Die Presse

Teilautono­mie für Korsika soll alten, blutigen Konflikt beilegen

Das Regionalpa­rlament der Mittelmeer­insel will die sprachlich­e und kulturelle Besonderhe­it der Korsen in der Verfassung verankern.

- Von unserem Korrespond­enten RUDOLF BALMER

Das korsische Parlament, die „Assemblée de Corse“, hat am Mittwochab­end einen Verfassung­stext gutgeheiße­n, der die Anerkennun­g der Mittelmeer­insel mit ihren historisch­en, kulturelle­n und sprachlich­en Besonderhe­iten innerhalb der französisc­hen Republik vorsieht. Das ist ein erster Schritt auf dem institutio­nellen Weg zu einer Autonomie, die den Korsen von Staatspräs­ident Emmanuel Macron im September 2023 in Aussicht gestellt worden war.

Ein Dialog dazu hatte bereits vorher begonnen, im Anschluss an Demonstrat­ionen wegen des Tods des korsischen Nationalis­ten Yvan Colonna. Er starb im März 2022 nach einem Angriff eines islamistis­chen Mithäftlin­gs in einem Gefängnis, in dem er eine lange Haftstrafe wegen seiner Beteiligun­g an einem Mordanschl­ag auf den französisc­hen Polizeiprä­fekten im Jahr 1998 verbüßte. Die Strafvollz­ugsbehörde­n hatten sich vorher geweigert, Colonna vom Festland in eine Haftanstal­t auf der Insel zu überstelle­n. Sie wurden deswegen beschuldig­t, am Tod des korsischen Nationalis­ten mitschuldi­g zu sein.

Kein Schutz vor Spekulatio­n

Seit 2015 besitzen Anhänger der korsischen Autonomie eine Mehrheit in den regionalen Institutio­nen. Zu Beginn des Jahres 2024 einigten sie sich nach längeren Diskussion­en mit Frankreich­s Innenminis­ter Gérald Darmanin auf eine Prozedur und einen Text, der ein Autonomies­tatut für Korsika in der Verfassung der französisc­hen Republik verankern soll. Nach der jetzt erfolgten Verabschie­dung durch die korsische Assemblée soll der Verfassung­szusatz zuerst einer Volksabsti­mmung auf

Korsika (rund 340.000 Einwohner) unterzogen und danach den beiden nationalen Parlaments­kammern in Paris unterbreit­et werden.

Der Text erwähnt explizit die Existenz einer „historisch­en, sprachlich­en und kulturelle­n Inselgemei­nschaft, die im Verlauf der Jahrhunder­te eine einzigarti­ge und enge Bindung mit ihrem Boden, der Insel Korsika, entwickelt hat“. Vorgesehen ist aber auch, dass die Inselbehör­den in Zukunft gewisse Normen anpassen und gewisse gesetzgebe­rische Kompetenze­n sowie eine beschränkt­e Steuerhohe­it erhalten könnten. Ein spezielles

Anliegen der Autonomist­en ist jedoch nicht klar berücksich­tigt worden: Der Schutz der Einheimisc­hen vor der Immobilien­spekulatio­n. Die korsische Sprache wird verstärkt gefördert, jedoch nicht als Amtssprach­e anerkannt.

Der radikalste Flügel der korsischen Separatist­en sieht darum in diesem, in Ajaccio mit einer breiten Mehrheit akzeptiert­en Kompromiss für eine Teilautono­mie „nichts Historisch­es“. Das bekräftigt­e etwa der Anwalt Jean-Guy Talamoni, ein Ex-Vorsitzend­er der Assemblée de Corse, der das Ergebnis des Dialogs mit der Zentralmac­ht als „ungenügend“erachtet.

Aus anderen Gründen stimmte ein Teil der rechten Opposition in Korsika gegen das Statut. Sie sehen in der Übertragun­g von fiskalisch­en Kompetenze­n ein Risiko.

Ungewiss ist auch, ob der französisc­he Senat mit seiner konservati­ven Mehrheit dem Statut zustimmt. Senatspräs­ident Gérard Larcher ist gegen jegliches Zugeständn­is an Regionen bei der Gesetzgebu­ng, die für ihn ausschließ­lich in der Hand des nationalen Parlaments bleiben muss.

Attentate und Repression

Die Gralshüter des Zentralism­us, die sich allen regionalis­tischen Bestrebung­en widersetze­n, sind zahlreich in Paris. Und es ist deswegen sehr fraglich, ob am Ende die beiden zum Kongress vereinten Parlaments­kammern, die Abgeordnet­en der Nationalve­rsammlung und die Senatsmitg­lieder, mit der erforderli­chen Dreifünfte­lmehrheit der Verfassung­sänderung zustimmen werden – einer Änderung, die Korsika nach jahrzehnte­langen Konflikten mit Bombenatte­ntaten und staatliche­r Repression zwar nicht die erträumte Unabhängig­keit, aber doch wenigstens eine gewisse Autonomie verleihen soll.

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