Österreich sucht seine Leitkultur
Die Kanzlerpartei will einen Grundkonsens des Zusammenlebens in Österreich definieren. Am Donnerstag beriet die Integrationsministerin darüber mit Experten.
Wenn eine Person aus Österreich einer Person aus einem anderen Kulturkreis beschreiben würde, wie man hierzulande Ostern feiert, dann dürften die Beschreibungen ziemlich unterschiedlich ausfallen – je nachdem, ob die Person etwa aus einem Tiroler Tal oder aus Wien kommt. Trotzdem, oder vielleicht genau deshalb, hat die Bundesregierung einen Prozess gestartet, in dem man sich dem abstrakten Begriff der „Leitkultur“annähern und sich damit beschäftigen möchte, was er beinhaltet. Auch die operative Umsetzung soll diskutiert werden.
Warum das alles? Mit der ganzen Debatte begonnen hatte Anfang Jänner Kanzler Karl Nehammer (ÖVP). In seinem Plan für Österreich bis 2030 ist die Rede von einer„ österreichischen Leitkultur, die sich auch als nationales Kulturgut gesetzlich widerspiegeln soll“. Bei österreichischen Bräuchen und Traditionen dürfe es „keine Veränderung unserer Fest- und Feiertagskultur“geben.
Nun markierte die Präsentation des Österreich-Plans freilich den Start der ÖVP ins Wahljahr. Die „Leitkultur-Frage“ist gewissermaßen die Weiterentwicklung der „Mitte-“und „Normalitäts“-Debatte des vergangenen Sommers. Abseits dessen sieht die – ebenfalls türkise – Integrationsministerin Susanne Raab aber Bedarf danach: Sie höre immer wieder, dass Männer eine Behandlung durch eine Ärztin im Krankenhaus verweigern und stattdessen einen behandelnden Arzt fordern. Auch Lehrerinnen würden berichten, dass sie von den Burschen nicht respektiert würden und die Eltern die Zusammenarbeit verweigerten. „Das ist ein klarer Grundkonsens, der hier verletzt wird“, sagt Raab.
Verfassung als Ansatzpunkt
Am Donnerstag hat sie eine Expertenrunde versammelt, die unter dem Titel: „Österreichische Identität und Leitkultur: Werte des Zusammenlebens“beraten hat. Sie ist, wenn man beim Beispiel des Tiroler Tals im Unterschied zu Wien bleiben will, gewissermaßen auf der Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Oder, wie es die Ministerin sagt : „Wir setzen auf einer Ebene an, die für uns alle gültig ist, nämlich bei den Grundwerten und Grundprinzipien unserer Verfassung.“Das heiße, dass es zunächst um Inhalte wie Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Pressefreiheit und Gleichstellung der Geschlechter gehen soll. Das alles ist in der Wahrnehmung der Volkspartei für Zuwanderer nämlich nicht selbstverständlich. „Der Grundkonsens des Zusammenlebens in Österreich ist ein anderer als jener in Afghanistan oder in Syrien. Deswegen ist diese Wertevermittlung im Integrationsprozess so wichtig“, sagt Raab. Dort gibt es allerdings schon jetzt verpflichtende Wertekurse. Über die Integrationsarbeit will die Ministerin nun allerdings hinaus. Man werde überlegen, wo man Menschen mit der Wertevermittlung noch erreichen könne, und dabei die Städte und Länder, die Kindergärten und Schulen mit an Bord nehmen, erklärt Raab im Gespräch mit der „Presse“. Nichts mit der Verfassung zu tun hat hingegen das vom Kanzler bereits angesprochene Thema Festtagskultur. Auch das habe man in der Expertenrunde besprochen, man überlege auch entlang dieser Tangente, bestätigt die Ministerin. Für die überwiegende Mehrheit der Menschen mit Migrationshintergrund sei es ja schon jetzt kein Widerspruch, die österreichische Identität zu leben, ohne die eigenen Wurzeln zu verleugnen. Warum es den Prozess dann braucht? Obwohl es in vielen Bereichen funktioniere, dürfe man nicht die Augen verschließen und so tun, als gäbe es das Problem nicht, sagt Raab. Vielfalt könne bereichernd sein – aber nur, wenn es einen gemeinsamen Grundkonsens im Zusammenleben gebe.
Kritik am Prozess kommt nicht nur aus der Opposition, sondern auch vom Nochkoalitionspartner. Während SPÖ und Grüne fürchten, dass die beratenden Experten zu reaktionär seien, um die gesellschaftliche Mitte abzubilden, geht der FPÖ das von Raab Genannte nicht weit genug. Sie sieht eine Abkehr von traditionellen Werten wie Familie und eine Anbiederung an den politischen Islam.
Werte.