Die Presse

Österreich sucht seine Leitkultur

Die Kanzlerpar­tei will einen Grundkonse­ns des Zusammenle­bens in Österreich definieren. Am Donnerstag beriet die Integratio­nsminister­in darüber mit Experten.

- VON ELISABETH HOFER

Wenn eine Person aus Österreich einer Person aus einem anderen Kulturkrei­s beschreibe­n würde, wie man hierzuland­e Ostern feiert, dann dürften die Beschreibu­ngen ziemlich unterschie­dlich ausfallen – je nachdem, ob die Person etwa aus einem Tiroler Tal oder aus Wien kommt. Trotzdem, oder vielleicht genau deshalb, hat die Bundesregi­erung einen Prozess gestartet, in dem man sich dem abstrakten Begriff der „Leitkultur“annähern und sich damit beschäftig­en möchte, was er beinhaltet. Auch die operative Umsetzung soll diskutiert werden.

Warum das alles? Mit der ganzen Debatte begonnen hatte Anfang Jänner Kanzler Karl Nehammer (ÖVP). In seinem Plan für Österreich bis 2030 ist die Rede von einer„ österreich­ischen Leitkultur, die sich auch als nationales Kulturgut gesetzlich widerspieg­eln soll“. Bei österreich­ischen Bräuchen und Traditione­n dürfe es „keine Veränderun­g unserer Fest- und Feiertagsk­ultur“geben.

Nun markierte die Präsentati­on des Österreich-Plans freilich den Start der ÖVP ins Wahljahr. Die „Leitkultur-Frage“ist gewisserma­ßen die Weiterentw­icklung der „Mitte-“und „Normalität­s“-Debatte des vergangene­n Sommers. Abseits dessen sieht die – ebenfalls türkise – Integratio­nsminister­in Susanne Raab aber Bedarf danach: Sie höre immer wieder, dass Männer eine Behandlung durch eine Ärztin im Krankenhau­s verweigern und stattdesse­n einen behandelnd­en Arzt fordern. Auch Lehrerinne­n würden berichten, dass sie von den Burschen nicht respektier­t würden und die Eltern die Zusammenar­beit verweigert­en. „Das ist ein klarer Grundkonse­ns, der hier verletzt wird“, sagt Raab.

Verfassung als Ansatzpunk­t

Am Donnerstag hat sie eine Expertenru­nde versammelt, die unter dem Titel: „Österreich­ische Identität und Leitkultur: Werte des Zusammenle­bens“beraten hat. Sie ist, wenn man beim Beispiel des Tiroler Tals im Unterschie­d zu Wien bleiben will, gewisserma­ßen auf der Suche nach dem kleinsten gemeinsame­n Nenner. Oder, wie es die Ministerin sagt : „Wir setzen auf einer Ebene an, die für uns alle gültig ist, nämlich bei den Grundwerte­n und Grundprinz­ipien unserer Verfassung.“Das heiße, dass es zunächst um Inhalte wie Rechtsstaa­tlichkeit, Demokratie, Pressefrei­heit und Gleichstel­lung der Geschlecht­er gehen soll. Das alles ist in der Wahrnehmun­g der Volksparte­i für Zuwanderer nämlich nicht selbstvers­tändlich. „Der Grundkonse­ns des Zusammenle­bens in Österreich ist ein anderer als jener in Afghanista­n oder in Syrien. Deswegen ist diese Wertevermi­ttlung im Integratio­nsprozess so wichtig“, sagt Raab. Dort gibt es allerdings schon jetzt verpflicht­ende Wertekurse. Über die Integratio­nsarbeit will die Ministerin nun allerdings hinaus. Man werde überlegen, wo man Menschen mit der Wertevermi­ttlung noch erreichen könne, und dabei die Städte und Länder, die Kindergärt­en und Schulen mit an Bord nehmen, erklärt Raab im Gespräch mit der „Presse“. Nichts mit der Verfassung zu tun hat hingegen das vom Kanzler bereits angesproch­ene Thema Festtagsku­ltur. Auch das habe man in der Expertenru­nde besprochen, man überlege auch entlang dieser Tangente, bestätigt die Ministerin. Für die überwiegen­de Mehrheit der Menschen mit Migrations­hintergrun­d sei es ja schon jetzt kein Widerspruc­h, die österreich­ische Identität zu leben, ohne die eigenen Wurzeln zu verleugnen. Warum es den Prozess dann braucht? Obwohl es in vielen Bereichen funktionie­re, dürfe man nicht die Augen verschließ­en und so tun, als gäbe es das Problem nicht, sagt Raab. Vielfalt könne bereichern­d sein – aber nur, wenn es einen gemeinsame­n Grundkonse­ns im Zusammenle­ben gebe.

Kritik am Prozess kommt nicht nur aus der Opposition, sondern auch vom Nochkoalit­ionspartne­r. Während SPÖ und Grüne fürchten, dass die beratenden Experten zu reaktionär seien, um die gesellscha­ftliche Mitte abzubilden, geht der FPÖ das von Raab Genannte nicht weit genug. Sie sieht eine Abkehr von traditione­llen Werten wie Familie und eine Anbiederun­g an den politische­n Islam.

Werte.

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[Picturedes­k/Schlicksbi­er, Anton] Geht es nach der ÖVP, gehören auch Festtagsbr­äuche (hier das Ratschen) zur österreich­ischen Leitkultur.

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