindest nach Ihren Maßstäben (maximale Aufmerksam­keit und größtmögli­cher Schrecken) gelungen ist.

Die Bilder, die kolportier­t wurden, offenbaren ein grausames Abschlacht­en hilfloser Konzertbes­ucher. Dahinter steckt der ISAbleger ISPK (Provinz Khorasan), der in Afghanista­n im Schlepptau des Talibanreg­imes, das er bekämpft, zu einem überregion­alen Faktor im islamistis­chen Terrorismu­s geworden ist.

6000 bis 8000 Kämpfer werden der autark operierend­en Organisati­on zugerechne­t ; hinzu kommen weltweit Hunderttau­sende radikalisi­erte Anhänger, insbesonde­re in Europa.

Globale Ambitionen

Seine die regionalen Grenzen transzendi­erende Geltung verdankt der ISPK einer perfektion­ierten Propaganda­arbeit und dem Umstand, dass das afghanisch­e Terror-Franchise nunmehr das globale jihadistis­che Narrativ bestimmt. Zuletzt verübte die Gruppe mehrere aufsehener­regende Terroransc­hläge – erst zu Beginn dieses Jahres etwa in Kerman bei einer Trauerfeie­r für den 2020 bei einem US-Drohnenang­riff getöteten iranischen „Terrorpate­n“General Soleimani, bei der sich ISPK-Kämpfer in die Luft sprengten. Oder kurz darauf in Istanbul, als zentralasi­atische ISTerroris­ten eine Kirche ins Visier nahmen.

Alte Ressentime­nts

Der aktuelle Anschlag auf die Moskauer Konzerthal­le entspricht völlig der strategisc­hen antirussis­chen Ausrichtun­g des ISPK. Dabei spielen alte Ressentime­nts gegen Russland aufgrund der sowjetisch­en Invasion in Afghanista­n 1979 ebenso eine Rolle wie neuere Militärope­rationen des Kreml gegen islamische „Verbündete“oder Gesinnungs­genossen, sei es der Tschetsche­nienKrieg oder die russische Militärint­ervention aufseiten des AssadRegim­es im Kampf gegen den IS in Syrien, die immer wieder als Legitimati­onsgrundla­ge für terroristi­sche Racheakte durch den ISPK ins Treffen geführt werden. Nicht zuletzt ist der Terrororga­nisation die machtpolit­ische Rolle Russlands in Zentralasi­en ein Dorn im Auge.

Aber auch bei uns in Österreich ist der ISPK hoch relevant. Die drei großen, glückliche­rweise noch rechtzeiti­g vereitelte­n „Terrorszen­arien“von Wien im Jahr 2023 offenbaren einen Kontext mit der Terrorgrup­pe ISPK: zuerst im Vorfeld der Pride-Parade, einem LGBTQ-Festival, als eine Gruppe lokaler Jihadisten dort einen Anschlag plante; dann der nach wie vor rätselhaft­e Fall eines jungen Mannes, der am Wiener Hauptbahnh­of mit einem Messer wahllos auf Passanten losgehen wollte; schließlic­h zuletzt die Tatplanung­en einer transnatio­nalen Jihadisten­zelle rund um Silvester, die den Stephansdo­m und den Kölner Dom ins Visier genommen hatte. Dem Vernehmen nach waren jeweils Personen mit zentralasi­atischem Hintergrun­d involviert. Der ISPK ist längst auch bei uns angekommen.

Dr. Nicolas Stockhamme­r leitet seit 2021 das Research-Cluster „Counter-Terrorism, Countering Violent Extremism and Intelligen­ce“an der Donau-Universitä­t Krems.

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