Putin lässt Europas Öffentlichkeit mit Desinformation fluten
Tschechien hob neues Propagandanetzwerk aus. Auch Österreichs Behörden hatten es auf dem Radar.
Das Logo von Voice of Europe sieht harmlos aus: blau mit gelben Sternen in Anlehnung an die Flagge der Europäischen Union. Doch die Themen auf den sozialen Kanälen des Netzwerks wie X und Facebook haben eine eindeutige Tendenz: Es geht um Kriminalität, Migration, die Ukraine, die AfD. Immer wieder dazwischen auch Chronikales, Texte von seriösen Medien und skurrile Meldungen. Neue EU-Regeln im Kampf gegen Desinformation werden als „globalistische Zensur“bezeichnet. Auffallend ist die häufige Aufforderung, doch zum Telegram-Kanal zu wechseln.
Die Internetseite ist nicht mehr zugänglich. „Der Spiegel“, der sie noch einsehen konnte, berichtet aber von Auffälligkeiten. Etwa, dass im Quellcode der Seite kyrillische Buchstaben auftauchten oder die Suchfunktion auf
Russisch sei.
Ein Oligarch als Drahtzieher?
Am Mittwoch setzte die tschechische Regierung die Betreiber von Voice of Europe auf ihre gegen Russland gerichtete Sanktionsliste. Die Internetseite sei Teil einer russischen Einflussoperation, deren Ziel es sei, die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Freiheit der Ukraine infrage zu stellen, hieß es. Dahinter stehe unter anderem Wiktor Medwedtschuk, ein Oligarch und Vertrauter des russischen Präsidenten, Wladimir Putin.
Die Plattform soll als Vehikel gedient haben, um moskaufreundliche EuropawahlKandidaten zu finanzieren, berichtet der „Spiegel“. Mehrere Hunderttausend Euro sollen entweder bei persönlichen Treffen in Prag bar übergeben oder per Kryptowährung transferiert worden sein. Es habe sich um Politiker aus Deutschland, Frankreich, Polen, Belgien, den Niederlanden und Ungarn gehandelt. Auch die rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) sei beteiligt gewesen.
„Wir beobachten diese Kanäle“
Auch Österreichs Behörden hatten Voice of Europe auf dem Radar: „Natürlich ist uns die Seite bekannt. Wir beobachten diese Kanäle“, heißt es gegenüber der „Presse“in Sicherheitskreisen. „Wir haben auf der Seite aber noch nie etwas speziell für Österreich Vorbereitetes gesehen.“Auch eine speziell auf die Wahlen in Österreich zugeschnittene Desinformationskampagne gibt es nicht. Noch nicht.
Zugleich nehmen die hiesigen Behörden immer wieder russische Desinformation vom Netz, und zwar „vorwiegend Social Media Content“, wie es gegenüber der „Presse“heißt. Erst vor einem Monat habe man gemeinsam mit dem FBI jede Menge Desinformationsseiten abgedreht.
Die Doppelgänger-Netzwerke
Das Propagandanetzwerk Voice of Europe ist nämlich nur ein Beispiel, wie Russland seine antiukrainische Propaganda im Ausland im Superwahljahr verstärkt. Im Blick hat der Kreml vor allem die Wahlen des Europaparlaments und des US-Präsidenten im November: Der russische Erfolg im Angriffskrieg ist maßgeblich von schwindender westlicher Unterstützung für die Ukraine abhängig. Erst am Mittwoch riefen Dutzende Nobelpreisträger zu einer drastischen Aufstockung der Ukraine-Hilfe auf.
US-Geheimdienste warnen vor immer ausgefeilteren Methoden russischer Desinformation, für die vor allem Putin-Vertraute und russische Geheimdienste verantwortlich seien, berichtet die „New York Times“. Erst vergangene Woche setzte das US-Finanzministerium zwei Russen wegen „bösartiger Einflusskampagnen“auf eine Sanktionsliste. Im Visier der US-Behörden seien russische Firmen, die sogenannte Doppelgängernetzwerke betreiben, so das US-Blatt.
Natürlich ist uns die Seite bekannt.
Auch Österreichs Sicherheitskreise beobachteten Voice of Europe.
Technik wird raffinierter
Einfache Tweets mit Falschinformationen lassen sich mittlerweile leicht und vor allem schnell identifizieren. Schwierig wird es, wenn Beiträge in sozialen Netzwerken in den Kontext einer Zeitungsnachricht gesetzt werden. So zum Beispiel im Fall der deutschen Außenministerin, Annalena Baerbock.
Ihre angeblichen Aussagen wurden von russischen Propagandisten als Schlagzeile des Nachrichtenmagazins „Spiegel“getarnt. Dass die Nachricht als Fälschung identifiziert werden konnte, war nur einem Fehler des Verfassers zu verdanken. Denn auf dem unteren Rand des gefälschten Screenshots fanden sich kyrillische Zeichen.
Mit Doppelgängernetzwerken werden Desinformationskampagnen auf ein neues Niveau gehoben: Bekannte Nachrichtenseiten wie die „New York Times“, „Le Monde“oder „Der Spiegel“werden kopiert und bis ins kleinste Detail nachgeahmt. Die Betreiber der Doppelgängerseiten schieben sogar noch Artikel der echten Nachrichtenseite ein, um ihr Publikum in die Irre zu führen. Vor allem in den USA, Israel, Deutschland und Japan tauchen solche Fake-Seiten auf. Die Techniken sind viel subtiler als noch vor ein paar Jahren: 2016 verfasste Russland etwa Facebook-Posts und Tweets im Namen von nicht existierenden Amerikanern. Die Narrative aber haben sich seither kaum verändert. Sie richten sich gegen die Ukraine, die USA und den Westen insgesamt.