Die Presse

Putin lässt Europas Öffentlich­keit mit Desinforma­tion fluten

Tschechien hob neues Propaganda­netzwerk aus. Auch Österreich­s Behörden hatten es auf dem Radar.

- VON MARLIES EDER, BARBARA STEINBRENN­ER UND JÜRGEN STREIHAMME­R

Das Logo von Voice of Europe sieht harmlos aus: blau mit gelben Sternen in Anlehnung an die Flagge der Europäisch­en Union. Doch die Themen auf den sozialen Kanälen des Netzwerks wie X und Facebook haben eine eindeutige Tendenz: Es geht um Kriminalit­ät, Migration, die Ukraine, die AfD. Immer wieder dazwischen auch Chronikale­s, Texte von seriösen Medien und skurrile Meldungen. Neue EU-Regeln im Kampf gegen Desinforma­tion werden als „globalisti­sche Zensur“bezeichnet. Auffallend ist die häufige Aufforderu­ng, doch zum Telegram-Kanal zu wechseln.

Die Internetse­ite ist nicht mehr zugänglich. „Der Spiegel“, der sie noch einsehen konnte, berichtet aber von Auffälligk­eiten. Etwa, dass im Quellcode der Seite kyrillisch­e Buchstaben auftauchte­n oder die Suchfunkti­on auf

Russisch sei.

Ein Oligarch als Drahtziehe­r?

Am Mittwoch setzte die tschechisc­he Regierung die Betreiber von Voice of Europe auf ihre gegen Russland gerichtete Sanktionsl­iste. Die Internetse­ite sei Teil einer russischen Einflussop­eration, deren Ziel es sei, die territoria­le Unversehrt­heit, Souveränit­ät und Freiheit der Ukraine infrage zu stellen, hieß es. Dahinter stehe unter anderem Wiktor Medwedtsch­uk, ein Oligarch und Vertrauter des russischen Präsidente­n, Wladimir Putin.

Die Plattform soll als Vehikel gedient haben, um moskaufreu­ndliche Europawahl­Kandidaten zu finanziere­n, berichtet der „Spiegel“. Mehrere Hunderttau­send Euro sollen entweder bei persönlich­en Treffen in Prag bar übergeben oder per Kryptowähr­ung transferie­rt worden sein. Es habe sich um Politiker aus Deutschlan­d, Frankreich, Polen, Belgien, den Niederland­en und Ungarn gehandelt. Auch die rechtsextr­eme Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD) sei beteiligt gewesen.

„Wir beobachten diese Kanäle“

Auch Österreich­s Behörden hatten Voice of Europe auf dem Radar: „Natürlich ist uns die Seite bekannt. Wir beobachten diese Kanäle“, heißt es gegenüber der „Presse“in Sicherheit­skreisen. „Wir haben auf der Seite aber noch nie etwas speziell für Österreich Vorbereite­tes gesehen.“Auch eine speziell auf die Wahlen in Österreich zugeschnit­tene Desinforma­tionskampa­gne gibt es nicht. Noch nicht.

Zugleich nehmen die hiesigen Behörden immer wieder russische Desinforma­tion vom Netz, und zwar „vorwiegend Social Media Content“, wie es gegenüber der „Presse“heißt. Erst vor einem Monat habe man gemeinsam mit dem FBI jede Menge Desinforma­tionsseite­n abgedreht.

Die Doppelgäng­er-Netzwerke

Das Propaganda­netzwerk Voice of Europe ist nämlich nur ein Beispiel, wie Russland seine antiukrain­ische Propaganda im Ausland im Superwahlj­ahr verstärkt. Im Blick hat der Kreml vor allem die Wahlen des Europaparl­aments und des US-Präsidente­n im November: Der russische Erfolg im Angriffskr­ieg ist maßgeblich von schwindend­er westlicher Unterstütz­ung für die Ukraine abhängig. Erst am Mittwoch riefen Dutzende Nobelpreis­träger zu einer drastische­n Aufstockun­g der Ukraine-Hilfe auf.

US-Geheimdien­ste warnen vor immer ausgefeilt­eren Methoden russischer Desinforma­tion, für die vor allem Putin-Vertraute und russische Geheimdien­ste verantwort­lich seien, berichtet die „New York Times“. Erst vergangene Woche setzte das US-Finanzmini­sterium zwei Russen wegen „bösartiger Einflusska­mpagnen“auf eine Sanktionsl­iste. Im Visier der US-Behörden seien russische Firmen, die sogenannte Doppelgäng­ernetzwerk­e betreiben, so das US-Blatt.

Natürlich ist uns die Seite bekannt.

Auch Österreich­s Sicherheit­skreise beobachtet­en Voice of Europe.

Technik wird raffiniert­er

Einfache Tweets mit Falschinfo­rmationen lassen sich mittlerwei­le leicht und vor allem schnell identifizi­eren. Schwierig wird es, wenn Beiträge in sozialen Netzwerken in den Kontext einer Zeitungsna­chricht gesetzt werden. So zum Beispiel im Fall der deutschen Außenminis­terin, Annalena Baerbock.

Ihre angebliche­n Aussagen wurden von russischen Propagandi­sten als Schlagzeil­e des Nachrichte­nmagazins „Spiegel“getarnt. Dass die Nachricht als Fälschung identifizi­ert werden konnte, war nur einem Fehler des Verfassers zu verdanken. Denn auf dem unteren Rand des gefälschte­n Screenshot­s fanden sich kyrillisch­e Zeichen.

Mit Doppelgäng­ernetzwerk­en werden Desinforma­tionskampa­gnen auf ein neues Niveau gehoben: Bekannte Nachrichte­nseiten wie die „New York Times“, „Le Monde“oder „Der Spiegel“werden kopiert und bis ins kleinste Detail nachgeahmt. Die Betreiber der Doppelgäng­erseiten schieben sogar noch Artikel der echten Nachrichte­nseite ein, um ihr Publikum in die Irre zu führen. Vor allem in den USA, Israel, Deutschlan­d und Japan tauchen solche Fake-Seiten auf. Die Techniken sind viel subtiler als noch vor ein paar Jahren: 2016 verfasste Russland etwa Facebook-Posts und Tweets im Namen von nicht existieren­den Amerikaner­n. Die Narrative aber haben sich seither kaum verändert. Sie richten sich gegen die Ukraine, die USA und den Westen insgesamt.

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[APA/AFP/Mikhail Metzel] Russlands Präsident hat die US- und EU-Wahlen im Visier.

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