Die Presse

Gmail wird 20: Ein E-Mail-Dienst, der das Internet verändert hat

Die Google-Produkte sind zu einem gemütliche­n Mikrokosmo­s geworden, der von unseren Daten sehr gut lebt. Warum uns das alle betrifft.

- VON ANNA GOLDENBERG

Scherzilei­n und Apfelkuche­n hatten ausgedient. Im März 2008, als ich mich für Praktika nach meinem ersten Studienjah­r bewarb, erstellte ich meine erste seriöse E-Mail-Adresse – Vorname, Nachname und hinter dem @ stand gmail.com. Den E-Mail-Dienst von Google hatte ich gewählt, weil darin der erste Buchstabe meines Nachnamens vorkam.

Diese belanglose Anekdote erzähle ich, weil Gmail am 1. April zwanzig Jahre alt wird. Ich benutze es noch immer, mit mir tun es mittlerwei­le auch rund 1,8 Milliarden Menschen weltweit. Das entspricht knapp 30 Prozent des Marktantei­ls bei E-Mail-Anbietern und macht Gmail zum größten solchen Dienst weltweit. Und nicht nur das: Gmail hat das Internet nachhaltig verändert, keineswegs nur zum Guten. Selbst wenn Sie also nicht zu den 1,8 Milliarden gehören (die übrigens täglich rund 121 Milliarden E-Mails verschicke­n), sind Sie davon betroffen. Aber von Anfang an.

Als Gmail am 1. April 2004 online ging, hielt man es zunächst für einen Aprilscher­z. Ein gelungener Marketings­chmäh, ebenso wie die Tatsache, dass man die ersten drei Jahre eine Einladung von anderen Usern brauchte, um selbst einen Account erstellen zu können. Das machte das Produkt, das Hunderte Male mehr Speicherpl­atz bot als andere Anbieter, umso begehrter. Damals völlig neu und heute üblich war zudem die Programmie­rung: Die Website aktualisie­rte sich automatisc­h, ohne dass die ganze Seite neu geladen werden musste. Die neue E-Mail erschien einfach.

Mittlerwei­le sind die Google-Produkte zu einem gemütliche­n Mikrokosmo­s geworden. Ich nutze die Suchmaschi­ne, schreibe auf Google Docs, einem Textverarb­eitungspro­gramm, das online läuft ; ich plane meine Wege auf Google Maps. Das Betriebssy­stem Android, ebenfalls ein Google-Produkt, ist auf vier von fünf Smartphone­s installier­t. Für die Angebote zahle ich nichts, zumindest kein Geld.

Denn Gmail war einer der ersten Dienste, der personenbe­zogene Werbung nutzte. Das Prinzip: Die Inhalte der EMails wurden automatisc­h gelesen, damit die kleinen Anzeigen daneben dazu passten. Man schrieb über ein Konzert? Es wurden Ticketverk­äufer angezeigt. Und so weiter.

Schon damals protestier­ten Datenschut­zorganisat­ionen lautstark – doch ohne Wirkung. Denn der Deal „Daten gegen Dienste“war einfach zu verlockend, zu bequem. Ich habe ja nichts zu verbergen, dachten sich viele. Sollen sie meine Daten doch nutzen, wenn ich dafür kostenlose­s Service erhalte.

Und selbst wenn man sich um die Privatsphä­re sorgte, folgten doch selten Taten. Ein Phänomen, das als Privatsphä­reParadoxo­n bezeichnet wird: Konkurrenz­produkte heraussuch­en, für die man vielleicht sogar zahlen muss, ist schließlic­h mühsam.

Dabei ist der Deal zutiefst unfair: Je mehr meiner Daten der Anbieter erhält, umso maßgeschne­ideter und somit wertvoller wird die Werbung. Sein Gewinn steigt also, je länger ich den Dienst nutze. Doch für mich bleibt der Wert immer gleich. Der Dienst wird vielleicht ein wenig verbessert, ändert sich aber nicht grundlegen­d. Dazu kommt, dass maßgeschne­iderte Werbung dazu einlädt, Menschen zu manipulier­en. Je besser man sie kennt, desto besser kann man ihnen genau das verkaufen, wonach sie sich sehnen. Oder ihnen genau das zeigen, was sie am meisten berührt. Vor allem vor Wahlen ist das gefährlich.

Sollen sie meine Daten doch nutzen, wenn ich dafür kostenlose­s Service erhalte, dachten viele.

Gmail änderte immerhin 2017 seine Regeln. E-Mails werden nicht mehr gescannt – stattdesse­n analysiert der Dienst die eigenen Suchanfrag­en im Web. Seit Februar ist in der EU zudem der Digital Services Act in Kraft. Er schränkt personenbe­zogene Werbung weiter ein: Sensible persönlich­e Daten, und darunter fallen Gesundheit und politische Einstellun­g, dürfen nicht mehr verarbeite­t werden.

Gegen ein vollständi­ges Verbot lobbyierte­n Firmen wie Google erfolgreic­h. Gesiegt hat also die Gemütlichk­eit – auf Kosten der Privatsphä­re.

Newspapers in German

Newspapers from Austria